Die Worte Friedrichs II., die er nach Abschluss dieses Projektes von sich gab, sind weit bekannt und wurden vielfach zitiert: „Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert“. Auf sämtlichen Ländereien, die im Zuge der Umsetzung zahlreicher Meliorationsmaßnahmen für die Landwirtschaft nutzbar gemacht worden waren, wurden angeworbene Übersiedler aus Polen, Sachsen, Mecklenburg, Thüringen, der Pfalz, aus Anhalt, Österreich und anderen Ländern angesiedelt. Während der Regierungszeit Friedrichs des Großen von 1740 bis 1786 wurden etwa 100.000 Hektar Sumpfgebiete und ungenutzte Ländereien erschlossen.7 In dieser Zeit kamen ungefähr 284.000 Übersiedler in Preußen an, von denen sich 208.600 in Dörfern und 75.000 in Städten niederließen. Sie machten 7,5 % der Gesamtbevölkerung Preußens aus, welche 1740 2,24 Millionen, und 1786 6 Millionen betrug.8Insgesamt siedelten von 1640 bis zum Ende der Regierungszeit Friedrichs II. mehr als 500.000 Kolonisten nach Preußen über und machten damals ein Zehntel der Bevölkerung aus. 9
Die Peuplierungspolitik Friedrichs II. beschränkte sich nicht auf Maßnahmen, die dem Bevölkerungswachstum dienten, sondern schloss auch ein System von Gesetzgebungsakten und entsprechenden Reformen im Bereich der Medizin, Bildung, Hygiene, Wirtschaft und Sozialpolitik ein, die zu jener Zeit überaus progressiv waren. Auf Friedrich den Großen folgte sein Neff e Friedrich Wilhelm II. (1744 –1797) als preußischer König. Dieser war für eine passive Peuplierungspolitik verantwortlich, die sich auf die Sicherung der zuvor von seinen Vorgängern erreichten Ergebnisse beschränkte. Allerdings wurden bereits während der Regierungszeit des darauffolgenden Königs Friedrich Wilhelm III. (1770 – 1840) erneute Anstrengungen zur Verlängerung der Kolonisationspolitik in Preußen unternommen, insbesondere in seinen südlichen Provinzen. Somit dauerte die aktive Peuplierungspolitik Preußens, die schon 1685 mit der Verkündung des Potsdamer Edikts durch den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm begonnen hatte, ungefähr 150 Jahre lang, erstreckte sich über das 17., 18. und 19. Jahrhundert und endete mit der auf den deutschen Staatsgebieten einsetzenden Industrialisierung.
Dem Beispiel Preußens folgten im 18. Jahrhundert andere Länder Ost- und Südosteuropas, die ebenfalls mit der Durchführung einer aktiven demografischen Peuplierungspolitik begannen und damit ihre Bevölkerung durch fremde Staatsbürger zu vergrößern versuchten.
1.3. Wesentliche Strömungen der
Migration ins Ausland
An dieser Stelle beginnen wir mit der Untersuchung der wesentlichen Strömungen der Massenemigration deutscher Kolonisten und der ausschlaggebenden Motive, die eine derart schicksalsträchtige und riskante Entscheidung hunderttausender Menschen zur Folge hatten. Eine Entscheidung, die nicht nur für die ersten Übersiedler, sondern auch für deren Nachkommen in folgenden Generationen alles von Grund auf änderte. Die Bewohner der deutschen Ländereien begannen bereits im 17. Jahrhundert, ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben zu verlassen, ihre massenweise Emigration nimmt jedoch im 18. Jahrhundert ihren Anfang. In diesem stellen Südost- und Osteuropa bis zum Beginn des darauffolgenden Jahrhunderts die hauptsächlichen Auswanderungsziele dar, die nordamerikanische Strömung steht an zweiter Stelle. Zu jener Zeit waren hauptsächlich Ungarn und Russland Ziel der deutschen Kolonisten. Historiker gehen davon aus, dass sich zwischen 400.000 und 500.000 Menschen in dieser Richtung auf den Weg machten, während 100.000 deutsche Übersiedler die nordamerikanischen Länder als Emigrationsziel wählten.10
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts ändert sich das Bild abrupt, denn von nun an dominiert die Emigration in jenseits des Ozeans gelegene Länder und insbesondere in die USA, welche in dieser Hinsicht weit vor Kanada lagen. Das Ausmaß der europäischen Emigration in Länder jenseits des Ozeans ruft Erstaunen hervor. Experteneinschätzungen zufolge kehrten in hundert Jahren massenweiser Emigration von 1824 bis 1924 etwa 52 Millionen Menschen Europa den Rücken. Von diesen ließen sich 37 Millionen in Nordamerika, elf Millionen in Südamerika und 3,5 Millionen in Australien und Neuseeland nieder.11
Die Auswanderer aus Deutschland waren Teil dieser europäischen Massenemigration. Bis 1820 waren etwa 150.000 Deutsche in Amerika gelandet, danach stieg ihre Anzahl sprunghaft an und von 1850 bis 1890 stellten die deutschen Emigranten bereits die größte nationale Gruppe der gesamten europäischen Emigration nach Amerika dar. Insgesamt machten sich im Zeitraum von 1820 bis 1928 5,9 Millionen deutsche Bürger auf den Weg ans jenseitige Ozeanufer. Von diesen ließen sich 89,8 % oder 5,3 Millionen in den USA, 200.000 in Brasilien, 145.000 in Kanada und 120.000 in Argentinien nieder.12
Die Historiker, die die deutsche Migration in Länder jenseits des Ozeans untersuchen, unterteilen diese in mehrere zeitlichen Phasen. Der Meinung der einen zufolge gab es zwei solcher Phasen, wobei die erste vom Anfang bis zum letzten Viertel des 18. Jahrhunderts dauerte und die zweite das gesamte 19. Jahrhundert und den Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs umfasst. Andere vertreten die Ansicht, die erste Phase habe zu Beginn des 17. Jahrhunderts begonnen, und fügen noch eine dritte Phase hinzu, die vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart dauert.
Wie dem auch sei, die deutsche Emigration in jenseits des Ozeans gelegene Länder dauerte etwa zwei Jahrhunderte und vollzog sich in Wellen. In bestimmten Zeiträumen kam sie zum Erliegen, danach nahm sie wieder an Fahrt auf und spiegelte die mannigfaltigen sozialen, ökonomischen, politischen, natürlichen und sonstigen Probleme des deutschen Staates und seiner Gesellschaft wider.
In den folgenden Kapiteln des vorliegenden Buches werden die wesentlichen Strömungen der Emigration deutscher Kolonisten ins Ausland detaillierter behandelt.
Kapitel 2.
Massenemigration nach Südosteuropa
2.1. Transsilvaniendeutsche
Die ersten deutschen Siedlungen in Ungarn und dem Karpatenbecken entstanden bereits im 9. Jahrhundert zur Zeit Karls des Großen. Diese Zeit wird allgemein als erste Epoche der deutschen Ostsiedlung bezeichnet. Die zweite Epoche erstreckt sich vom 11. bis ins 14. Jahrhundert. Die dritte Epoche der deutschen Übersiedlung nach Südosten vollzog sich im 17. und 18. Jahrhundert und ist unter der Bezeichnung „Große Schwabenzüge“ bekannt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass hier vom historischen Ungarn die Rede ist, von welchem viele Regionen mit deutscher Besiedlung später an Österreich, Rumänien, Tschechien, die Slowakei und die Länder des früheren Jugoslawiens fielen. Vorab soll an dieser Stelle betont werden, dass die kompakten Wohngebiete der deutschen Übersiedler in historischer Hinsicht mehrfach von einem Staat an einen anderen fielen. Die im 9. Jahrhundert in Ungarn entstandenen ersten deutschen Siedlungen wurden zu Beginn des 10. Jahrhunderts durch Angriffe der Maritser und der Ungarn zerstört. Nachdem Fürst Stephan im Jahr 1000 den katholischen Glauben angenommen und den magyarischen Stammesbund in den ungarischen Staat verwandelt hatte, änderte sich die Einstellung gegenüber der Übersiedlung deutscher Staatsbürger, und man nahm diese mit offenen Armen auf. Erneut siedelten sich Ritter, Geistliche, Mönche und Bauern in großer Zahl als Gäste im Karpatenbecken an und spielten eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Christentums in Ungarn und für die Entstehung und Entwicklung des militärischen, politischen, kirchlichen und ökonomischen Umfelds des Landes.
Insbesondere die in großer Zahl stattfindende Übersiedlung der Deutschen, die die Bezeichnung „Transsilvaner Sachsen“ erhielten, nahm mit dem Aufruf des ungarischen Königs Geisa II. (1141 — 1161) zu Beginn des 12. Jahrhunderts ihren Anfang. Dieser rief die Deutschen dazu auf, sich niederzulassen, die öden Landstriche zu erschließen und ihre Grenzen gegen äußere Feinde zu verteidigen. Dabei setzte er große Hoffnungen auf die Kenntnisse der Übersiedler und ihre führende und effiziente Vorgehensweise im Handwerk, der Bodenbearbeitung und im Ackerbau, was letzten Endes zu höheren Steuereinnahmen führen musste. So kommt es gegen Mitte des 12. Jahrhunderts im Zuge der Ansiedlung der Transsilvaner Sachsen und der Zipser Sachsen in Ungarn zur Entstehung zweier