Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
Скачать книгу
nördlich von Westminster reckte. In dessen Mitte nun, die Fassade gen Süden gekehrt, erhob sich ein alter, normannischer Bau, in welchem Jakob I. residierte. Das alte Banketthaus, welches vordem im rechten Winkel an dasselbe stieß, es mit der Hofkapelle verband und unter Elisabeth nur aus Fachwerk errichtet worden, um zu Festlichkeiten mehr Raum zu gewähren , war niedergerissen worden, und an einer Stelle erhoben sich bereits die lichten Marmorwände mit Säulen im besten Renaissance, welche Inigo Jones als künftigen Fürstensitz erbaute, für die Rubens bereits die Kartons seiner Apotheose des britischen Salomos entwarf. Von diesem Bau nannte man bereits die ganze Residenz die »weiße Halle«, Whitehall. Dass unter diesem Chaos alter Bautrümmer und neuer Steinblöcke und unter dem Gewirr der Handwerker zur Zeit der Fürstensitz weder sehr imposant noch majestätisch ruhig war, kann man sich denken.

      Trotz besagter Hindernisse aber gelangte der ortskundige Craven bald an die rechte Adresse, nämlich an Mister John Trehearne, den Türsteher und — wie man sagte, gelegentlichen Vertrauten Sr. Majestät, welcher den Sir alsbald wissen ließ, nur gleich mit seiner Korbe zum alten Saale herauf zu kommen.

      Der Raum, wo man die kostbare Last endlich nieder T setzte, war ein düsteres, hohes und weites Gemach, das sein Licht von Norden durch drei Bogenfenster empfing, links und rechts aber verschiedene Türen hatte, so dass es schien, als bilde es die gemeinsame Verbindung aller übrigen Zimmerreihen des Geschosses.

      Als Vater und Sohn in diesem Raume erschienen, ging Trehearne mit seinem goldenen Stabe in feierlicher Ruhe langsam darin auf und ab. Er gab ihnen einen stummen Wink, den Korb niederzusetzen und auszupacken.

      »Verhaltet Euch ganz still, Craven! Ganz still! Se. Majestät ist noch bei Tische! Se. Hoheit, der Prinz, Mylord Villier, der Kanzler, und Se. Herrlichkeit der Herzog sind bei ihm, da ist nicht geraten, zu stören. Nehmt die Sachen auf Euren Schoß und setzt Euch ans Fenster, bis sie heraustreten.«

      Dem Gebot ward peinlichst Folge geleistet. Der Korb nebst Trägern verschwanden geräuschlos. Der Hofschneider, sein Meisterwerk zierlich über dem Arm, nahm am Fenster Platz und unterhielt sich flüsternd mit Trehearne. Von links her, durch mehrere Türen gedämpft, hörte man Lachen, Geschwirr und Gläserklingen. Mister Will war mit dem Hut in der Hand an das andre Fenster getreten, und voll Beklommenheit wie Neugier zugleich streiften seine Blicke in der Halle umher und blieben plötzlich an einem fast lebensgroßen Bilde hängen, das an der Wand gegenüber befindlich war. Was in dem Erstgebornen des Hofschneiders in diesem Augenblicke vorging, hätte er um die Welt keiner lebendigen Seele vertraut. Eine Wonne und ein erschrecklich Weh, trunkene Wollust und namenlose Traurigkeit überkamen ihn mit einem Male. Das dunkle, wesenlose Rätsel seiner Träume war hier gelöst, der Inhalt seines Sehnens und Strebens. Er fühlte fortan, dass die Person, die dieses Bild darstellte, sein — Schicksal sei! Nur einer Frage bedurfte es noch, den letzten, schwachen Zweifel zu lösen. Zitternd und alle Kraft aufraffend, um sich nur nicht zu verraten, schritt er leise zu Trehearne und seinem Vater, zwang sich zu arglosem Lächeln und deutete auf das Bild.

      »Wollt Ihr so gütig sein und mir sagen, Mister, wer diese Dame ist; mir däucht, ich habe sie schon I gesehen?«

      »Diese Dame, junge Mann, ist niemand Geringeres als Sr. Majestät erhabne Tochter Elisabeth, Kurfürstin von der Pfalz!«

      »Ich dachte es!« flüsterte der Mister.

      »Ei — Du erinnerst Dich wohl?« fiel der Hofschneider lächelnd ein. »Du hast Ihro Gnaden mit Ihrem Gemahl vor drei Jahren gesehn, als die Bürgerschaft ihnen das große Bankett in der Guildhall gab! — Ihr wisst, Mister Trehearne, ich war Lordmayor der Zeit, und dieser mein ältester Sohn gab als Page die Schüsseln um. Haha, als er sie der Frau Kurfürstin reichen wollte, zitterte er vor Angst, als sie sagte: Pfui, wie kann ein so hübscher Bursch sich fürchten! – drückte ihm auf die Stirn einen höchsteigenhändigen, durchlauchtigen Kuss und denkt, — nahm ihm lachend selber die Schüssel ab! Das hat er nicht vergessen, wie Ihr seht!«

      »Ich hörte von dem Spaß! Ja, ja, ’s war ganz in ihrer fröhlichen, herzgewinnenden Art; Gott helf’ ihr im fremden Deutschland, mir ist bange — gar bange um sie!«

      »Weshalb, Mister Trehearne?« rief der junge Mann hastig.

      »Sie sieht nämlich ihrer Großmutter, der unglückseligen holden, schuldlos geopferten Maria von Schottland bis aufs Verkennen ähnlich! — Wir haben ein Bild hier von ihr, ein ander Mal sollt Ihr’s sehn, das gleicht diesem Zug für Zug, nur dass Ihro Gnaden Elisabeth natürlich viel jünger ist. Die arme selige Königin soll auch dieselbe Manier und Fröhlichkeit wie sie gehabt haben. — Ach, wenn Elisabeth nur ein besser Geschick einst hätte! So was spricht man freilich nicht laut, aber — ’n alter treuer Diener wie Unsereins denkt doch oft dran.«

      Der Mister erbleichte.

      »Ich dank’ Euch, Herr«, flüsterte er und ging bewegt auf seinen Platz zurück, sich in das Abbild dieses unendlichen Frauenliebreizes versenkend.

      In ihm stieg die ferne Fürstin mit ihrer Lichtgestalt selbst wieder vor seiner Erinnerung auf, wie sie als Braut in der Guildhall gesessen, und er ihr hocherrötend im Dienst genaht. Sah er dies jugendstrahlende Gesicht nicht fast leiblich wieder? Dies lustige und doch zauberisch schwimmende, nussbraune Augenpaar, dies Ringelgelock? Dieses edle Profil, halb kindlich noch und wieder so frauenhaft sinnend? Dieser weiße Hals und Nacken und diese bebende Brust? Hatte er nicht den Kuss ihrer Lippen auf seiner Stirn, ihren duftigen Atem um seine Schläfe gefühlt? Hatte er nicht in dieser einen wahnsinnigen, holden Sekunde Gift getrunken für sein langes Leben? —

      Vielleicht hätte Mister William, in das Bild versenkt, bis in die Ewigkeit hinein geträumt, wäre er nicht — von gellen Lauten erweckt und durch das plötzliche Erscheinen gewichtiger Personen in sehr bittrer Weise der Wirklichkeit bewusst geworden.

      Das Gläserklingen, Lachen und Geschwätz da drinnen war lauter, ausgelassener als sonst geworden, so dass selbst Trehearne, dem diese Dinge nicht fremd waren, horchend an die Tür trat, und Sir Craven sich erhob.

      Plötzlich wurden heftig Stühle gerückt, man erhob sich sehr tumultuarisch, ein Sessel fiel um. Darauf ward die Tür aufgerissen, und eine Gesellschaft erschien in der Halle, die sich entschieden in einer Weinseligkeit befand, welche die Grenzen des Zeremoniells nicht mehr gebührend innehielt.

      Der Allerangeheitertste und, wie es schien, derjenige, welcher auch die Kosten der Lustigkeit am meisten bestritten hatte, war der allgefürchtete Robert Carr von Rochester, Herzog von Somerset. Ihm voraus schritt Carl, Prinz von Wales, der zwar nicht so straff wie immer ging, aber trotz aller Heiterkeit doch seine gemessene Würde nicht ganz verleugnete. Lord Villier, der Mundschenk, folgte, ohnfehlbar am nüchternsten und, nach seinen schalkhaften Zügen zu urteilen, am erbautesten von der eben gehabten Unterhaltung.

      Einige Herren, schien’s, blieben im Speisegemach bei der Majestät zurück.

      »Was schnüffelst Du wieder, wohlweiser Trehearne?« rief Rochester. »Wenn Du nicht drei Mal zu wenig Hirn für ein Menschenkind hättest, müsste man Dir’s mit Deinem eigenen goldenen Stabe ausklopfen! Hüte die Tür, Cerberus, aber am meisten vor Deinen eigenen törichten Ohren!«

      »Recht, gebt’s ihm, Mylord!« lachte Villier.

      »Ich fürchte selbst, er hat auf diese Weise ein gutes Pack von Euren Gnaden Geheimnissen in der Tasche!«

      »Um Vergebung, Hoheit und Mylords!« und der Türsteher trat tiefgebückt zurück. »Ich wartete mit Ihro Gnaden Erlaubnis nur das Ende der Tafel ab, um Sr. Majestät den Hofgewandschneider Sir William Craven zu melden!«

      »Den Schneider?« und Rochester musterte den tiefgebückten Künstler. »Sir William Craven nennt sich das Geschöpf. Haha, welch’ ein Wappen habt Ihr denn, Sir William Feigheit, außer einer Elle und ’nem Bügeleisen, wenn’s nicht ’n laufender Hase im grünen Klee ist?!«

      »Bei Gott ’n Hase! Den muss ihm der Wappenkönig geben!« rief Villier entzückt, und der Prinz lachte.

      »Was hast Du, Schuft, da für ’nen himmelblauen Staat? Solltest Du nicht als Edelmann lieber ’n guten Schild am Arm und ein Schwert in der Rechten führen? Verteidige Dich, Deine