„Eine Frage hätte ich“, ergänzt er, mit krauser Stirn, der Usa ein dem ihren ähnlichen Alter Ü 60 ansieht. „Wissen Sie ein Häuschen zu kaufen? Wir suchen danach. Meeresbrisen einzuatmen belebt den Geist, und die Sonne Madeiras schenkt uns, was alle so lieben: Seele satt! Ihr Licht gebiert Ideenreichtum und neue Gedanken. Im Sog kopflastiger Reizfluten stecken wir drüben, hier stillt unsere moderne Psyche ihr Sehnen nach Minderung.“
Ohne die abwartende Kassiererin zu beachten, dreht Usa sich um. Zu einer Auskunft bereiter als sie, müsste hinter ihr Anton stehen - nichts seiner Schmauchspur riecht sie, der Kugelblitz verschwand. Dem Unsichtbaren nach flitzt ihre Vermutung, mit lautlosem Seufzen behaftet: Umgekippt ins Belohnungsverhalten findet der kostspielige Mann noch mehr in irgendeinem Regal, obgleich er schon den Bioladen leer kaufte, in einem Sträßchen der Altstadt gelegen. Na, nicht ganz leer, nur ebenso teuer.
Usa hebt ihre Brauen, besinnt sich und vergegenwärtigt ihre jahrelange Kenntnis vom Hörensagen. In einer vage anbindenden Bewegung ihres Oberkörpers wendet sie sich an den Frager.
„Raten könnte Ihnen Sekretärin im Konsulat, dahin gehen Sie sowieso. Auch Touristikbüros wissen über ihre Wanderführer von leerstehenden Quintas. Fragen Sie auch in den Bars der Dörfer.“ Auf die Kassiererin mit einem Kopfrucken deutend und ihre Stirn glättend, lächelt Usa und ergänzt: „Residente begegnen einander immer irgendwo. Bis dahin sind Sie sicher sonnig ermutigt, und übersehen den ruinösen Verfall hie und da. Den Wildwuchs müssen Käufer aussortieren wie in einem Garten, der geliebt wird. Die Sonne hier räumt auch solche alten Ängste aus. Viel Glück!“
Nur kurz noch forscht Usa in seiner erwägenden Miene. Rasch wendet sie sich ihrem Einkaufswagen zu, legt dessen abertausend Teile ab, und entledigt sich zugleich der Absicht des nun einer Hoffnung wohl beraubten Inselauswanderers. In Kürze schaut sie ihm nach. Er spürt noch keine neue Welt in Händen, an Tagen wie heute mit Sonne knapp, und die gaukelt zumindest ihr nicht vor, oder macht sie glauben, alterslos zu sein.
Vor der Atlantik nahen Einkaufsmeile in Funchal, Hauptstadt von Madeira, pladdert es am Jeepdach ins Tickern des Blinkers, mit dem Usa wenig später anzeigt, aus dem Parkhaus herausfahren zu wollen. Die Scheibenwischer schieben blanke Viertel frei, auf die binnen Sekunden dicke Tropfen regnen.
„Subtropischer Regen, für die Inselnatur immens wichtig!“, nuschelt am Nebensitz Anton. Seine eng stehenden braunen Augen, eingebettet in gebräunte Haut, lugen voraus. Er glättet seine sonnenverschossene kakifarbene Weste, steckt die Hände dann samt der Manschetten seines langärmelig grauen Hemdes darunter.
„Wer nur rief den?“, grummelt er nochmals. „Wir Gestrandete wollen ständige Sonne. Leider macht sie sich mehr als rar bis zum heutigen Samstag, dem 20. Februar 2010.“
„Gewiss liegt über den Regenwolken knatschblauer Himmel im All, das Universum rückt uns wieder näher“, räumt Usa ein. Doch klingt ihre Stimme wenig freudig. „Jede Bitte um Sonne überhört die unendliche Obrigkeit. Wie wir gar das Blinkerticken!“
Sie blinzelt in das Verhangene empor mit Augen, die im Echo ihr Hellgrau unter den ausgebleichten Brauen dunkeln. Dann hart das Gaspedal tretend, fädelt sie den Jeep in eine Lücke der auf überfluteter Straße langsam fahrenden und wieder neu gestockten Kolonne. Nur von der Gegenfahrbahn her teilen vorbeiwischende Autolichtkegel regelmäßig die Regenwand vor der Frontscheibe.
Und daher brummt Anton: „Die für dieses Desaster zuständige Obrigkeit überhört ja auch den Schrei nach 'Sonne statt Socken' der Winterflüchtlinge aus dem kalten Europa. Die gehen baden an den pompösen, im Hafen aufgereihten Luxuskreuzern!“
Ein kleiner Gedanke entrückt ihm voraus der Route Richtung Kanarische Inseln, und alsbald an die genauso sturmgebeutelten Küsten der Azoren. Er kehrt um, zu Usas violettem Kleid, unter einer lavendelfarbenen Weste getragen, und daran gewinnt er an Klarheit. Weich und warm wähnt er Usas rundlichen Bauch auf den Schenkeln liegen. Aufwärts schweift Antons Blick, über Usas rot gesträhntes Schläfenhaar zu ihrem Stupskinn über den gebräunten Halsfalten, an die sich graublondes Kurzhaar schmiegt, und ihre Edelsteinkette, die sogar jetzt glitzert im diffusen Licht.
Darin wirkt ihm seine Knittershorts nur verlottert. Genauso wie das braune Kraushaar seiner bloßen Waden, kurz über seinen ausgelatschten Tretern. Da unten rufen die Erdränder an seinen Fußnägeln nach einem nachhaltigen Bad mit Kräuteressenzen.
Usa aber vermutet an Antons Bild der Luxuskreuzer nur seine Gelüste nach überladenen Büfetts. Diesen Fettnapf umschifft sie geschmeidig, und nuschelt baldigst ihren Kommentar.
„Unsere Mitbewohnerin Vera weiß aus all ihrer Erfahrung als Hotelangestellte, Schiffsanimateure bügeln die Wetterschlappen aus, falls Gäste übrig sind, deren grüne Gesichter die Reling nicht schmücken. Verkraften sogar See Untaugliche das Schaukeln nach einer Weile, nehmen sie an Bord Behandlungen bei einer wie mir, die enttäuschten Visionären das Hören und Sehen klären und sämtliche Illusionen austreiben.“
Angetrieben von ihrem Anton noch nicht offenbarten Anlass so harscher Kritik, schaltet Usa die Wischer eine Stufe höher. Vor ihr zeigt sich ein Kreisverkehr. Den passierend und sich einer Brücke nähernd, über deren Weite nur Grau hängt, hämmert es von allen Seiten Tropfen in ihre nächste Anmerkung.
„Zuvor wünschte ich mir für die Rückfahrt nach dem Einkauf einen der legendär doppelten Regenbögen über dem Atlantik, und, der möge eine Botschaft aus dem Sonnenland herabtragen, Wärme. Allzeit war der warme Februar hier eine gegebene Größe, auf die ich mich verlassen konnte.“
„Wer sich darauf verlässt ... Heute schwappt kein Goldtopf am Meer“, entgegnet Anton, wischt mit einem Hemdärmel auf der beschlagenen Seitenscheibe ein Guckloch. „Da oben besteht kaum Chance auf Sonne. Von Süden kommen die Wolken.“
„Hier unten nähern wir uns einem akuteren Hindernis.“ Usa rückt ihr Gesicht zur Scheibe. „Ein Uniformierter lenkt uns nur einspurig und bergauf über die Überführungsbrücke weiter.“
Am Ende der Brücke anhaltend, wo mehr Fahrzeuge einscheren, betrachtet sie in der Tiefe die Via Rapida, und wispert:
„Frei! Versteh Einer die Umleitung zur alten Bergstraße.“
Da wälzt schon unter der Brücke eine Schlammlawine über die Fahrbahn der Schnellstraße. Schäumend an den Rändern, fluten unaufhaltsame Wellen hügelabwärts, mit kniehohem braunen Dreck.
„Irgendwo rutschte ein Berg!“, japst Usa panisch, und dreht den Kopf von der verheerenden Aussicht ab.
„Gullys fassen nichts mehr! Die Sonnenverwöhnten der City erleben ein seltenes Desaster, die Hektik erlahmt.“ Anton reckt sich der fatalen Verschmutzung entgegen. „Wahrscheinlich liegt die City bereits stellenweise überflutet. Und wir mittendrin!“
Daumennagelgroße Regentropfen prasseln nun in endloser Woge an die Schlammlawine an der Via Rapida, deren Brücken nicht nur hier im Süden Täler und Felsrisse überspannen, auch weit in den Westen hinein. Plötzlich entlädt sich kirschkerngroßer Eishagel auf die oben stehenden Fahrzeuge.
Eine Minute lauscht Anton gebannt dem Knallen am Jeepdach.
„Es klingt wie das Wetter im alten Leben. Nebel ziehen hier ja auf, steigen die Temperaturen höher, aber dies entartet zur Zitterpartie“, brummelt er in die Stille, in der sich der Hagel an der weißen Motorhaube des Jeeps verflüssigt, und dabei seine Zehen eisig und klamm werden.
Usa aber zerwuselt hektisch mit beiden Händen die sattroten Strähnen im Kurzhaar der Schläfen, und zieht daraus eine ebenso verstimmte Antwort.
„Nichts hilft, nichts! Wir fahren möglichst denen nach, die sich auskennen, irgendwie westwärts in die Berge.“
Starr geradeaus sehend, lenkt Usa den Jeep am Polizisten vorbei, dessen blauen Regenmantel Eiskrümel