„Ja, im Feld siedelt es sich leicht.“
„Irgendwo muss Utos Hof sein. Utinga. Es heißt, dass ihm tausend Pferde gehören.“
Lange standen sie dort. Dann wies Firko zur anderen Seite, auf die Bäume hinter ihnen. „Da liegt ein Gehöft im Wald, ganz nah.“
„Das muss Prunna sein“, sagte Isanpert. „Es gehört dem Cotapert. Ich glaube, seine Leute brennen hier Tonwaren. Siehst du? Da steht ein Ofen. Daneben haben sie Holz aufgestapelt, um ihn zu befeuern.“
„Sogar eine Kirche hat er bauen lassen“, sagte Firko und wies auf ein Kreuz. „Bestimmt kommt er zum Beten her. Hier oben könnte ich es auch.“
Isanpert drückte einen Zweig beiseite und blickte erneut über die Ebene. Firko fragte: „Wirst du nach Utinga gehen?“
„Ja. Uto wird mir helfen.“
„Er hat dir diese Nacht nicht geholfen.“
„Er hat mir geholfen, mich zu verstecken. Aber es stimmt, er ist nicht zurückgekommen. Wahrscheinlich konnte er nicht.“
Isanpert ließ den Zweig zurückschnellen. „Du gehst nicht ins Feld hinab?“
„Nein“, sagte Firko. „Dort unten sind zu viele Männer. Ich werde in den Wald zurückkehren.“
„Zu Filipert?“
„Wenn ich ihn finde.“
„Es wäre schön, ein Vogel zu sein“, sagte Isanpert. „Man hätte immer einen solchen Blick. Man könnte fliegen, wohin man wollte.“
„Von wegen“, sagte Firko. „Sie würden dich auf die Leimrute locken.“
„Vielleicht ein Raubvogel …“
„Bah! Jemand fängt dich, trägt dich ab und zieht dir eine Haube über. Schlägst du einen fetten Hasen, nimmt er ihn weg und gibt dir einen Brocken zur Belohnung.“
Isanpert wiegte den Kopf. „Welches Tier hat es besser?“
„Wölfe“, sagte Firko entschieden. „Sie jagen im Rudel. Jeder beschützt den anderen. Außer den Männern und ihren Hunden müssen sie niemanden fürchten.“
Isanpert nickte. „Ich bin müde wie ein Wolf, der die ganze Nacht gejagt hat.“
Sie schliefen auf feuchtem Moos. Das Keckern der Häher und die Rufe der Tauben hörten sie nicht. Die Sonne hatte fast die Hälfte ihres Wegs zurückgelegt, als sie erwachten.
Auf Utinga
Uto war ein ernster Mann mit einem schmalen Kinn und Sommersprossen, der die Reiterei des Herzogs in die Schlacht führte. An kalten Tagen trug er einen roten Mantel um die Schultern. Weil er mutig und großzügig war, bewunderten ihn die Männer und folgten ihm gern.
Für gewöhnlich handelte Uto schnell und entschlossen. Wenn er bei der Jagd eine Spur aufgenommen hatte, verfolgte er sie ohne Zögern, wie die Hundemeute, die den Jäger begleitet. So kannten ihn seine Kampfgefährten. Im Gefecht stürzte er sich auf die stärksten Feinde, in den dichtesten Schildwall. Kam einer nach Utinga, um Pferde zu kaufen, sagte ihm Uto, was er dafür wollte und blieb dabei. Er ließ nicht mit sich handeln. Es war ein angemessener Preis.
Nur manchmal, wenn Uto Zeit zum Nachdenken hatte und zwei Möglichkeiten gegeneinander abwägen musste, die ihm gleichwertig schienen, begann er zu grübeln. Es war nicht Angst, die ihn zaudern ließ, sondern der Wunsch, alles ganz und gar richtig zu machen. Tage konnten vergehen, in denen er überlegte, ob ein neuer Brunnen gegraben oder doch besser ein Pfahlwerk verstärkt werden sollte.
In jungen Jahren war solches Zögern selten vorgekommen. Sein Weib Clementia jedoch verstand es, Utos Sicherheit durch Einwände aufzuweichen. Sie stellte es so hin, als sei gerade ihr Wunsch die einzige Möglichkeit, die ein Mann überhaupt nur in Betracht ziehen könne. Wenn ihr keine guten Gründe einfielen, schob sie die göttliche Weltordnung vor. Der Hofpriester Maximinus stand auf ihrer Seite.
Einmal ins Grübeln gekommen, war Uto erleichtert, wenn sein Weib ihm die Entscheidung abnahm. Es lohnte sich nicht, sich den Kopf zu zermartern.
Uto hatte manches für Clementia aufgeben müssen, besonders aber eine Magd namens Ula, die am Hof seiner Sippe, in Utinga, aufgewachsen war.
Er kannte Ula von klein an. Sie war einige Jahre jünger als er, eine zuverlässige und fleißige Magd. Die Eltern lobten sie, die Schwestern kamen gut mit ihr aus. Uto fand sie außergewöhnlich hübsch, so hübsch, dass er kaum von ihr lassen konnte, als sein Vater es an der Zeit fand, ihn mit Clementia zu verheiraten.
Uto musste sich von Ula trennen, aber er sorgte für sie, gab sie einem fähigen Mann zum Weib: dem Gudo, einem Knecht, den Uto aus diesem Anlass in die Freiheit entließ. Gudos Kinder würden somit als Freie geboren.
Niemand war überrascht, auch Gudo nicht, als Ula nur sechs Monate später mit einem Buben niederkam, den sie Isanpert nannte. Großzügig überließ ihnen Uto einen kleinen Hof namens Gramlinga, die Felder zu bebauen und Vieh zu züchten. Er verfügte, dass ihm diese Hube keine Abgaben zu liefern habe, kein Mehl, keinen Schinken und kein Gemüse. Auch keine handwerklichen Erzeugnisse forderte er ein. Wohl aber sollte Gramlinga alljährlich im Mai einen Mann stellen, der mit ihm dem Heer des Dux folgen konnte. So war sichergestellt, dass Ulas Sohn Isanpert, sein Sohn, eines Tages an seiner Seite reiten würde im Gefolge des Dux. Uto hatte vor, ihm rechtzeitig beizubringen, was er wusste.
Über die Jahre redete Clementia ihm das aus. Auf Isanpert ruhte Gottes Segen nicht. Uto holte ihn nicht an seinen Hof, um ihn Reiten und Kämpfen zu lehren. Er wählte den einfachen Weg. Er versuchte, Gramlinga zu vergessen. Er ritt nur hin, wenn ihm bisweilen Ulas Bild unerträglich vor den Augen stand.
Jetzt war Isanpert von selbst nach Utinga gekommen. Er konnte ihn nicht wegschicken. Er hatte ihm schon zu Mohinga nicht helfen können. Isanpert stand vor ihm. Er musste ihm helfen. Er wollte es auch. Er hatte es immer gewollt. Zugleich wusste Uto, er handelte sich Ärger ein. Täglich würde Clementia ihre Unzufriedenheit zeigen.
Isanpert stand schmal und müde vor Uto. Zwei Tage hatte er für den Weg nach Utinga gebraucht, auf Höfen um einen Löffel Suppe gebeten, sich durchgefragt, gehungert, auf den Speer gestützt die Isura gefurtet. An Mut und Entschlossenheit fehlte es ihm nicht, das sah Uto. Aber die Mohingara suchten ihn. Der Gefangene des Dux war mit ihm geflohen. Wenigstens wusste keiner, dass sie zusammen in der alten Hütte gewesen waren. Keiner außer Dagoprant. Und der hatte nichts gesagt.
Isanpert war nach Utinga gekommen. Mit seinem Speer in der Hand stand er vor dem Tor. Mutig war er gewesen. Verzweifelt sah er aus. Er fragte Uto nicht, was in Mohinga geschehen war. Warum er nicht nachts gekommen war und den Riegel gehoben hatte. Uto erzählte ihm dennoch, wie Cotapert vor seinem toten Sohn Fritilo niedergekniet war. Wie Hucwalt sein Schwert zog und auf Gudo losging. Wie Martilo ihn zu beruhigen versuchte.
Sie hatten ihn nicht aus den Augen gelassen. Er konnte nicht zur Hütte gehen, den Riegel heben, ohne ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Er war froh, Isanpert dort drinnen erst einmal in Sicherheit zu wissen. Am nächsten Morgen wäre ihm schon etwas eingefallen, sagte er. Dazu kam es nicht. Ein Wächter entdeckte das Loch in der Wand.
Uto verschränkte die Arme. „Du hättest ihn nicht losbinden sollen.“
„Wir haben die gleichen Feinde“, sagte Isanpert.
„Die Mohingara sind nicht unsere Feinde“, widersprach Uto. „Sie zählen zu den ersten Männern des Stammes. Sie sind berühmt und reich und haben ein großes Gefolge. Wir werden diesen Streit beilegen. Ich zahle Cotapert ein Wergeld für seinen Sohn.“
Isanpert rieb getrockneten Schlamm von seinem Unterarm. „Ein Wergeld für die Mohingara? Das ist nicht gerecht. Es war seine Schuld. Fritilo kam als Dieb, er ist als Dieb gestorben.“ Dann nahm er sich seine schwarzen Fingernägel vor.
„Es ist vielleicht nicht gerecht, doch ist es notwendig“,