„Nach jedem Beutezug befiehlt Filipert, das Lager abzubrechen.“
„Wo finden wir Filipert?“
„Ich kann es nicht sagen. Ich weiß es nicht.“
„Überleg es dir. Du wirst die anderen Finger auch noch verlieren. Und dann die andere Hand.“
„Ich würde es sagen. Ich kann es nicht!“
Cotapert zog Firkos Kopf an den Haaren hoch. „Kannst du uns hinführen?“
Firko zögerte. „Ich kann es versuchen. Ich kann euch zum letzten Lager führen. Aber wenn sie nicht da sind …“
„Dann stirbst du“, sagte Cotapert. „Morgen führst du uns hin.“
Wie Isanpert aus Mohinga floh
Aus dem Tuch, das Firko gegen seine Hand presste, tropfte Blut. Auf Cotaperts Befehl holte Ortwalt ein Scheit herbei, die Wunde auszubrennen. „Er soll die Nacht überleben“, sagte der Graf. Firkos Schreie gellten weit ins Hügelland an der Ambra hinaus, wo der Wald sie auffing.
Sie sperrten den Gefangenen in ein verfallenes Grubenhaus, den alten Werkzeugschuppen, dessen Wände brüchig waren, das Strohdach nur in Teilen erhalten. Dieses Haus war nicht mehr in Gebrauch. Stattdessen hatte man gleich daneben eine neue Werkzeughütte gebaut.
Ein schwerer hölzerner Riegel hing außen vor der Tür. „Ist er in der Hütte sicher?“, erkundigte sich Tassilo. Er sprach ganz wie sein Vater. „Der Riegel sieht fest aus, aber die Wände sind baufällig.“
Der Graf schüttelte den Kopf. „Er ist an Händen und Füßen gebunden.“
Da die Mittagsstunde vorüber war, ließ Cotapert Bier und Fleisch auftragen. Die Männer griffen beherzt zu. Isanpert aß ein Stück und schob unauffällig zwei weitere in seine Gürteltasche, als Vorrat, wie es seine Gewohnheit war. Dann folgte er Uto und Dagoprant aus der Halle. Draußen regnete es leicht. Sie standen abseits, wo sie niemand hören konnte.
„So ziehen wir morgen wieder in den Wald“, sagte Uto und zuckte mit den Schultern. „Als Otilo die Männer hineinführte, hielt Cotapert das für verlorene Zeit. Jetzt sollen ihm alle folgen.“
„Es ist keineswegs das Gleiche“, sagte Dagoprant. „Er folgt einer Spur.“
„Dieser Bursche wird uns zu einem aufgegebenen Lagerplatz führen. Das wird alles sein.“
„Einen Versuch ist es wert. Zumal Cotapert nicht die Männer von den Feldern holt. Seine Leute müssen reichen.“
Isanpert blickte ängstlich nach dem Tor, sah niemanden und sagte: „Darf ich kurz …“
„Du darfst nicht“, antwortete Uto. Und zu Dagoprant: „Falls wir tatsächlich das Lager des Filipert finden, sind wir zu wenige. Man müsste es vollständig umstellen.“
„Das habe ich eben schon einmal gehört.“ Dagoprant lehnte sich nach hinten, wo die Seitenwand des Webhauses Schutz vor dem Nieselregen bot. „Von Liutker. Er plappert dir alles nach.“
„Das mag sein“, sagte Uto. „Er hat meine Tochter und meine Pferde im Sinn. Er glaubt, wenn er ihr gefällt und mir Honig ums Maul schmiert, dann ist beides so gut wie seins.“
„So ist diese Heirat keine ausgemachte Sache?“, fragte Dagoprant und wischte sich Regenwasser von der Wange. „Er ist immerhin Otilos Sohn.“
„Keineswegs ausgemacht“, sagte Uto. „Was soll mir eine bedeutende Herkunft, wenn sich nichts als Hochmut damit verbindet.“
„Das werde ich im Kopf behalten“, gab Dagoprant zurück.
Isanpert unterbrach erneut das Gespräch, das er nicht recht verstand. „Es ist dringend …“
Uto wandte sich ihm zu, als bemerke er erst jetzt seine Anwesenheit: „Vielleicht kommst du morgen zu deinem ersten bewaffneten Ausritt.“
„Morgen?“ Isanpert schüttelte den Kopf. „Unmöglich! Kann ich dich einen Augenblick sprechen?“
Da sagte Dagoprant, er werde nicht stören. Er habe genug Regen abbekommen.
Sie machten einige Schritte weg von der Halle, in Richtung des alten Werkzeugschuppens, wo niemand sie hören konnte, außer vielleicht dem Gefangenen. Sie sprachen leise. Der dünne Regen fiel sanft auf ihre Haare, ihre Gewänder. Isanpert erzählte Uto, wie er den Priester Fritilo in Gramlinga angetroffen hatte, wie Deso und er die Mutter beschützt hatten und wie der wütende Fritilo in den Speer gerannt war.
Regen lief über Utos Stirn. „Es stimmt, Fritilo muss das Gefolge des Herzogs verlassen haben. Ich habe ihn im Räuberlager nicht gesehen.“
„Er war lange vor euch auf Gramlinga.“
Uto verzog den Mund, als schmerze ihn ein Zahn. „Wurde er hineingebeten? Oder hat er den Hausfrieden gebrochen?“
„Ich habe nirgends ein Ross gesehen. Er muss es im Wald angebunden haben.“
Uto brauchte einen Augenblick, um den Zusammenhang zu verstehen. Dann legte er Isanpert anerkennend die Hand auf die Schulter. „Er wollte nicht, dass jemand von seiner Anwesenheit wusste. Das ist gut beobachtet. Was sagt Ula?“
„Mutter sagt überhaupt nichts, was man verstehen könnte. Sie redet leise vor sich hin. Es scheint, als würde sie uns nicht mehr kennen. Außer Heila.“
„Und Gudo?“
„Er sagt, ich bin an allem schuld. Und dass du vielleicht einen Ort weißt, wo ich mich verstecken kann. Weil ich auf Gramlinga nicht sicher bin.“
„Er hat Angst vor den Mohingara“, sagte Uto, der keinen Feind fürchtete.
„Ja, Angst hat er.“ Isanpert wischte sich Regentropfen vom Hals, bevor sie ihm unters Hemd rinnen konnten.
„Du hast noch nie einen erschlagen?“
„Er war der Erste.“
Uto blickte auf die Truhe am Eingang der Halle. Darin lagen die Waffen der Männer, auch sein Schwert. Isanperts Speer lehnte daneben an der Wand. „Ich erinnere mich an meinen Ersten. Alle klopften mir auf die Schultern. Nachher wurde mir übel.“
Isanpert antwortete nicht, er starrte stumm zum Tor. Uto sprach weiter: „Wenn Gudo hier eintrifft, solltest du besser nicht mehr da sein.“
„Zu spät“, sagte Isanpert leise. Gudo und Engilpert kamen eben durchs Tor.
Gudo führte den Ochsen, der den Karren zog. Engilpert ging nebenher und achtete darauf, dass der Tote nicht herunterrutschte. Hinten an den Karren angebunden ging Fritilos Pferd.
Isanpert machte einige Schritte, hob den Riegel des verfallenen Grubenhauses, öffnete die Tür und schlüpfte zu dem Gefangenen hinein.
„Leg den Riegel vor“, flüsterte er Uto zu. „Sag ihnen, ich sei weggegangen!“
Er zog die Tür zu. Das Letzte, was er durch den Spalt sah, war Dagoprant, der auf Uto zukam.
Das Grubenhaus war winzig, aber wenigstens nicht dunkel. Sanft fiel der Regen durch das löchrige Dach. Isanpert ließ sich ein Stück von dem Gefangenen entfernt auf dem Boden nieder. Er atmete tief, sah Firko ins geschwollene Gesicht, besah die merkwürdige Haartracht. Keiner von ihnen sagte ein Wort.
Dass es ihm auf den Kopf regnete, merkte Isanpert zunächst nicht. Als aber ein großer Tropfen über seine Nase lief, rutschte er an eine Wand heran, über der ein Rest Dach erhalten war, das ihn vor dem Schlimmsten schützte.
Er hörte, wie sie draußen den Toten abluden. Die Menschen von Mohinga liefen zusammen, sie erkannten Fritilo und beweinten ihn. Einer rief, der Mörder werde nicht straflos bleiben. Es war Hucwalts Stimme. Isanpert blickte auf Firko, der zitternd am Boden lag und ein blutiges Tuch gegen seine Hand presste.
Er