Uto forderte ihn auf, die drei Dinge zu nennen. Er wolle die Bitten erst hören, bevor er sie gewähre.
„Erstens bitte ich um Essen und ein Dach über dem Kopf. Lass mich hierbleiben, denn nach Gramlinga kann ich nicht zurück.“
„Das ist nicht viel verlangt“, sagte Uto. „Bis wir den Streit beigelegt haben, bekommst du hier ein Bett und einen Platz an der Tafel. Was noch?“
Isanperts zweite Bitte war, sich im Schwert- und Reiterkampf üben zu dürfen. Er brauchte einen Lehrmeister. Ein erfahrener Kämpfer sollte ihm helfen, sich zu verbessern, ihn auf seine Fehler hinweisen und ihm die Bewegungen zeigen, mit denen man einen Gegner überraschen konnte, ihn entwaffnen oder abdrängen und was es dergleichen zu wissen gab. „Ich will Dux Otilo nicht enttäuschen, wenn ich ihn das nächste Mal treffe. Er hat gesagt, ich soll mich üben.“
„Dass du dich mit den Waffen übst, war immer mein Wunsch“, sagte Uto. „Keiner wird dir so viel beibringen können wie Olko. Er soll täglich in den Morgenstunden mit dir fechten.“
„Zuletzt sollst du nicht ohne mich in den Kampf ziehen“, bat Isanpert. „Lass mich an deiner Seite reiten.“
„In der Hinsicht wollen wir abwarten, ob Olko mit dir zufrieden ist“, erwiderte Uto. „Dieses Jahr wird es ohnehin keine Kämpfe mehr geben.“ Er drückte die Fingerspitzen gegeneinander. „Auch ich habe drei Bitten an dich. Erstens sollst du mit einem Platz im Gesindehaus vorliebnehmen, bei den Knechten, damit kein Neid entsteht.“
„Einverstanden“, sagte Isanpert.
„Zweitens wünsche ich, dass du nach deinen morgendlichen Waffenübungen, bei der Arbeit auf dem Hof hilfst. Mein Verwalter Rihho wird dir sagen, was zu tun ist. Du sollst ihm in allem Folge leisten, ohne zu murren.“
„Das ist nur billig“, sagte Isanpert.
„Dann kommen wir zu meinem dritten Wunsch. Ich verlange dir ab, dass du dich nicht über deine Stellung erhebst und nicht vorlaut den Mund aufmachst. Vor allem meinem Weib Clementia gegenüber, die es dir sehr verübeln würde. Aber auch zu meinen beiden Söhnen und meiner Tochter sollst du mit der gebührenden Ehrerbietung sprechen – und nicht, als wärest du ihresgleichen.“
„Wenn du es wünschst, soll es so sein“, sagte Isanpert. Er durfte bleiben.
Rihho war ein gedrungener Mann mit einem braunen Bart, durch den er sich mit fettigen Fingern fuhr, während er sprach. Er und sein Weib Tietgart beaufsichtigten die Leibeigenen auf Utinga. Er befehligte die Knechte. Sie herrschte über die Mägde.
„Du wirst mir demnächst mehr über Gramlinga erzählen“, sagte Rihho. „Ich habe schon lange den Wunsch, mich dort einmal umzusehen. Uto sagt, die weite Reise lohne sich nicht. Zugegeben, ich habe hier genug Arbeit. Kannst du anpacken?“
Rihho ließ sich Isanperts Hände zeigen. Er war zufrieden, als er die Hornhaut sah, aber er wunderte sich über die vielen Narben und Schnitte.
„Das kommt vom Schnitzen“, sagte Isanpert.
„Kein Zeichen großer Geschicklichkeit“, schnaufte Rihho. „Aber ich weiß einige Aufgaben für dich.“
Mit einem starken Burschen namens Muto sollte Isanpert noch an diesem Tag Getreidesäcke auf einen Ochsenwagen heben, der sie am nächsten Morgen zur Mühle fahren würde. Muto war so groß wie Isanpert, aber zweimal so breit. Er packte die schweren Säcke und warf sie kraftvoll auf den Wagen. Dann musste er auf Isanpert warten, denn weil der Wagen hohe Seiten hatte, kamen sie nur im Wechsel an die Ladefläche heran.
Um sich einen Sack aufzuladen, zog Isanpert an einem Ende, packte am anderen an und schwang ihn auf den Rücken. Nicht immer gelang es im ersten Versuch. Anschließend musste er sich drehen und recken, um die Last rücklings auf der Holzfläche abzulegen.
Die Wartezeit vertrieb sich Muto, indem er den neuen Mann auf dem Hof hänselte, ihm seinen Mangel an Kraft vorhielt. Freilich nur, solange ihn sonst niemand hören konnte. Er wusste, dass Isanpert Utos Sohn von einer Kebse war. Ein in Ungnade gefallener, sonst hätte man ihm nicht solche Arbeit zugemutet.
Schwere Dinge schleppen gehörte fortan zu Isanperts häufigsten Aufgaben. Die Küchenabfälle ließ man ihn eimerweise zu den Schweinen bringen, und auf der Weide sollte er immer wieder die Rossbollen zusammenschaufeln, weil es der beste Dünger fürs Gemüsebeet war. Das machten nicht einmal Knechte gern.
Isanpert gab Rihho bisweilen Widerworte. Er murrte über ungeliebte Arbeiten oder schlug ihm Wege vor, wie man Aufgaben leichter bewältigen konnte. Nie beschwerte er sich über die Rossbollen. Er war froh um die Zeit, die er bei den Rössern verbrachte. Zwar fürchtete er die großen Tiere, doch hatte er den Entschluss gefasst, sich an sie zu gewöhnen. Je mehr er um sie war, desto schneller würde es gehen. Isanpert wollte ein Reiter werden.
Eine andere von Isanperts Aufgaben war es, die Rösser von der Weide zu holen, wenn jemand aus Utos Sippe oder einer seiner Männer ausreiten wollte. Mit einem Seil in der Hand näherte er sich ihnen. Jedes Mal liefen sie weg, er lief hinterher und warf im Laufen die Schlinge. Vergeblich. Der Herbst war mit Wind und Regen gekommen. Die Böden waren nass und tief. Isanpert stolperte oder rutschte aus. Einmal verfehlte ein Huf nur knapp seinen Kopf.
Er lernte, die Rösser zu unterscheiden und sie zu führen. Die Auffälligeren hatten Namen wie Wunniwint oder Zwinkougi. Einen sanftmütigen Hengst nannte man Lindi. Eihapful hieß wegen seines rotgefleckten Fells so. Schade nur, dass ihm Rihho keine Zeit zu Reiten ließ.
Jeden Morgen übte Isanpert mit den Waffen. Den erfahrenen Krieger mit dem stumpfen Schwert zu treffen, war fast unmöglich, wenn Olko es nicht ausnahmsweise absichtlich zuließ, um seinen Schüler zu ermutigen. Isanpert trug täglich neue blaue Flecken davon, die ihn nachts auf dem harten Lager wachhielten.
Das Bett im Gesindehaus teilte Isanpert sich mit Muto. „Er ist kräftig gebaut, aber du bist umso schmaler“, sagte Rihho, „da wird es mit euch passen.“
Muto war nicht glücklich über seinen neuen Bettgefährten. Weil ihm als Knecht Schläge und Schlimmeres drohten, wenn er aufbegehrte, beließ er es bei stummem Widerstand, einer feindseligen Schweigsamkeit. Nachts machte er sich so breit wie nur möglich.
Warm und dunkel war es im Gesindehaus. Sie heizten mit qualmendem Torf, der ohne helle Flamme brannte. Holz war in der Ebene nicht wie auf Gramlinga im Überfluss vorhanden. Was man an Brennholz schlug, wurde im großen Haus drüben verbrannt, wo der Herr und die Seinen schliefen.
Im Hof stand ein alter Birnbaum. Isanpert nahm einen Ast an sich, den der Herbststurm heruntergebrochen hatte. Abends, und wenn Rihho gerade keinen Auftrag hatte, schnitzte er aus dem dicken Ende eine Gewandspange, deren Enden er mit den Köpfen von Ungeheuern schmückte.
Die Knechte und Mägde, mit denen Isanpert zusammensaß, blickten kaum einmal zu ihm herüber. Sie kannten sich seit Jahren und hatten viel miteinander zu bereden, wenn sich eine Gelegenheit ergab.
Gelegenheiten gab es selten genug. Utinga war ein schweigsamer Hof. Die herrische Tietgart führte im Gesindehaus Aufsicht. In ihrer Anwesenheit waren nur zwei Arten von Gesprächen gestattet, fromme und nützliche. Alles andere musste warten, bis sie das Haus verließ.
Am dritten Abend von Isanperts Aufenthalt setzte sich eine Magd zu ihm, eine kleine Gestalt namens Hulda. Sie wollte seine Schnitzarbeit aus der Nähe betrachten, wie sie erklärte. „Gern“, sagte Isanpert.
Kurz wurde es still im Raum, doch Hulda war ein unscheinbares Mädchen und leicht zu übersehen. Bald geriet ihre Annäherung an den Fremden in Vergessenheit, zumal Tietgart endlich hinausgegangen war und Tratsch ausgetauscht werden konnte.
„Sind das zwei Drachen an den Enden?“, fragte Hulda.
„Ich weiß es nicht“, sagte Isanpert, „ich habe solche Figuren auf einer anderen Spange gesehen. Ich finde, sie sehen den Rössern auf Utinga ähnlich.“
„Sie sind