Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
Скачать книгу
heftig zurück.

      »Meinem Bruder? Was geht Euch mein Bruder an, und was er hat oder nicht hat? Wenn ich um Euch werbe, steht’s Euch an, nach ihm zu fragen, sich um sein Wohl zu härmen?«

      »Noch bin ich nicht Eure Braut, Mister Edward! — Was soll mir nicht anstehen, nach ihm zu fragen? War er’s nicht, der allein vordem für Doderidge ein Herz gehabt, ihn geschützt in seinem Glauben, ihn aus der Not gezogen, und dem ich, was ich habe, verdanke? Er ist der Engel des Herrn gewesen, der uns aus der Traurigkeit gerissen hat! Wer seinen Bruder nicht lieben kann, Mister Edward, kann auch keinem Weibe die rechte Liebe geben, denn sein Herz ist starr und tot, und der Himmel von ihm gewendet! Das ist meine Antwort auf Euren Antrag!«

      Sie raffte das Zeug hastig und tief bewegt zusammen, um sich zu entfernen.

      »Das Eure Antwort?! Ihr — Ihr verwerft mich?!«

      »Ich nicht, Ihr habt Euch — selbst verworfen!«

      »Nein, Mädchen, verstelle Dich nicht. Er ist’s, den Du mir vorziehst, den schlanken, blauen Kavalier, den Herrn Tugendspiegel mit dem ewigen Lächeln und den verführerischen Worten, der mir alles stiehlt, alle meine Wege kreuzt und mich nicht mehr atmen lässt. Aber ich will mit ihm abrechnen, glatt und schnell, und auf Dein Gewissen allein lad’ ich alle Folgen!!« —

      Außer sich stürzte er hinweg und schloss sich ins Wohngemach. Jeany stand wie vernichtet. Dann fuhr sie auf und blickte starr vor sich hin.

      »Das, Herr der Gnade, das darf nimmer geschehen! Du wirst Deinen Erwählten nicht verlassen!«

      Edwards tiefe Abneigung gegen William, durch eine Eifersucht verstärkt, deren blinde Wildheit nur aus dem langen Zwang erklärt werden kann, den er seinen Leidenschaften angetan, hatte nunmehr die Höhe erreicht, welche ihn zu jeder Abscheulichkeit fähig machte, sobald sie ihn nur von demjenigen befreite, in welchem er den Todfeind und glücklichen Nebenbuhler in allem sah, was er Lebensglück nannte. Das Gefühl seiner eignen körperlichen Ohnmacht, die Furcht allein, sich durch eine gewaltsame Tat selbst zu verderben, hielt ihn noch ab. Dafür gab’s aber in London Rat. —

      Dass er über einem heillosen Plane von Stund’ an brüte, es auf irgendeine Art mit den Brüdern ein schlechtes Ende nehmen musste, verriet Edwards scheues, lauerndes Benehmen, dies Starren, In-sich-hinein-Flüstern, sobald er allein war, und dass er den forschenden Blick Doderidges mied. Jeany hatte diesem ihre schweren Besorgnisse mitgeteilt, war seit Edwards Gespräch mit ihr sofort gegen William höchst zurückhaltend geworden und wich ihm aus, wo es schicklicher Weise nur geschehen konnte, ohne geradezu zu beleidigen. Gern hätte Doderidge William von der Werbung Edwards wie dessen Eifersucht in Kenntnis gesetzt und ihn gewarnt. Aber ersteres unterließ er auf Jeanys flehentliche Bitten. Die Tränen, welche ihr die Scham bei dem Gedanken auspresste, William könne eine solche Eröffnung anders auffassen, in derselben vielleicht nur eine ehrgeizige Spekulation erblicken, von welcher die Puritanerin sehr weit entfernt war, ließen ihren Bruder Josuah schweigen. Sie bestand darauf, dass diese Werbung als gar nicht geschehen angesehen werde, und Doderidge gab ihren Gründen umso mehr nach, da es allerdings außer der Möglichkeit lag, der Hofschneider könne jemals seine Einwilligung zur Verbindung eines seiner Söhne mit einem armen Mädchen von so niederer Herkunft geben, deren Glaubenslehren nicht nur verfolgt wurden, sondern auch für schimpflich und gottlos galten. Sir Craven, der ehemalige Lordmayor, wäre ja aus der Gilde gestoßen, von der Liste der Aldermans gestrichen worden, hätte Hofgunst und öffentliche Achtung eingebüßt, wenn er seine Familie so erniedrigt hätte. Wo also jede Voraussetzung eines solchen Falls aufhörte, erschienen alle Befürchtungen, die man gegen William aussprechen mochte, überaus gewagt. Dass Edward dies nicht selbst einsah, und wie töricht seine Eifersucht sei, dass er ferner Williams Gefühle nicht besser kannte, bewies, wie die Leidenschaft seiner Neigung aller vernünftigen Schranken spotte, und, weil er Jeany blind liebte, ohne die Unmöglichkeit seiner Werbung zu bedenken, er umso mehr eine gleiche Leidenschaft bei seinem Bruder voraussetzte. William endlich bloß vor Edward im Allgemeinen zu warnen, ohne ihm Gründe anzugeben, war ebenso widersinnig und hieß Zwietracht säen, ohne ihre Quelle zu verstopfen.

      »Sei getrost, Mädchen«, sagte Doderidge; »der, dessen Auge die Schatten der Nacht und die Rinde der Erde so gut durchdringt, wie die Herzen der Boshaften, wird auch seine Rechte recken über ihn als Schirm, ich aber will sein Wächter sein und zu ihm stehn, wie Jonathan zu David!«

      Die Geschwister kamen nun gewissenhaft überein, Edward unter die strengste heimliche Kontrolle zu stellen, namentlich sollte ihn Doderidge, so oft er allein, besonders zu ungewohnter Zeit ausgehe, was jetzt öfter geschah, genau beobachten, um allen Übeln zuvorzukommen, welche derselbe etwa gegen William ins Werk zu setzen versuche.

      Von dem, was um ihn vorging, hatte der blaue Kavalier keinen Begriff. Er bemerkte nicht einmal das zurückhaltende Benehmen Jeanys. Zwar sah er ein, alles Entgegenkommen nütze ihm bei Edward nichts, ja, derselbe sei misstrauischer, bitterer denn sonst, aber William hatte die Zuversicht, dass er doch einst seines Bruders Hartherzigkeit durch Mittel besiegen werde, denen kein menschlich Herz so leicht widerstand. Andre Dinge gingen ihm im Kopfe herum, und wenn auch durch dieselben sein Glauben an die Kraft der Überzeugungen, die nun sein Herz mit Frieden füllten, nicht gerade getrübt ward, sein Gemüt wurde doch von ihnen herabgestimmt.

      Die Dinge der Außenwelt zogen ihn mehr als sonst, mehr als er wollte, vom Vaterhause ab. Es gibt einen Trübsinn, den die festeste Zuversicht nicht immer bemeistern kann.

      Zu demselben war reichlicher und zwiefacher Anlass.

      Selbst Leute, die viel weniger den Gang der Weltereignisse zu beachten pflegten, als William, sahen bereits mit höchst besorgten Blicken in die Zukunft. —

      Das Regiment der toten Elisabeth war ein volkstümliches unter despotischen Formen gewesen, es hatte einem Volke gegolten, das unter ihr erst in die Reihe der großen Staaten getreten war und seinen Handel und Wandel kaum in Blüte gebracht hatte. Jakobs I. Regiment aber war ein despotisches, das sich in volkstümliche Formen hüllte, und zwar einer Generation gegenüber, die nicht bloß weit selbstbewusster, gereifter war, sondern sich auch bereits eines Reichtums, einer industriellen und merkantilischen Macht erfreute, welche nur bei einer offenen, reellen und kraftvollen Politik gedeihen konnte. Elisabeth, bei aller ihrer Schwäche, wusste genau, wie weit sie bei der Nation gehen konnte. Als gegen Ende ihres Lebens das Parlament zum ersten Male wider die Monopole einmütig aufgetreten war, hatte sie sich beeilt, der Nation auf halbem Wege entgegen zu kommen; die Monopole waren gefallen. Es kam ihr auch nie in den Sinn, zu leugnen, dass sie ihre Krone vom Volke habe, denn Erringung der Volksliebe war gerade das große Geschäft ihres Lebens gewesen, und selbst in den Herzen der finstern Puritaner, die sie doch brav gehetzt hatte, wurde ihr Andenken als das einer großen Königin geehrt. Jakob dagegen hatte das für jeden Engländer unerhörte Dogma aufgebracht, »er habe seine Krone allein von Gott, und es sei bloß guter Wille, wenn er dem Parlamente gestatte, bei gewissen Dingen mitzureden«. Das Günstlingswesen, der Druck der Monopole war zehnfach schlimmer wiedergekehrt, die Gelder des Staates waren sinnlos in Nichtigkeiten verschwendet worden. Der Handel mit Ämtern und Titeln hatte als neue unbekannte Plage begonnen.

      England, das einst Spaniens Weltmacht niedergeworfen, war im Ansehen Europas unter Dänemark herabgesunken, und Jakobs klägliche Art, das königliche Amt zu verwalten, hatte dahin geführt, das demokratische Prinzip zur Blüte zu bringen. Das war der trübe Hintergrund dieser Epoche, die Quelle aller künftigen Erschütterungen. Ohnmächtiger, wie Jakob gewesen, da er Elisabeths leeren Sitz eingenommen hatte, war er im März 1625 ins Grab gesunken. Außer dem bittern Andenken an Rochesters und Bacons skandalösen Fall, und dass er Elisabeth von der Pfalz um der spanischen Heirat Willen dem Kaiser preisgegeben, einer Heirat, die dennoch nicht zustande gekommen war, hinterließ er seinem träumerischen Sohne Carl, den seine jüngst erkorene Gemahlin Henriette von Frankreich und Buckingham, sein Günstling, lenkten, eine mächtig erstarkte Opposition, erschöpfte Finanzen, königlichen Allmachtsdünkel und alle Folgen seiner unredlichen und feigen Politik. Der ewig witzelnde Hof von St. Germain machte auf ihn den verächtlichen Vers:

      Tandis qu’ Elisabeth fut Roi,

      l’Anglais fut d‘Espagne l’effroi,

      Maintenant,