„Miami?“, fragte Melanie ungläubig nach und hob die Augenbrauen. Er sah nicht wie ein Typ aus Miami aus …
„Ich habe in Amerika gelebt“, betonte er und warf ihr kurz einen Blick zu. „Aber ich wuchs in einem spanischsprechenden Viertel auf.“ Nervös spielte er mit seinem Shirt. „Ursprünglich komme ich aber aus Jamaika“, beantwortete er die eigentliche Frage doch noch hastig.
Also stimmte das Latino.
„Ach so.“ Plötzlich war ihr ihre Frage peinlich, vor allem, da sie sah, dass er nicht darüber sprechen wollte. „Ich komme nur von hier.“ Sie machte grinsend eine ausholende Bewegung auf die Straße. „Da müssen wir übrigens rein.“ Melanie zeigte auf das klassische Haus direkt vor ihnen, froh, das Thema auf etwas anderes lenken zu können. Das würde vielleicht das letzte Mal für eine lange Zeit sein, dass sie ihr Haus sah.
„Gut, hast du eine Schlüssel?“ Daniel sah das Haus neugierig an.
„Ja.“ Melanie nahm den Karabinerhaken von ihrer Gürtelschlaufe, ging bis vors Haus und öffnete die Tür. Daniel folgte ihr hinein und sah sich vorsichtig um. Bevor sie ihren schwarzen Koffer holte, zeigte Melanie ihm noch die Küche und das Wohnzimmer und führte ihn anschließend in ihr Zimmer. Dann begann sie, sämtliche Kleider einzupacken, die sie in ihrem Schrank fand. Da Daniel ihr zur Hilfe kam, ging das Ganze ziemlich schnell und er arbeitete effizient mit.
Als sie die Kosmetiksachen wegpackte, schaute er mit großem Interesse ihren Stundenplan an, der immer noch an der Wand hing. Melanie beobachtete ihn ein paar Sekunden lang schweigend. „Es stört mich ja nicht, aber wieso bist du eigentlich mitgekommen?“, wollte sie dann unvermittelt wissen, in der Hand die Abschminktücher.
„Du hättest den Weg nicht alleine gefunden.“
Das stimmte. Melanie wusste keine Antwort darauf, stattdessen sagte sie: „Ich glaube, ich habe alles.“
„Wolltest du nicht noch deine Eltern benachrichtigen?“ Er hatte sich wieder zu ihr umgedreht.
Das hätte sie fast vergessen. „Stimmt. Ich, äh, schreib ihnen einfach eine E-Mail.“
„Du hast den Laptop schon eingepackt“, wandte Daniel mit einem trockenen Unterton ein.
Melanie stöhnte. „Ich nehme einfach ihren.“ Mit dem Koffer in der Hand bewegte sie sich auf die Zimmertür zu.
Daniel hielt ihr die Tür auf, woraufhin sie errötete, und trat nach ihr in den Gang. Bevor Melanie in das Arbeitszimmer ihrer Eltern ging, erklärte sie Daniel: „Meine Eltern arbeiten auch oft zu Hause, deshalb stehen hier Drucker und so herum.“ Sonst würde er vielleicht etwas schockiert sein über die Unordnung.
Zum Beweis stieß sie die Tür auf und machte eine ausholende Geste in den Raum hinein. Das Zimmer wäre geräumig gewesen, wenn er ordentlicher wäre. Aber mit all den Papieren, Notizen, dem Drucker und dem Computer sah es sehr chaotisch aus und wirkte nicht besonders groß – dennoch fühlte sich Melanie wohl in dem Büro, da sie schon viel Zeit darin verbracht hatte. Sie trat ein und setzte sich an den Schreibtisch, räumte Zeitungen von der Tastatur weg und startete den Computer. Erst dann bemerkte sie, dass Daniel verwirrt im Türrahmen stehengeblieben war.
„Willst du nicht reinkommen?“, fragte sie ihn verwundert.
Er fuhr sich mit der Hand durch die Locken. Offenbar tat er das, wenn er nervös war. „Äh, wie kannst du was sehen? Gibt es hier keine Licht?“
Melanie schaute für einen Moment verwirrt drein, dann sah sie nach oben – tatsächlich, sie hatte vergessen, das Licht anzuschalten. Für Daniel musste es stockfinster sein, da die Vorhänge zugezogen waren.
„Ups, sorry, hab ganz vergessen, dass ihr das immer macht.“ Sie errötete leicht, stand auf und knipste das Licht an.
Daniel sah sich neugierig um und setzte sich dann neben Melanie auf einen Stuhl.
„Wie meinst du das?“ Er war noch immer irritiert.
„Ich kann im Dunkeln sehen. Ich vergesse oft, dass es komisch ist, wenn man das Licht nicht anmacht, oder dass man dann normalerweise nichts sieht. Tut mir leid.“
„Kein Problem. Eine ziemlich coole Gabe, finde ich“, erwiderte Daniel. „Wie ist das denn? Siehst du alles einfach so, als wäre es hell? Passwort.“
„Hä? Was für ein Passwort?“
Daniel zeigte lachend auf den Computer. „Du musst das Passwort eingeben, mi cielo.“
Melanie lachte. „Ach so.“ Sie tippte es ein und antwortete gleichzeitig auf seine Frage. „Es ist schon dunkler, aber ich sehe einfach die Farben genauso gut und die Luft wirkt nicht ... schwarz.“ Es war schwer zu beschreiben, da sie ja nichts anderes kannte.
Daniel hob die Augenbrauen. „Und wissen das deine Eltern?“
„Ja, aber ich denke, sie glauben es nicht so ganz.“ Melanie loggte sich auf in ihrem E-Mail-Account ein und begann, die E-Mail zu schreiben.
„Das ist immer eine Gefahr.“ Während sie schrieb, glitt sein Blick über die vielen Unterlagen, die auf dem Schreibtisch verteilt herumlagen. Er zeigte auf ein von Hand beschriebenes Blatt Papier.
„Das kannst du auch.“
„Was?“ Erschrocken blickte sie ihn an. Was hatte er da entdeckt?
„Deine Eltern schreiben da eine Entwurf.“ Er hielt ihr das Blatt unter die Nase und beugte sich zu ihr herüber. „Aber in der Nacht sehen kannst du ja auch.“
Der Titel des Entwurfes lautete: Das Mädchen in Schwarz – wer und was ist sie? Darunter waren Eigenschaften aufgelistet und bestimmte Ereignisse, in die sie verwickelt gewesen war. Dafür hatten ihre Eltern Gemeinsamkeiten ihres Kampfstils mit diversen Kursen gesucht und versuchten gerade herauszufinden, in was für ein Tier sie sich verwandelte. Bisher waren sie bei einem Puma angekommen. Ziemlich oben stand: Kann wahrscheinlich in der Nacht sehen.
„Ach so. Ja, stimmt.“ Melanie runzelte die Stirn. Ihre Eltern hatten diese Liste noch nie erwähnt.
„Wir denken schon lange, dass sie eine Naimet ist, vielleicht sogar ein Tigermädchen.“
„Echt? Wieso?“ Melanie tippte weiter.
„Wegen dem Tier der Nacht. Es ist immer bei Vollmond.“ „Dann haltet mal nach Asiaten Ausschau.“ Daniel sah sie fragend an.
„Gestern wurde sie gesichtet. Ein Opfer konnte ihr Gesicht beschreiben: Dunkle Haut, asiatische, dunkle Augen und schwarzes Haar.“
Daniel war überaus erstaunt, abrupt drehte er sich zu ihr um. „Komisch. Drei Jahre lang kann sie ihr Gesicht verbergen und plötzlich sieht sie jemand?“
Melanie neigte den Kopf zur Seite und sendete die E-Mail ab, nachdem sie sie nochmals überflogen hatte. „Stimmt. Man vermutet, dass sie abgelenkt war.“ Sie blickte auf das Blatt, auf dem oben das Logo der TierWoche zu sehen war. „Die dunkle Retterin ist der einzige Mensch, über den sie berichten. Sonst schreiben meine Eltern bloß über Tiere.“
Daniel legte das Blatt zurück. „Finde ich eine gute Idee.“ Dann sah er sie plötzlich neugierig an und legte fragend den Kopf schief, als wüsste er nicht recht, wie er die Frage formulieren sollte. „Wie geht das eigentlich mit die Schatten? Das Zeug, das du mit ihnen anstellst?“ Seine Augen leuchteten und erst dann fiel Melanie wieder ein, dass er ja schon auf der Straße gesehen hatte, wie sie ihre Kräfte anwendete. Danach war er Zeuge bei der Reparatur ihrer Jacke geworden. Es war komisch, darüber zu sprechen, als sei es etwas Normales. Aber jetzt wusste sie, dass es in der Tat normal war – normal für Naimet jedenfalls. Und diese Gewissheit war bereits eine riesige Erleichterung für sie, denn von nun an würde sie an einem Ort sein, an dem sie nicht mehr abnormal war.
Sie lächelte ihn an. „Soll ich‘s dir