„Die vor uns starren ins Unglück, bessert doch nichts!“
Tief atmend reckt Usa ihre Brust unter dem Lavendel ihrer Weste. Im Reiz des Anlaufnehmens greift ungeduldig ihre Hand in die Schaltung, der Wagen vor ihr rollt an, gibt Gas.
„Durch den Modder treibt Allradantrieb. Anton, festhalten!“
Mit heulendem Motor schert der Jeep aus, durchquert den vor Minuten angelangten Schlamm bergauf mit Gepolter, schleudert im Schotter. Tosend dröhnt es plötzlich hinter dem Jeep und lauter als das Durchfahren der Reifen zuvor war. Die neue Gefahr wird erkennbar im Heckfenster. Von der Bergflanke stürzt meterbreit eine Lawine, mitgeführte Felsen jedweder Größen kollern in die Wagenkolonne, und überwältigen sie, reißen dahinein eine Lücke.
Halt die Welt an, halt sie an - alle dahinten sollen leben,
fleht Anton. Nur wen meint er? Seinen vertrauten Indianergeist? Kaum zuständig. Was kann der dafür?, denkt Anton in der Sekunde des Spektakels. Zumal er die Vielen erahnt, die jetzt ganz und gar mit dem Denken aufhören.
Noch ein Kleinwagen, Spielball der Lawine, taumelt über den Brückenrand in die Tiefe, andere stapelt die Woge vor den Berg. Mit furchtbarem Getöse zermalmen die Felsbrocken Fahrzeuge bis zur Unkenntlichkeit. Schlammfontänen spritzen darüber, mehr und mehr wildes Wasser prasselt von der Bergflanke nieder.
Vor der entmenschenden Rohheit dieser Massen, presst Anton seinen schreckstarren Rücken an den Sitz, und sieht nicht mehr zurück. Auf seine innere Lippe beißend, schmeckt er eine Dosis eigenen Blutes, kaum annähernd so grauenvoll beladen wie er das in der Karambolage wähnt. Nichts kann er dagegen halten. Diese Sekunde des Unglücks so präsent wie sein Zittern vor den alles überlagernden Bildern seiner Vorstellung von schlammbesudelten Leichen, in Trümmer eingeklemmt. Eng schnürt es ihm die Kehle. Blicklos vorschauend, schnauft er den Überdruck durch die Nase.
„Bald - sind - wir - oben“, raunt Usa, so stotternd wie der Jeep die Steigung hinauffährt. Sie blickt Anton an. Aus ihrer Stimme klingt Erleichterung. „Oben kommt uns kein Schlammwasser entgegen. Unglückswasser fluten runter. Wir sind sicher.“
„Hast du es im Rückspiegel gesehen?“
„War laut genug. So bald es geht, halte ich an. Mein Gasfuß zittert noch ebenso wie meine Hände am Lenkrad.“
Im Regen taucht das Laufband einer blinkenden Barriere auf. Sie markiert den Abzweig zur Serpentinenstraße, hinter der die schnurgerade Höhenstraße der Hochebene Paul da Serra folgt, um daran auf die andere Inselseite zu gelangen. Höher und steiler wird die Steigung, führt in engen Kurven vorbei an ausladenden Akazien, hernach durch alte Pinien und den triefenden Wald von Eukalyptusbäumen, der seinen aromatischen Duft verströmt.
Bald düst der Jeep hinter einem Kleinlaster her, der, wenig Deckung gebend, Wasserlachen zerteilt. Usas Fuß hoppelt auf dem Pedal der Breme, während der Jeep im Aquaplaning schwimmt.
Anton korrigiert seinen Atem mit einem ihm kaum seine Brust erleichternden Seufzer. Gebeugt im Gurt hockend, orientiert er sich für eine lange Zeit nur längs des Straßenrandes.
„Plutonisches reißt in diese Zerstörung“, meint er danach.
Usa antwortet mit heftigem Nicken. So plötzlich wie sie es beendet, enden auch die Steigung der Fahrbahn und das Pladdern. Einsehbar öffnet sich die Straße. Am Rand harren braune Rinder aus, die Hufe in den Hagelwehen vor Büschen aus Besenheide. Im Nu stoppt Usa, klappt die Kapuze der Weste hoch, steigt aus und geht drei Schritte. Der Wind schmiegt ihr violettes Kleid vor die Beine. Sofort umkehrend, steigt Usa ein und sieht Anton an.
„Es stürmt mich aus den Angeln. Leben sieht anders aus.“
Sie zieht die Kapuze vom Haar. An ihre vor Anspannung roten Ohren legt sie ihre Hände, um zumindest den Kopf beim nächsten Atemzug aufzufrischen.
Anton mag sie nicht ansehen, seine Brauen zucken nervös zur Stirn hoch. Leise, verhalten und in getragenem Ton, murmelt er:
„Die Toten brauchen keine Angeln mehr, weder an Türen, noch fürs beliebte Fischen. Schockschwere Nöte kommen den Verletzten für ihr Überleben. Keine baldige Änderung der Turbulenzen lese ich an den stoischen Rindern, sie sind klug aus Erfahrung. Aber noch sind wir nicht am Ziel, nur deine Geistesgegenwart rettete uns das Leben. Hab Dank“, erklärt er sein Befinden. „Mir fehlen die Worte. Mag es mir nicht länger vorstellen.“
Usa schaut in den Rückspiegel. Daran haften das Grauen des Desasters unbeherrschbarer Elemente. Ihr bricht kalter Schweiß aus. Nicht, weil sie den Jeep an die Asphaltstraße steuert, nun westwärts der Hochebene, gnadenlos im Sturm gepeitscht, der den Wagen mittwärts drückt. Nach einer Weile anstrengenden Lenkens geht ein Ruck durch den Jeep nach einer Rechtskurve, scharf um eine Felsformation herum. Im Blick in die nasse Bergwelt bremst Usa ab, denn voraus stürmt erneuter Regen in aufrechten Fäden.
„Im Westen nix Neues“, feixt Anton.
„Nimm hin, was du nicht zu ändern vermagst.“
Usa entspannt ihren Kiefer. Die Zähne öffnet sie zu einem Gähnen, das ihr den Schreck des zuvor Erlebten herauszieht.
„Auch meinen Hunger nach Sonne und dem Zauber der Insel?“
Ungemütlich fummelt Anton am Sicherheitsgurt, knallt ihn an seine Brust. Er reckt seine kühlen Zehen in den Sandalen zu Usa hinüber, sein Kinn zuckt protestierend. Das ihre jetzt mehrmals seitwärts bewegend, lockt Usa ein Gähnen hervor, und streichelt über ihren klammfeuchten Hals. Ihren Ton färbt linder Spott.
„Bessert dein Meckern deinen Hunger? Ich sehe den Grund zur Freude, wir kehren unbeschadet heim. Im Regen forsche nach mehr Gefasstheit. Geistige Beschäftigung vertreibt deinen Koller der Langeweile. Du brauchst wohl mehr als den Quintagarten, hm?“
„Kommt nicht in die Tüte, mich irgendwelchen Arbeitszwängen
auszuliefern, jetzt, nach dem allgemeinen Ende des Hausumbaus.“
„Stimmt also“, versetzt Usa milde herablassend. „Gefährlich ob deiner Geschichte. Doch deinen Geist anregen sollte etwas in den tristen, ans Haus bindenden Tagen. Merke dir, dein Nörgeln macht dich unausstehlich!“ Usa blinzelt voraus, senkt die Lider müde, auch von Antons geballter Nähe. „Generell alle in unserer Gemeinschaft starteten an Standorten, die ungleich waren, doch führten sie uns in die warmen Breiten.“
Einen lahmen Moment später fügt sie zögerlich, im Sog ihres Inneren unterwegs, an: „Haste vergessen, wie sonniges Gemüt und Herzlichkeit gehen? Wärme spendet allen subtropischen Wesen nur eine grundlegende Zufriedenheit. Die lindert die Reißspuren des mitgebrachten Plunders auch bei dir!“
Protestierend runzelt Anton seine Lippen, presst sie hart vor, dämpft dahinter seinen Frust an der Dominanz dieser Frau. Dennoch abverlangt er sich ein Patentrezept, nur leider weilen dessen Zutaten unerreichbar irgendwo. Die eingekauften Schätze böten Anlass für Schub und Wende. Er peilt zum Heck, gewahrt im Augenwinkel aber Usas Profil und daran den Impuls anderer Art. Ja, die Liebe wächst still und unbeeindruckt wie Graswurzeln.
„Überredet!“, haucht Anton aus weichem Mund. Er drängt sein Begehren hinter die Retourkutsche. Von der wähnt er sich etwas holprig, wohl mehr der Mühe wert.
Antons warm klingenden Ton genießend, linst Usa in den nun dünneren Regen und an die schwache Kontur eines Schemens. Wenig nach dem in triefender Regenjacke Wandernden, hält Usa den Jeep an, obschon ein waagerechter Nebel wabert, aus dem es tropft.
„Ups! Einer zum Mitnehmen, weit und breit kein Unterstand.“
Bereitwillig dreht Anton sich nach hinten, und klappt die Seitentür auf. Der Wanderer nähert sich wie schlafwandelnd.
„Rasch, rasch!“, ruft Anton, „aus