Pater Noster. Carine Bernard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carine Bernard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760968
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Woche.« Deborah sah sich im Kreis ihrer Kollegen um, die ihr in der kurzen Zeit schon so ans Herz gewachsen waren. »Sobald ich eingerichtet bin, gibts eine große Party, und ihr seid alle eingeladen.«

      Das war mutig gesprochen, denn die Wohnung war viel zu klein für eine Party mit – Deborah sah sich um und überschlug die Zahl kurz im Kopf – neun Personen, wenn man die beiden Geschäftsführer nicht mitzählte. Genau genommen wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Noch war die Wohnung leer und besenrein, wie es so schön hieß. Solange keine Möbel herumstanden, hätten vielleicht wirklich alle Platz.

      Deborah sah kurz zu ihrem Chef hinüber, um festzustellen, ob er sich von ihrer Einladung ebenfalls angesprochen fühlte. Carl Schulze lehnte lässig im Durchgang zum Atelier und beobachtete schmunzelnd die Szene. Als er ihren Blick bemerkte, hob er fragend die Brauen. Schnell sah sie wieder weg und befeuchtete mit der Zunge die plötzlich trockenen Lippen.

      »Und was zahlst du jetzt dafür?« Es war klar, dass diese Frage kommen musste, und natürlich war es Svenja, die sie stellte. Die Texterin nahm nie ein Blatt vor den Mund. Sie trug auch nie etwas anderes als Schwarz: schwarze Kleidung, schwarze Stiefel, raspelkurze schwarze Haare, schwarzer Kajal und dazu ein blutroter Lippenstift.

      »180 Euro kalt«, antwortete Deborah und grinste übers ganze Gesicht.

      »Wie hast du …« – »Wie findet man so was …« – »Wen hast du dafür …«

      Alle riefen durcheinander, als sie den Mietpreis hörten. Für Düsseldorfer Verhältnisse war das geradezu verboten günstig und für Oberbilk schlichtweg unvorstellbar. Dafür bekam man normalerweise kaum einen Verschlag in einem Keller.

      »Ihr werdet es nicht glauben.« Deborah senkte verschwörerisch die Stimme. »Ihr kennt doch die Litfaßsäule vor der Uni, wo die Studenten immer alles Mögliche anschlagen?«

      Alle nickten und murmelten zustimmend.

      »Da war ein Aushang für die Wohnung mit einer Telefonnummer. Ich rief da an, traf mich mit dem Hausbesitzer und aus irgendeinem wunderbaren Grund habe ich sie bekommen.« Deborah strahlte noch immer. Irgendwie konnte sie es selbst noch gar nicht glauben.

      »Und du musstest nicht …« Svenja unterbrach sich und hüstelte übertrieben.

      Alle lachten.

      »Nein, was denkst du denn!« Deborah gab sich empört. »So weit würde ich für eine Wohnung dann doch nicht gehen.«

      »Gibt aber genug Leute, die da weniger Hemmungen haben«, bemerkte Svenja mit ihrer kratzigen Stimme. »Wenn das nicht so war, dann hast du wirklich Glück gehabt.«

      Deborah gab ihr im Stillen recht. Was sie in den letzten Wochen bei ihrer Wohnungssuche erlebt hatte, passte durchaus zu Svenjas Bemerkung. Aber so etwas war für sie natürlich nicht infrage gekommen und am Ende hatte sich ihre Geduld ausgezahlt.

      Der Hausbesitzer war ein liebenswürdiger älterer Herr, der das kleine Appartement normalerweise an Studenten vermietete. Dass Deborah bereits arbeitete, gefiel ihm. Deborahs Mutter war bereit, die Kaution zu bezahlen, also stand dem Abschluss des Mietvertrags nichts mehr im Wege.

      Carl Schulze stieß sich vom Türrahmen ab und schlenderte in das Großraumbüro, in dem sich inzwischen alle Mitarbeiter um Deborahs Platz versammelt hatten.

      »Deborah, was hältst du davon, wenn wir das mit einem Glas Sekt begießen?«, schlug er vor. »Ich gebe einen aus!«

      Ihr Chef war der Einzige hier, der sie Deborah nannte, alle anderen in der Agentur riefen sie Debs. Aber sie mochte es, wie Carl Schulze ihren Namen aussprach, englisch, mit der Betonung auf dem e, sodass er mehr wie »Debra« klang.

      Er nickte Sam zu, der erfreut grinste und nach hinten verschwand. Schnell kam er mit zwei Flaschen Prosecco und einigen Gläsern zurück. Carl nahm ihm die Flaschen ab und löste das Stanniol vom Verschluss.

      Deborah sah das Etikett und musste lachen. »Frohe Weihnachten wünscht Schulze & Niess« stand da unter dem schwarzen Löwenkopf, der das Logo der Agentur zierte. Offenbar waren die Flaschen übrig gebliebene Werbegeschenke für Kunden, aber das änderte nichts an der netten Geste ihres Chefs.

      Sam schenkte ein und der Sekt schäumte in den Gläsern. Deborah übernahm die Verteilung. Als sie Schulze sein Glas reichte, berührten sich kurz ihre Fingerspitzen. Ihr Herz klopfte schneller. Hatte er etwas bemerkt? Sie räusperte sich und überspielte ihre Verlegenheit, indem sie das Glas hob und ihm zuprostete.

      »Auf deine neue Wohnung, Deborah!«, sagte er und seine Stimme klang wie das Schnurren einer Katze.

      »Auf deine Wohnung«, stimmten die anderen ein. »Und auf eine schöne Zeit, Debs«, fügte Klaus hinzu. »Möge sie dir schnell ein Zuhause werden!«

      »Das wird sie bestimmt«, erwiderte Deborah. »Heute werde ich noch die Wände streichen, sauber machen und die ersten Sachen hinbringen. Und am Wochenende gehts zu IKEA.«

      Carl sah unauffällig auf die Uhr. Die Gläser waren geleert und die Glückwünsche verstummt. Er klatschte mehrmals in die Hände und rief: »Genug gefeiert, meine Herrschaften, nun geht es wieder an die Arbeit!«

      Er betrat sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Überrascht hob er den Kopf, als er die leise Stimme seines Partners hörte.

      »Da bist du ja endlich. Habt ihr dein Schätzchen ausgiebig gefeiert?« Eine deutliche Anklage schwang in den Worten mit. Boris hatte ihm die Eigenmächtigkeit mit Deborah noch immer nicht verziehen. Er saß in Carls Stuhl und trommelte mit seinen dürren Fingern auf der Tischplatte.

      »Sei nicht unfair, Boris«, antwortete Carl ruhig. »Du siehst doch, dass sie gute Arbeit macht.«

      »Das kann schon sein, aber dann zahlen wir ihr nicht genug«, schnappte Boris zurück. »Und wir brauchen keinen weiteren Grafiker, das weißt du ganz genau.«

      Carl schwieg. Im Grunde hatte Boris recht, aber das würde er ihm gegenüber nicht zugeben. In den Machtspielchen, die Boris in der letzten Zeit immer öfter herausforderte, gab er sich besser keine Blöße.

      »Was führt dich in mein Büro?«, fragte er stattdessen. Betont gleichgültig ließ er den Blick über die mit Papieren bedeckte Arbeitsfläche gleiten.

      »Ich wollte eigentlich nur die letzten Entwürfe für den Biolieferdienst mit dir durchgehen«, erwiderte Boris. Seine Stimme klang nur mühsam beherrscht. »Aber dann fand ich das hier.«

      Er hielt den Rheopharm-Brief hoch und wies mit einem Finger anklagend auf Carl.

      »Ich …« Carl kam nicht zu Wort.

      »Du hast hinter meinem Rücken an dieser Ausschreibung teilgenommen! Du wusstest ganz genau, dass ich dem niemals zugestimmt hätte.«

      Carl nickte. Es abzustreiten hatte keinen Sinn mehr. »Es ist nur ein kleiner Auftrag, aber er wäre eine einmalige Chance …«

      Boris unterbrach ihn mit erhobener Stimme. »Eine einmalige Chance, sich an einen dreckigen Pharmakonzern zu verkaufen! Ein Konzern, der Tierversuche macht, der in Dritte-Welt-Ländern produziert und sich einen Teufel um die Umwelt schert. Und dafür wirfst du alle unsere Prinzipien über den Haufen?«

      »Unsere Prinzipien?« Carl wurde jetzt ebenfalls laut. »Das sind deine Prinzipien, diese unausgegorene Öko-Kacke, auf der du ständig herumreitest, und nicht meine oder gar die der Agentur! Du weißt ganz genau, dass ich immer auf dich Rücksicht nehme und dir entgegenkomme, wo es nur geht, aber du kannst nicht alles ablehnen, womit wir unser Geld verdienen!«

      »Ach, ums Geld geht es dem werten Herrn? Verdienst du nicht schon genug? Bekommst du den Hals nicht mehr voll?« Boris’ Stimme wurde schrill und er schnappte nach Luft. »Selbst du, Carl, kannst nicht mit zwei schnellen Autos gleichzeitig fahren, und mehr als ein Haus braucht auch kein Mensch!«

      Carl schüttelte zornig den Kopf. »Es geht überhaupt nicht ums Geld, Boris. Aber du weißt ganz genau, dass wir uns nicht da halten können, wo wir jetzt sind, wenn wir nicht ständig nach vorne schauen und uns weiterentwickeln.