Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
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wünschte, ich könnte sterben, William; mir wäre dann besser!«

      »Kein Sterben ist aber ohne — Auferstehen! Aus dem Leben feige entfliehen wollen, ist Torheit, denn der Tod ist nur die Pforte einer — andern Welt. Hast Du noch immer Furcht?«

      »Je mehr ich mich verschuldet und verdammt fühle, und an Dir, Bruder, desto schrecklicher ist mir jeder Schritt, jeder neue Atemzug, den ich tue!«

      »Wir sind zur Stelle, drüben an der Ecke der Grubstreet ist Welbys Haus. Wenn die Furcht Gottes der Weisheit Anfang ist, Edward, dann ist Gewissensfurcht Anfang der — Bess’rung. Dein alter Mensch geht in dies Haus hinein, lass’ ihn — dort sterben! Neu tritt aus dieser Pforte, und neu wird Dir das Leben sein. Deine Hand, folge mir!«

      Sie schritten auf das erwähnte Haus zu.

      Grau und finster, ein sonderbares Ding, für ein gewöhnliches Haus zu hoch für einen Turm zu breit, ein Würfel von uraltem Gemäuer lag es da, fast einem viereckigen Kastell vergleichbar, zumal seine weite Fassade nur drei breite gotische Fenster hatte. Es mochte augenscheinlich einst zu den Befestigungen gehört haben, welche die alten britischen Könige gegen ihre Feinde im Innern des Landes, namentlich die Waliser, errichtet hatten.

      William zog Edward vorwärts, und in verzweifelter Stumpfheit überließ sich derselbe willenlos allem Kommenden. Die Tür sprang auf, sie traten ein, die Pforte fiel rasselnd zu, dass alle Glieder Edwards bebten.

      »Ich muss Dich hier verlassen, doch nur auf kurze Zeit. Geh’ jene Treppe da hinab, sie führt Dich zu einer Tür. Durch diese tritt ein. Du findest dort — Deine Arbeit.«

      Ehe Edward ihm etwas erwidern konnte, war William durch eine Seitentür verschwunden.

      Die tiefe Stille dieser düstern Hallen vermehrte nur noch den Schrecken und die Bangigkeit, welche er empfand. Hätte er fliehen können, er hätte es in diesem Augenblicke gewiss getan, aber die Haustür war zu, und nirgend sah er in dem weitläufigen, gewölbten Raume eine Möglichkeit zum Entrinnen. Bebenden Schritts folgte er der erhaltenen Weisung und stieg langsam die Treppe hinab, die ins Dunkle, Unterirdische zu führen schien, bis er endlich gegen ein Pförtchen rannte, das er nicht hatte erkennen können. —

      Es sprang auf. — Einer Lampe matter Schein, der auf die angrenzenden Wände fiel, ließ ihn undeutlich erkennen, dass er sich in einem ziemlich weiten Gemach befand. Ratlos umherblickend und seiner Sinne kaum Herr mehr, blieb er stehen. — Die Flamme ward voller, heller. Er erkannte die Gestalt eines alten Mannes, die unter derselben auf mächtigem Eichenstuhle hinter dunkel verhangenem Tische saß. Zwei Sessel standen links und rechts an den Wänden.

      »Setze Dich dorthin!« klang des Unbekannten Stimme, und er deutete auf den linken Sitz.

      Der junge Mann gehorchte. — Ihm war es, wie wenn ein Flüstern rings sich erhöbe.

      »Edward Craven, Dein jahrelanger Hass gegen William, Deinen eignen Bruder, die wilden Wünsche Deines selbstsüchtigen Herzens haben Dich dahin gebracht, gestern Nacht im Temple Mörder zu dingen, um Dich von ihm zu befreien! Was Dein Herz überwinden und Dein Hirn ausbrüten konnte, muss auch Dein Auge zu sehen imstande sein. — William soll hier vor Dir sterben! Du wirst das Totenkleid ihm nähen! Das ist die Arbeit, die Deiner wartet!«

      Ein Schlag, der durch den Raum dröhnte, erstickte jeden Laut, welcher den Lippen des Verratenen entfliehen wollte.

      William stand vor ihm mitten im Gemach. Es war, als sei er plötzlich aus dem leblosen Gestein der gegenüberliegenden Wand gekommen. Zu gleicher Zeit öffnete sich eine andere Tür, die beiden ihm allzu wohl bekannten Raufer Fiery und Rore traten, sich erschrocken umblickend, ein.

      »Zieht Eure Waffen! Auf den Wink dessen, der Euch gestern im Temple gedungen, tut hier sogleich Euer Werk!« —

      Verdutzt und an allen Gliedern bebend, wendeten die Mörder ihr fahles Antlitz zu Edward. — —

      Derselbe stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Er stürzte zu seinem Bruder und umklammerte ihn fest.

      »Erbarmen! Tut ihm kein Leid, ich widerrufe meinen Auftrag! Mich, mich schafft aus dieser Welt, die ich geschändet habe, sie soll ein Ungeheuer, wie ich bin, nicht mehr tragen! O Du unerforschlicher, allmächtiger Manu, der Du gleich Gott die Frevel wunderbar entdeckst und verderbliche Gedanken in der Menschenbrust liest, richte Du mich! Tu’ mir, was ich verdiente! Nur lass mich nicht ganz ohne Hoffnung, ohne Versöhnung von hinnen gehen!«

      Weinend hielten die Brüder sich umschlungen. Das Ungeheure, Unmittelbare hatte Edward niedergeworfen.

      »Verzeih’ mir, William! O verzeih’, ich —«

      Ohnmächtig glitt er zu Williams Füßen nieder. — —

      Es war ein langer, schwerer Traum, ein tiefer Schlaf, aus dem er erwachte. Wie Blumenduft und Frühlingsodem wehte es ihn an. —

      Als er das Auge aufschlug, blendete ihn Lichterglanz. Feierlich und wehmütig, sanft wie Orgelton und Engelssänge umtönte es ihn. Zweie, die still neben ihm gesessen, William und jener furchtbare Mann aus dem finstern Gemache, standen vor ihm.

      »Sieh auf«, sagte der Alte, und unaussprechliche Freude durchglühte sein Gesicht, das schneeige Locken umwallten. »Die Bruderliebe hat Dich gerettet und erneut. Sei neugeboren für das Leben und fühle das Glück, ein Mensch zu sein. Dann wirst Du wert des Bruderbundes sein, der hier uns eint, wert der Arbeit, die wir hier treiben, und würdig des Lohns, den Dir der Meister einst geben wird, der Erde und Meer, den Glühwurm wie den Sternenreigen gemacht hat! Auch ich, den sie den Esquire Welby nennen, hatte einst einen Bruder, den Geldgier, Neid, Eifersucht und gemeine Triebe dahin geführt, die Hand gegen mich zu heben. Er starb, glücklich und versöhnt. In der Liebe schönen Taten hat er ausgelöscht, was er gewesen, und sein Leib ruht in dem finstren Gemache an der Stelle von allen Erdenkämpfen aus, wo Du Deine Schuld bekannt hast. Über seiner Asche sollten alle die bekennen und alle die büßen, die gleich ihm gefehlt, das war sein letzter Wille. Erhebe Dich, Wiedergeborener! Vergessen, begraben ist, was Du gewesen!«

      William umarmte Edward und zog ihn empor.

      In langem, schmerzvoll-seligem Weinen hing Edward an seinem Halse und wollte ihn gar nicht lassen.

      »Ermanne Dich und werde fröhlich. Hier wirst Du lernen, Jeanys wert und selbst im größten Lebensschmerz beglückt zu werden«, flüsterte William.

      Edward ergriff hastig des Esquire Hand und presste sie an seine Lippen.

      »Auf meinen Knien möchte’ ich Euch danken, Sir!«

      »Hier gibt es keine Sirs, nichts Reiches und nichts Hohes, nur Brüder. Schließ’, was Du hier erlebt und erleben wirst, als Heiligtum in Deines Herzens Tiefe. Nur Deine Taten sollen draußen beweisen, was Du geworden bist; folge mir!«

      Ein hohes Portal sprang auf, eine Fülle von Licht strömte herein. Edward glaubte, er sei einer der Erlösten im Paradiese, und aller Erdenjammer falle von ihm ab. —

      Die Brüder waren drei Tage später nach Cravenhaus zurückgekehrt. Das Erstaunen des Hauses, namentlich Doderidges und Jeanys, über Edwards Veränderung war ganz unbeschreiblich. Seine Hingebung, ja Unterordnung gegen William, seine Freundlichkeit und eine Art von Demut, die er sonst nicht gekannt, dazu eine heitere, männliche Ruhe und Klarheit ließen ihn fast als ein anderes Wesen erscheinen. Er zeigte plötzlich für Dinge Wärme und Teilnahme, welche er sonst übersehen hatte, namentlich für das Wohlbefinden und Glück derer, die seines Vaters Brot aßen. Kurz, Cravenhaus ward im Laufe der Zeiten unmerklich eine Stätte, wo Glück und Zufriedenheit zu wohnen begannen.

      »Miss Jeany«, sagte bald nach seiner Rückkehr Edward, »habe ich Euch wehe getan, verzeiht mir wie eine Christin. Was Leidenschaft gefehlt, lasst es Demut büßen. Ihr hattet Recht. Wer den Bruder nicht einmal liebte, wie will der sonst wem Liebe einflößen! Eine gute Lehre, die ich zu Herzen nahm, Gott segne Euch dafür.«

      Sie errötete tief und gab ihm die Hand. —

      »Wenn Ihr mit Reue Euer Herz erfüllet, dann hat sie der Engel des Herrn auch vor des