Tigermädchen. Delia Muñoz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Delia Muñoz
Издательство: Bookwire
Серия: Tigermädchen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748557203
Скачать книгу
schon bald, um rechtzeitig zum Reitunterricht zu erscheinen.

      „Kannst du schon ein bisschen reiten?“, fragte Emma plötzlich, als sie gerade das Hauptgebäude verließen.

      „Äh ... Ich war zwei Mal mit meinen Eltern auf einem Reiterhof und habe ein wenig reiten gelernt, aber nicht so richtig ...“, erklärte Melanie verwirrt und blickte Emma in die Augen. Die fand sie, ob mit oder ohne Wimperntusche, sehr interessant. Sie hatten, von den normalen Gefühlen in den Augen jedes Menschen mal abgesehen, irgendetwas, was Melanie nicht verstehen konnte. Etwas, das aussah wie eine tiefe Leere.

      Emma wandte den Blick ab. „Gut“, meinte sie. „Dann wird es dir sicher leichtfallen, mitzukommen, wir haben erst seit einem halben Jahr Reiten.“

      Danach wechselten sie das Thema und Melanie sprach zum ersten Mal seit Jahren mit einem Mädchen über Dinge, die man mit Mädchen eben besprach. Es tat ihr gut, sich mit Emma zu unterhalten. Sie war sehr klug und hatte etwas Ernstes an sich, aber gleichzeitig war sie humorvoll und mitfühlend. Und, das Wichtigste, sie war Melanies erste richtige Freundin seit Jahren.

      „Bist du mit Emanuel zusammen?“, fragte Melanie, als sie vor einer umzäunten Wiese stehen geblieben waren, hinter der der Unterricht stattfinden würde.

      Emma erstarrte kaum merklich und hatte zum Glück nichts in der Hand, das sie fallen lassen konnte. „Ähm ... nein?“

      „Aber ihr seid ineinander verliebt.“

      Emma warf ihr einen Blick zu. „Ich bin in ihn verliebt“, gab sie zu. „Das heißt aber noch nichts.“

      „Da lässt sich doch was machen!“ Melanie stieß sie spielerisch an der Schulter an. „Er mag dich auf jeden Fall!“

      Emma zog zweifelnd die Augenbrauen zusammen. „Ach ja, hast du ihn gefragt?“

      Melanie lachte wieder einmal. „Nein, aber ... Ich vermute es einfach.“

      Emmas Miene wechselte von skeptisch zu gespielt entrüstet. „Du machst mir einfach unbegründete Hoffnungen!“, warf sie ihr lachend vor.

      „So bin ich eben“, stimmte Melanie mit ein. Am liebsten hätte sie sich nach diesem Satz die Zunge abgebissen. Musste sie denn schon in der ersten Woche so arrogant wirken? Doch Emma sagte nichts dergleichen, sondern deutete bloß auf das Metalltor, durch das man auf die

      Wiese gelangte. „Es ist Zeit, wir müssen rein.“

      Melanie folgte ihr in die Umkleidekabine und sie zogen sich reittauglich um. Dann stellten sie sich auf die große Wiese und warteten, bis die ganze Reitgruppe bereit war. Tatsächlich waren circa 15 Schüler auf der Wiese versammelt und ebenso viele Pferde, die friedlich grasten. Die Hindernisse in der Mitte der Arena deuteten jedoch auf einen weniger friedlichen Unterricht hin. Kurz darauf erschien ein hochgewachsener Lehrer und bat um Ruhe.

      Der Unterricht begann. Obwohl Melanie schon das ein oder andere Mal auf einem Pferd geritten war, hatte sie ihre Schwierigkeiten mit den Hindernissen. Sie konnte knapp Trab und Galopp, an Kunststücke war also gar nicht zu denken. Das schien dem Lehrer aber völlig egal zu sein, als er erklärte, wie man das Pferd über ein circa ein Meter hohes Hindernis springen ließ. Melanie saß angespannt in ihrem Sattel, als Jack seinen Hengst neben Melanies Schimmel dirigierte. „Und? Schon mal geritten?“ Er grinste anzüglich.

      Melanie warf ihm einen finsteren Blick zu und probierte, mit halbem Ohr dem Lehrer weiterhin zuzuhören. „Ja“, bekräftigte sie, ihre Angst verbergend. „Aber keine Hindernisse.“

      „Pass einfach auf, dass du nicht hinfällst, das Pferd könnte sich verletzten“, erwiderte Jack trocken.

      Melanies Blick wurde, wenn möglich, noch finsterer. „Vielen Dank für deine bekräftigenden Worte, auf die Idee wäre ich nie gekommen“, konterte sie nicht minder trocken und gab es auf, dem Lehrer zuhören zu wollen. „Du scheinst dich ja bestens auszukennen, Mister Witzig. Mach doch mal vor.“

      Jacks Grinsen wich keine Sekunde von seinem Gesicht – er ließ sich nicht provozieren. „Wenn du es wünschst.“

      Melanie unterdrückte den Drang, ihn vom Pferd zu stoßen und ließ ihn sich vordrängeln. Im Vorbeigehen flüsterte er ihr tatsächlich etwas Nützliches zu: „Fühle mit dem Pferd, nicht dagegen.“ Doch er sagte es so leise, dass sich Melanie nicht sicher war, ob sie sich verhört hatte. Sie starrte eine Weile auf seinen Hinterkopf und stellte überrascht fest, dass seine Haare nur eine Nuance heller waren als ihre eigenen. Plötzlich blickte sie in dunkle Augen, blinzelte und realisierte, dass Jack sich umgedreht hatte und sie direkt ansah.

      „Daniel hat dich hergebracht, oder?“, fragte er unvermittelt.

      Melanie runzelte fragend die Stirn. „Wohin?“

      „Ins Land der Nacht.“

      „Ja … wieso?“

      Jack zuckte mit den Schultern. „Nur so.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Hat dir offenbar nicht erzählt, was an den ersten Tagen so drankommt, was?“

      Melanies Stirnrunzeln vertiefte sich. Sie mochte es nicht, wenn jemand über andere lästerte, ohne dass diese dabei waren, erst recht nicht, wenn sie die betreffenden Personen nett fand. Aber was beabsichtigte Jack mit dem leicht höhnischen Unterton? Wollte er Daniel etwa vorwerfen, dass er ihr nicht gleich das ganze Schulsystem erklärt hatte oder verstand Melanie die Botschaft bloß falsch? Sie biss die Zähne zusammen, bevor sie antwortete: „Wir haben uns über andere Dinge unterhalten.“

      Jack hob die Augenbrauen und nickte. Sein Blick war immer noch auf sie gerichtet, als überlege er sich, ob er ihr ein Geheimnis verraten solle. Schließlich drehte er sich aber um, damit er einen Blick auf die Warteschlange erhaschen konnte, ohne nochmals etwas zu sagen.

      Die Reihe vor ihnen lichtete sich allmählich und Melanies Nervosität wuchs mit jeder Sekunde. Emma, die vor Jack in der Reihe stand, nahm gerade die Zügel in die Hand und ritt elegant auf das Hindernis zu, drosselte das Tempo ein wenig und sprang in einer perfekten Bogen über den Balken. Dann galoppierte sie etwas weiter nach links, wo die Hälfte der Gruppe bereits wartete. Jack kam dran und tat es Emma gleich – Melanie konnte sein triumphierendes Grinsen bis hierhin spüren, obwohl sie sein Gesicht nicht sah. Jetzt war sie dran. Sie stieß ihrem Schimmel die Hacken in die Flanke und das Pferd trabte los. Der Wind brachte ihr pechschwarzes Haar in Bewegung, aber das immer näherkommende Hindernis verhinderte jedes Aufkommen von Glücksgefühlen. Wie Jack ihr geraten hatte, probierte sie zu fühlen wie ihr Pferd und beugte sich tiefer über dessen Hals. Dann grub sie die Erinnerungen an die Worte des Lehrers aus, die sie schon verdrängt hatte und, ehe sie es sich versah, sprang der Schimmel über das Hindernis und galoppierte wie von selbst zu seinen Artgenossen. Emma und Jack erwarteten sie grinsend.

      „Gar nicht schlecht“, sagte Jack. Melanie wäre gerne mal nachts schauen gegangen, ob Jack auch im Schlaf dieses Grinsen auf dem Gesicht trug. Aber sie lachte nur und strich sich eine Haarsträhne hinter die Ohren, die ihr die Sicht verdeckt hatte.

      Melanie stand neben Emma im Schmiedeunterricht und hörte John gebannt zu. Obwohl sie eigentlich Schmieden hatten, befanden sie sich in einem normalen Zimmer – die Schmiede war momentan besetzt, hatte Emma erklärt.

      „Diesen Monat ist unser Gebäude wieder mal mit einem Waffenwettbewerb dran. Es wird zwei Gruppen geben, die jeweils eine Waffe schmieden und sie mir gegen Ende des Monats abgeben. Die Gruppe mit der besseren Waffe gewinnt“, sagte John. Aufgeregtes Murmeln ging durch die Reihen. „Der Gewinn wird eine gute Note in Schmieden sein.“ Kollektives Aufstöhnen. John erlaubte sich ein Lächeln. „Die Regeln lauten: Man darf die andere Gruppe nicht beeinflussen und sich nicht mit ihr absprechen. Und man darf nichts „erfinden“, was es schon gibt. Die Waffe wird nach Schönheit, Umgänglichkeit, Gefahrengrad und Nutzen bewertet. Bei Fragen wendet ihr euch ungeniert an mich.

      Nun bildet die Gruppen!“

      Melanie unterdrückte ein Lachen. John schien kein Mann langer Sätze zu sein – er sagte nie einen Satz, der mehr als ein Komma besaß. Doch nach seinen Worten brach Tumult aus, jeder