Der blaue Kavalier. Albert Emil Brachvogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Emil Brachvogel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183724
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Deutschland indes warf Wallenstein alles vor sich nieder. Ein protestantischer Streiter um den andern erlahmte in dieser Kriegshetze, Blatt um Blatt fiel von dem Hoffnungsbaume der betrogenen Elisabeth, und jeder Vernünftige musste sich sagen, dass die Zukunft nur noch Trüberes versprach. Das war wohl Grund genug für Williams Herz, sich dem Unmut und der Trauer zu übergeben, mochte er auch noch so sehr vertrauen, dass es nicht so bleiben, der Leiter der Weltgeschicke solch allgemeines Unheil nicht ewig dauern lassen werde.

      Um diese Zeit nahm Edward plötzlich wieder die Miene des Arglosen, Freundlichen an, tat gerade so, als habe er nie an Jeany gedacht, und wie wenn keinerlei Übelwollen gegen William in ihm wohne. Er hatte endlich seinen Plan gefasst, er bedurfte nur der Ausführung.

      Eines Abends, der Alte schlief schon, Maggy saß noch bei William auf dessen Zimmer, denn er pflegte ihr oft vorzulesen, war’s, dass Edward in den Mantel gewickelt fortschlich, sorgsam das Haus schloss und durch Wichstreet, bei Holwell und Essexstreet vorbei eilig seinen Weg den Strand östlich bis zur Fleet nahm und durch Temple-Bar in das abgeschlossene und unheimliche Revier trat, welches zu der Zeit der alte Temple und Blackfriars bildeten. Dieser düstere, isolierte Stadtteil, längst von den Tempelrittern und dem Orden der schwarzen Büßer verlassen, war Zufluchtsort aller derjenigen geworden, die den Arm des Gesetzes zu meiden Ursache hatten. Der Abschaum der Londoner Verbrecherwelt, der Liederlichen und Herabgekommenen oder solcher, die nur noch im gewaltsamen Umstürzen aller bürgerlichen Ordnung sich emporbringen konnten, fand hier seine Heimat, und die klägliche Handhabung der damaligen Polizei bewies sich gänzlich unfähig, diese Brut aus ihren Schlupfwinkeln zu vertreiben. Unter Jakob I. zumal hatte sich hier ein förmlicher Staat im Staate gebildet, der seine eigene Obrigkeit und Organisation besaß, durch das Recht des Stärkeren in Ordnung gehalten wurde und bei allen Gelegenheiten, wo es galt der Obrigkeit zu trotzen, eine heillose Verbrüderung bildete, zu blutigem Widerstande stets bereit. Ein Regiment Soldaten hätte genügt, diese Hornisse auszutreiben, aber Soldaten kannte man zur Zeit in England nicht, und die Miliz von London bildete die einzige Sicherheit der Hauptstadt, die geringe adlige Leibgarde des Königs abgerechnet. So schlagfertig erstere auch bei jeder öffentlichen Gefahr dastand, oft genug die Empörung gedämpft und fremden Eindringlingen die Stirn geboten hatte, aber Polizeidienste zu tun verschmähte sie.

      Das Gesindel blieb daher unbelästigt mitten im Herzen der Einwohnerschaft. —

      Wie alles übertäubend musste der leidenschaftliche Hass in Edward nicht gären, da derselbe seine sonstige Furcht gänzlich überwunden hatte und unempfindlich für die Gefahren geworden war, denen er sich in diesen Regionen aussetzte. So tief in sein heilloses Brüten war er versenkt, dass er nicht bemerkte, wie Doderidge ihm fast auf dem Fuße folgte.

      Durch verschiedene winklige Gässchen, von Baracken und Häusern eingefasst, denen man das Elend und die Verworfenheit ansah, gelangte der Sohn des Schneiders endlich zu einer Taverne, die den Namen »Der lustige Holländer« führte, und in welcher die Lustigkeit in der Tat einen Grad erreicht zu haben schien, der ziemlich an Raserei grenzte.

      Edward stand still, horchte, sah sich zögernd um und trat rasch ins Haus.

      Doderidge hätte notwendigerweise von ihm bemerkt werden müssen, wäre er nicht zu rechter Zeit hinter den dicken Pfeiler eines vorspringenden Torweges geschlüpft, der sich dicht, bei der Tür der Schänke befand.

      Edward in dieselbe zu folgen, konnte nur seine Entdeckung und einen sicheren Untergang zur Folge haben.

      Doderidge beschloss deshalb, in seinem notdürftigen Versteck zu bleiben und Edward zu erwarten, vielleicht dass bei ihm dann eine Sinnesänderung zu bewirken war, sobald er sich bei seinem bübischen Anschlage ertappt sah.

      Ein Zwischenraum des Torgebälks, das ihn schützte, vergönnte ihm, die Schänke im Auge zu behalten, vor der eine trübe Laterne schwankte und ihren matten Schein auf das Schild zum lustigen Holländer und die nächste Umgebung ausgoss. In der Straße war’s öde.

      Hin und wieder nur huschte eine zerlumpte Gestalt vorüber, und das Gebrüll der Zecher nebenan klang weit durch die Nacht. Länger denn eine Stunde harrte er in peinigender Ungewissheit und Sorge.

      Endlich öffnete sich die Schänke, Edward und drei andere traten heraus.

      »Also von morgen früh an«, sagte Edward rau. »Ihr trefft ihn, wo Ihr ihn findet!« —

      »Ihr sollt mit uns zufrieden sein, Herr«, versetzte ein langer Kerl, dessen Raufdegen gegen das Pflaster klirrte. »Kommt denn und zeigt mir das Haus in Drurylane, damit man weiß, wo des Vogels Nest ist. In einer Stunde bin ich zurück, Crivor! Haltet ’n steifen Trunk bereit!«

      »Sollst ihn haben, Rore, so stark als ihn Dein Stierschädel immer vertragen kann.«

      Schritte klangen. Edward kam mit dem Raufbold vorüber, einem würdigen Exemplare jener Menschengattung, welche man Londoner Brüllbuben nannte, und die, den italienischen Bravis gleich, ihre Klingen dem Meistbietenden ganz unbedenklich zu verhandeln pflegten.

      Die beiden andern, von denen der kurze Dicke mit rot gedunsenem Gesicht sich durch die Schürze als der würdige Inhaber der Spelunke erwies, der zweite vermöge des Stoßdegens und Schlapphuts aber das Pendant zu Edwards Begleiter bildete, sahen den Dahineilenden nach und flüsterten eine ganze Weile. Dann traten sie ins Haus zurück und schlossen die Tür. Angstschweiß stand auf Josuah Doderidges Stirn, seine schlimmsten Befürchtungen waren bestätigt. Edward hatte Mörder für den eigenen Bruder gedungen, jetzt zeigte er einem von ihnen die Gelegenheit. Zitternd verließ der Puritaner sein Versteck und eilte dem verworfenen Sohne seines Meisters nach. So schnell er indes auch lief, derselbe war ihm längst aus dem Gesichte. Der Raufer wusste unfehlbar in dem Häuser und Straßen-Labyrinthe viel besser als er Bescheid und hatte Edward einen näheren Weg geführt. Denn als Doderidge an der südlichen Ecke der Drurylane anlangte, kehrte Rore der Raufer bereits zurück und schritt der Wichstreet zu.

      Doderidge fand vor Cravenhaus alles still, Edward längst daheim; er war zu spät gekommen.

      Jetzt noch Einlass zu begehren, offen zu sagen, was er wusste, hätte nur eine Katastrophe in der Familie herbeigeführt, ihn nutzlos selber gefährdet, vielleicht William aber nur desto sicherer ins Verderben gebracht. Denselben ins Geheime zu warnen war das einzige, was er einstweilen tun konnte. Traurig ging er nach Haus und legte sich nieder, ohne Jeany seine Entdeckung mitzuteilen, damit diese in ihrer Angst sich morgen nicht verrate. Die ganze Nacht tat er kein Auge zu, und kaum graute der Tag, so stand er schon vor dem Cravenhause, damit William nicht dasselbe ohne sein Wissen verlasse, ehe er Zeit gewonnen, mit ihm zu sprechen.

      Niemand hatte eine Ahnung des Unheils, welches bevorstand. Edward war in sich gekehrt und still, er suchte unter übereifriger Arbeit zu verbergen, was in ihm vorging. Nur wenn sein scheues Auge sich erhob und Doderidges forschenden Blick traf, lief es wie ein Schauer über ihn hin. Die Regsamkeit der vielen Menschen, das Treiben des Geschäfts, vor allem des Meisters gewöhnliche Redseligkeit, verhinderten Doderidge, eine Frage an Edward zu richten, welche ihn etwa einschüchtern konnte. Was war auch damit getan? Was geschehen sollte, geschah darum doch. Eine kurze Abwesenheit Sir Cravens benutzte indes Josuah, hinüber zu William zu schlüpfen, der sich gerade zum Ausgehen rüstete.

      »Wollt Ihr weg, Sir?«

      »Gewiss, Freund. ’s ist ja die Zeit, wo ich auf dem Schottenhofe meine Fechtübungen zu machen pflege. Man kann heutzutage nie wissen, wie bald man’s einmal ernstlich braucht.«

      »Geht nicht aus! Bei der Gnade der Gerechten, geht nicht aus, wenn Euer Wohl Euch lieb ist!«

      »Bist Du närrisch? Und dies blasse Gesicht, dieser schreckhafte Blick! Was fällt Dir denn ein?«

      »Ihr gleicht einem lächelnden Kinde, das Blumen pflückt und den Molch nicht ahnt, der drunter lauert. Ich sage Euch nur eins, und möge ich fallen in die Hand des Verderbers hier und dort, wenn ich lüge, aber — hütet Euch vor Eurem Bruder, damit der Tag von Kain und Abel in diesem Hause sich nicht erneuere!«

      William fuhr zurück.

      »Mensch, Du siehst Gespenster am hellen Tage! Unnatürlich ist, was Du sagst! Wohl seh’ ich, dass meine größte Willfährigkeit