Dieser Mawriki Nikolajewitsch war Artilleriehauptmann, ungefähr dreiunddreißig Jahre alt, hochgewachsen, von schönem, tadellos anständigem Äußern, mit einem ernsten Gesichtsausdruck, der auf den ersten Blick sogar streng erschien, trotz seines bewundernswerten Zartgefühls und seiner großen Herzensgüte, Eigenschaften, von denen sich ein jeder fast vom ersten Augenblicke der Bekanntschaft an überzeugte. Er war übrigens schweigsam, schien sehr kaltblütig zu sein und drängte sich niemandem als Freund auf. Viele erklärten später, er sei ein beschränkter Kopf; aber das war durchaus nicht zutreffend.
Lisaweta Nikolajewnas Schönheit zu beschreiben will ich nicht unternehmen. Die ganze Stadt redete bereits von ihrer Schönheit, obgleich mehrere unserer verheirateten Damen und unserer jungen Mädchen unwillig widersprachen. Es gab unter ihnen sogar einige, die Lisaweta Nikolajewna bereits haßten, erstens wegen ihres Stolzes: Drosdows hatten bisher kaum angefangen, Besuche zu machen, was man als eine Kränkung empfand, wiewohl tatsächlich Praskowja Iwanownas schlechter Gesundheitszustand die Schuld an der Verzögerung trug. Zweitens haßte man sie deswegen, weil sie eine Verwandte der Frau Gouverneur war; drittens deswegen, weil sie täglich spazieren ritt. Bis dahin hatte es bei uns noch nie Amazonen gegeben; es war nur natürlich, daß die Gesellschaft sich durch Lisaweta Nikolajewnas Erscheinen, die spazieren ritt und noch keine Besuche gemacht hatte, beleidigt fühlte. Übrigens wußten alle bereits, daß sie auf ärztliche Verordnung ritt, und sprachen nun auch noch giftig über ihre Krankheit. Aber sie war wirklich krank. Was an ihr auf den ersten Blick auffiel, das war ihre beständige, krankhafte nervöse Unruhe. Ach, die Ärmste hatte viel zu leiden, und alles wurde in der Folgezeit klar. Wenn ich jetzt an die Vergangenheit zurückdenke, so kann ich nicht mehr sagen, daß sie die Schönheit war, als die sie mir damals erschien. Vielleicht hatte sie sogar überhaupt kein schönes Äußeres. Hochgewachsen und etwas dünn, aber biegsam und kräftig, fiel sie sogar durch die Unregelmäßigkeit ihrer Gesichtszüge auf. Ihre Augen standen kalmückenartig schief; sie war blaß und mager im Gesicht und hatte starke Backenknochen; aber es lag in diesem Gesichte etwas Anziehendes, Sieghaftes! In dem feurigen Blicke ihrer schwarzen Augen kam eine starke Macht zum Ausdruck; sie erschien »als Siegerin und mit dem Zweck zu siegen«. Sie schien stolz, mitunter sogar dreist; ich weiß nicht, ob es ihr gelang, gut zu sein; aber ich weiß, daß sie es sehnlich wünschte und sich quälte, um sich dahinzubringen, daß sie einigermaßen gut sei. In dieser Natur lagen sicherlich viele schöne Triebe, und es waren die besten Ansätze vorhanden; aber alles in ihr suchte fortwährend gewissermaßen ins Gleichgewicht zu kommen, ohne daß dies doch gelang; alles befand sich in Unordnung, in Aufregung, in Unruhe. Vielleicht stellte sie auch gar zu strenge Anforderungen an sich und fand in sich nicht die Kraft, diesen Anforderungen zu genügen.
Sie setzte sich auf das Sofa und sah sich im Zimmer um.
»Warum wird mir in solchen Augenblicken immer so traurig zumute? Erklären Sie mir das, Sie gelehrter Mann! Ich habe mein ganzes Leben lang gedacht, daß ich mich Gott weiß wie sehr freuen würde, wenn ich Sie wiedersähe und mir alles ins Gedächtnis zurückriefe, und nun bin ich eigentlich gar nicht froh, obgleich ich Sie liebe ... Ach Gott, da haben Sie ja mein Bild hängen! Geben Sie es einmal her! Ich erinnere mich daran, ich erinnere mich daran!«
Vor zehn Jahren hatten Drosdows aus Petersburg an Stepan Trofimowitsch ein vorzügliches, kleines Aquarellporträt der zwölfjährigen Lisa geschickt. Seitdem hing es beständig bei ihm an der Wand.
»Bin ich wirklich ein so hübsches Kind gewesen? Ist das wirklich mein Gesicht?«
Sie stand auf und schaute mit dem Porträt in der Hand in den Spiegel.
»Nehmen Sie es schnell hin!« rief sie, indem sie ihm das Porträt zurückgab. »Hängen Sie es jetzt nicht wieder auf; lassen Sie das bis nachher; ich mag es jetzt nicht sehen.« Sie setzte sich wieder auf das Sofa. »Ein Leben verging, und ein zweites begann; dann verging auch das zweite, und es begann ein drittes, und keines hatte einen rechten Abschluß. Der Abschluß war immer wie mit einer Schere weggeschnitten. Sehen Sie, was ich für alte Dinge erzähle; aber es ist viel Wahres daran!«
Sie lächelte, indem sie mich ansah; schon mehrmals hatte sie mich angeblickt; aber Stepan Trofimowitsch hatte in seiner Aufregung vergessen, daß er mir versprochen hatte, mich vorzustellen.
»Aber warum hängt mein Bild bei Ihnen unter Dolchen? Und wozu haben Sie überhaupt so viele Dolche und einen Säbel?«
Es hingen bei ihm wirklich an der Wand, ich weiß nicht wozu, zwei gekreuzte Jatagans und darüber ein echter tscherkessischer Säbel. Während sie die obige Frage stellte, schaute sie mir so gerade ins Gesicht, daß ich schon etwas antworten wollte; aber ich unterdrückte es. Stepan Trofimowitsch merkte endlich, wie es stand, und stellte mich vor.
»Ich kenne Sie, ich kenne Sie,« sagte sie. »Ich freue mich sehr. Auch Mama hat schon viel über Sie gehört. Machen Sie sich auch mit Mawriki Nikolajewitsch bekannt; er ist ein vortrefflicher Mensch. Ich habe mir von Ihnen schon eine komische Vorstellung gemacht; Sie sind ja wohl Stepan Trofimowitschs Vertrauter?«
Ich errötete.
»Ach, verzeihen Sie mir, bitte; ich habe einen falschen Ausdruck gebraucht; er sollte keinen komischen Klang haben, sondern nur einen ganz einfachen Sinn ...« (Sie war rot und verlegen geworden.) »Übrigens brauchen Sie sich nicht darüber zu schämen, daß Sie ein so vortrefflicher Mensch sind. Aber es wird Zeit, daß wir gehen, Mawriki Nikolajewitsch! Stepan Trofimowitsch, in einer halben Stunde müssen Sie bei uns sein. O Gott, wieviel wollen wir miteinander reden! Jetzt werde ich Ihre Vertraute sein, und zwar in allen Stücken, in allen Stücken, verstehen Sie wohl?«
Stepan Trofimowitsch bekam sofort einen Schreck.
»Oh, Mawriki Nikolajewitsch weiß alles; vor dem brauchen Sie nicht verlegen zu werden!«
»Was weiß er denn?«
»Sie fragen noch!« rief sie erstaunt. »Also ist es wahr, daß es geheimgehalten werden soll! Ich wollte es gar nicht glauben. Und Dascha wird auch verborgen gehalten. Die Tante ließ mich neulich nicht zu ihr, mit der Begründung, Dascha habe Kopfschmerzen.«
»Aber ... aber wie haben Sie es denn erfahren?«
»Ach mein Gott, ebenso wie alle. Das war kein Kunststück!«
»Wissen es denn alle?«
»Nun ja, gewiß. Die Wahrheit ist: Mama hat es zuerst von Alona Frolowna, meiner alten Kinderfrau, gehört; zu der war Ihre Nastasja angelaufen gekommen und hatte es ihr gesagt. Sie haben es ja doch zu Nastasja gesagt? Sie gibt an, daß Sie es ihr selbst gesagt hätten.«
»Ich ... ich habe einmal davon geredet ...« stammelte Stepan Trofimowitsch, der ganz rot geworden war; »aber ... ich habe nur eine Andeutung gemacht ... j'étais si nerveux et malade et puis ... «
Sie lachte.
»Und der Vertraute war gerade nicht bei der Hand, und Nastasja kam Ihnen in den Wurf, – da ist es ja ganz erklärlich! Die aber hat die ganze Stadt zu Gevatterinnen. Nun, lassen wir es gut sein; es ist ja auch ganz gleich; mögen sie es immerhin wissen, sogar um so besser. Kommen Sie nur recht bald; wir essen früh zu Mittag ... Ja, das hatte ich vergessen,« sagte sie und setzte sich wieder hin; »hören Sie mal: was für ein Mensch ist Schatow?«
»Schatow? Das ist Darja Pawlownas Bruder ...«
»Das weiß ich, daß er ihr Bruder ist; wie können Sie so antworten, wahrhaftig!« unterbrach sie ihn ungeduldig. »Ich will wissen, was er eigentlich ist, was für eine Art Mensch?«
»C'est une pensecreux d'ici. C'est le meilleur et le plus irascible homme du monde.«
»Das habe ich selbst schon gehört, daß er etwas sonderbar ist. Darum handelt es sich übrigens nicht. Ich habe gehört, daß er drei Sprachen beherrscht, auch das Englische, und eine literarische Arbeit ausführen kann. Wenn dem so