„Klar.“ Melanie grinste.
Im Essensraum herrschte große Aufregung: Die Zeitung war angekommen. Sie hatten die Zeitung Bei Tag und Nacht auf eine Adresse in der Nähe eines Portals abonniert, die jeweils einer der Leiter abholen ging. Heute machte wieder mal das Mädchen in Schwarz eine große Schlagzeile. Alle redeten wie wild durcheinander.
„Seit drei Nächten nicht mehr aktiv?“, las Caroline den Titel vor.
Melanie schloss die Tür hinter sich und stellte sich neben Caroline, um einen Blick auf die Zeitung werfen zu können, die diese in der Hand hielt.
„Vielleicht traut sie sich nicht mehr?“, mutmaßte Jack, der Caroline gegenüber stand.
„Was steht denn da?“, wollte Emma wissen.
Caroline las vor. „Das Mädchen in Schwarz wurde seit Donnerstagnacht nicht mehr gesehen. An Opfern jedoch fehlt es noch immer nicht.
Am Samstag gab es ein weiteres Vergewaltigungsopfer, das noch am selben Tag die Polizei verständigte. Journalisten spekulieren darüber, ob die dunkle Retterin nicht entlarvt werden möchten, und sich deswegen versteckt hält.“ Caroline überflog den Artikel. „Sonst steht nichts Wichtiges mehr drin.“
Ramón runzelte die Stirn. „Wahrscheinlich hast du Recht, Jack. Aber ich hoffe, sie kommt wieder.“
„Da steht gar nicht, wie der Fall von Samstag ausgegangen ist“, warf Melanie nervös ein, ihr Magen hatte sich schmerzhaft zusammengezogen.
Caroline schnaubte. „Sie können ja nicht schreiben: Da wir zu blöd sind, die Attentäter zu stoppen, konnten wir auch diesen Täter nicht fassen.“
Melanie musste gegen ihren Willen lachen. „Eigentlich total lächerlich. Dass die auf so ein Mädchen angewiesen sind, meine ich.“ Ein paar Umstehende murmelten zustimmend.
Daniel wedelte mit einer anderen Zeitung herum. „Im TagesBild gibt es auch eine Artikel: Das Mädchen in Schwarz gibt auf? Seit drei Tagen ist das Mädchen in Schwarz nicht mehr auf der Bildfläche erschienen, obwohl es weiterhin Opfer gegeben hat. Gibt es dafür tiefgehende Gründe oder wird es der dunklen Retterin einfach zu viel? Die ...“
„Was?“, protestierte Zoé empört und schnitt Daniel somit das Wort ab. „Das klingt so, als sei sie eine Privatdetektivin, die ihren Job gekündigt hat!“
Wieder brach eine Diskussion aus und es wurden noch viele weitere Artikel vorgelesen, unter anderem auch aus der TierWoche. Melanie konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen: Sie hatten hier tatsächlich die TierWoche abonniert! Bis zum Ende des Frühstücks blieb das Thema dasselbe: Wo war das Mädchen in Schwarz? Weshalb macht sie nach drei Jahren ausgerechnet jetzt eine Pause? Wie hatte sie es so lange geschafft, nicht erkannt zu werden und ausgerechnet am Donnerstag sah man ihr Gesicht?
Niemand fand eine Antwort darauf.
Kurze Zeit später gingen Emma und Melanie nebeneinander auf die Turnhalle zu. In der ersten Stunde stand für sie Kampftraining auf dem Plan.
„Die Halle ist verzaubert“, erklärte ihr Emma gerade, die locker gleich zwei Doktorarbeiten über das Land der Nacht schreiben könnte. „Einer der ersten Nachkommen von Cataara hat einen starken Zauber entwickelt, der unendlich lange anhält. Dank ihm werden alle Verletzungen, die in dieser Turnhalle zugefügt werden, beim Hinaustreten wieder auf das Minimum geheilt. Mit einer Ausnahme: Wenn die Menschen bereits tot sind, kommen sie nicht zurück. Deshalb nehmen wir kaum Rücksicht aufeinander und können viel härter trainieren als andere Camps.“
Melanie zog verwundert die Augenbrauen zusammen. „Gibt es diese Turnhalle schon so lange?“ Das ovale Betongebäude mit den kleinen Fenstern und schmalen, unscheinbaren Türen sah nicht besonders alt aus.
„Nein“, widersprach Emma belustigt. „Aber früher stand hier eine Arena in dieser Form.“
„Ach so“, sagte Melanie etwas beschämt. War ja klar. Nun waren sie an einer der vielen Türen angekommen und Emma stieß sie auf. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner Vorraum, links waren Toiletten, rechts zwei Umkleidekabinen, eine für Mädchen und eine für Jungs ausgeschildert.
„Komm mit, in 15 Minuten müssen wir bereit sein.“ Emma nahm Melanie bei der Hand und führte sie in die Mädchenkabine.
Als Melanie den vertrauten Geruch von Schweiß wahrnahm, fühlte sie sich schon wohler. Früher hatte sie viel Zeit mit Sport verbracht und da gehörten Umkleidekabinen unweigerlich dazu. Emma zeigte ihr, was sie anziehen musste und in Windeseile waren die beiden umgezogen. In engen, schwarzen Stoffhosen und einem kurzärmligen T-Shirt desselben Stoffes gingen sie in den nächsten Raum. Dort hatten sich bereits Emanuel, Jack, Daniel, Caroline, Ramón und Zoé versammelt und riefen sich belanglose Dinge durch den Raum zu.
Emma erhob ebenfalls die Stimme. „Hier rüsten wir uns je nach angesagter Sportart aus und nehmen uns entsprechende Waffen.“ Sie deutete nach rechts, wo an der Wand entlang ein großes Regal mit Kampfkleidern in jeglicher Größe stand. Gegenüber der Tür, durch die Melanie hereingekommen war, hingen an der Wand mindestens hundert Waffen. Sie riss beeindruckt die Augen auf.
„Keine Angst, das sind nicht alle.“ Emma grinste sie an und zeigte nach rechts durch eine Tür, die in die eigentliche Turnhalle führte. „Dort gibt es noch mehr Regale mit Waffen.“
Melanie öffnete den Mund, bekam aber keinen Ton heraus. In einer Kiste entdeckte sie Bandagen, die man fürs Boxen brauchte.
Emma lachte und zog sie mit zu den Kleiderregalen. „Komm, sonst sind wir zu spät.“ In der Tat waren schon ein paar Schüler in die Turnhalle gegangen.
Rasch reichte Emma ihr eine lederne Weste mit Reißverschluss, sowie Knie- und Wadenschoner. Dann gingen sie den anderen in die Turnhalle nach, wo sie in einer Gruppe standen und warteten, dass John den Unterricht begann. Sie gesellten sich dazu, als Emanuel sich gerade umdrehte und Emma ihre Chance ergriff und ihn anlächelte. Um ihr ihre Privatsphäre zu lassen, wandte sich Melanie leicht nach links und wurde sogleich von Jack angesprochen.
„Hey, freust du dich schon auf deinen Kampf mit John?“ Er grinste und fuhr sich unnachahmlich cool mit der Hand durch die Haare.
Melanie hob erstaunt die Augenbrauen. „Kampf mit John?“
Jack wirkte überrascht. „Wusstest du das nicht? So ziemlich jeder Neue muss gegen John kämpfen, damit er dich in eine Gruppe einteilen kann. Wenn du noch gar nicht kämpfen kannst, kannst du ihm das auch sagen und er steckt dich in die Anfängergruppe.“ Pff, bestimmt nicht!
„Und wenn ich einfach durchschnittlich bin?“
„Dann kommst du zu uns.“ Jack zwinkerte ihr zu.
Melanie legte den Kopf schief und fragte frech: „Und ihr schaut alle zu, wie ich John fertigmache?“
Jack lachte. „Nein, wir müssen was anderes machen.“
Erleichtert nickte Melanie. Bevor sie Zeit hatte, etwas zu erwidern, verstummten alle Gespräche und die Schüler drehten sich zur Tür um.
Als die Zeiger der Uhr auf 8:30 Uhr rückten, betrat John den Raum.
Er hatte tatsächlich Charisma, das musste Melanie zugeben. Obwohl er eher klein war, hatte er einen kräftigen Körperbau und war ebenso wie die Schüler in der schwarzen Ausrüstung gekleidet. Er stellte sich so hin, dass alle ihn sehen konnten, und begrüßte sie mit einem Lächeln. Aus einem unerklärlichen Grund wäre es Melanie nicht im Traum eingefallen, sich jetzt mit einem Schüler zu unterhalten, auch wenn das früher üblich gewesen war.
„Guten Morgen! Heute werden wir wieder an die Nahkampftechnik gehen. Ich möchte, dass ihr in Zweier- oder Dreiergruppen zusammengeht und das bisher Gelernte auffrischt.“ Sein Blick glitt über die Schüler und blieb schließlich an Melanie hängen. Melanie wurde nervös. Was will er jetzt sagen?
„Währenddessen