Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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achtete nicht darauf, als aber Leonore nach den Büchern griff, errötete sie und ein süßes Lächeln flog über ihre lieblichen Züge. Jedes dieser Bücher war ein Erinnerungszeichen an das erste Gespräch mit dem neuen Freunde, ein Erinnerungszeichen zugleich an ihre Kindheit, – in ihres Vaters Händen hatte sie diese Bücher gesehen und bisweilen hatte er ihr Einzelnes aus denselben mitgeteilt, und das junge Mädchen besaß einen kleinen Schatz von Naturkenntnissen, zwar nur fragmentarisch gesammelt, ohne System und Zusammenhang, aber darum vielleicht gerade umso mehr ihre Teilnahme und Wissbegierde aufregend. Der Blick, den sie auf den Geber dieses seltsam scheinenden Geschenkes richtete, war ein reicher Dank für ihn, es lag darin eine tiefe Anerkennung seiner Güte und eine Bestätigung gegenseitigen Verständnisses.

      »Nun, Du wirst Dich also auf Astronomie legen, Lorchen, vielleicht auch auf Geologie, wirst Botanik treiben? Der Tausend, das wird schön sein«, sagte der Justizrat spottend. »Die Tante wird sich darüber sehr freuen, sie ist eine große Freundin von Gelehrsamkeit und liebt alle Wissenschaften.«

      »Meine sel’ge Mutter, ihre Schwester, liebte sie auch«, sagte Lorchen harmlos, »mein Vater hat mir oft und oft erzählt, welche schöne Stunden sie in den ersten Jahren ihrer Ehe oft abends gehabt hätten, wenn sie zusammen spazieren gegangen wären, von den Wundern des Himmels und der Pracht der Erde sprechend. Er sprach auch oft mit mir darüber und sagte am Abende meines Konfirmations-Tages: obgleich die Astronomie dem positiven Glauben die Decke über dem Haupt, und die Geologie ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, so wären doch beide und überhaupt alle Naturwissenschaften die Wege, zum Wissen von Gott zu gelangen. Er sagte, Gott lebe für uns sichtbar in seinen Werken und führte mir den schönen Spruch des Apostels an: Denn dass man weiß, dass Gott sei, ist ihnen offenbart, denn Gott hat es ihnen offenbart, damit des Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen an seinen Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.«

      Die kleine Hand des Mädchens lag bei diesen Worten auf den Büchern, und ihre sanften Augen hingen mit dem Ausdruck stillen Entzückens an den Blumen.

      Sie sah so fromm und so mild aus, so kindlich einfach und doch so geistig erregt, ein Heiligenschein hätte zu diesem holdseligen Gesicht keinen Widerspruch gebildet, und doch war das blaue Auge nicht das der ewig Heiligen Jungfrau, es war das einer jugendlichen Magdalene, die noch schuldlos in die Welt blickt, neugierig, hoffend und fromm zugleich. Der Justizrat blickte auf sie und sein Spott schwieg, er musste seine Augen senken vor den reinen, treuherzigen des Kindes und das sinnliche Wohlgefallen, das er für das reizende unschuldige Geschöpf fühlte, verwandelte sich in ein seltsam peinigendes brennendes Gefühl, dem vielleicht ähnlich, das Mephisto beim Anblick der seligen Engelknaben ausspricht, er wandte sich von ihr und sagte flüsternd:

      »Nichts Liebenswürdigeres am Weibe als die Einfalt.«

      Dann aber setzte er hinzu:

      »Wenn es Dir Spaß macht, Leonore, Dich mit solchen gelehrten Dingen zu beschäftigen; so rate ich Dir, lass’ es die Tante nicht merken, sie ist der Meinung, dass einem Mädchen jedes Wissen, was den Kreis des ihrigen übersteigt, sehr schädlich sei, und stimmt sehr ernsthaft in die Behauptung Deines seligen Großvaters, der die Sucht seiner ältesten Tochter Anna, sich Kenntnisse zu erwerben, für den Grund ihres späteren Unglückes hielt, und am Ende mag er nicht so Unrecht gehabt haben, der ehrliche Alte. Kenntnis und Erkenntnis mögen Euch Weibern wenig nützen, wie schon die Geschichte Evas beweist. Meine Frau ist die beste Hausfrau von der Welt, sie hält Zimmer und Kammer wie geleckt, und kocht mit Christianens Hilfe und nach meiner Anweisung sehr gut; noch gilt sie dafür im Nähen, Flicken und Plätten nicht ihres Gleichen zu haben; ich fürchte, Lorchen, Du trittst nicht in ihre Fußstapfen, wenn Du Dich auf Astronomie und Botanik einlassest.«

      »Ich denke doch, Onkelchen«, entgegnete das kleine Mädchen ganz heiter. »Tante Selma ist mit mir zufrieden, und wenn Du nur wüsstest, wie viel Zeit wir übrig haben, sie und ich, Du würdest Dich gar nicht mehr wundern, dass sie so gern Patience legt und ich mich so sehr über Bücher und Blumen freue. – Ach, wenn ich nur ein Vögelchen, einen kleinen Hund halten könnte, wie wäre das so schön! Blumen, die man pflegt, sind nur halb lebendig, sie danken uns, indem es ihnen wohl ist und die blühen und schön aussehen – aber ein Hund, ein Haustier, o die können auch schmeicheln!« –

      Siebentes Kapitel.

      Der nordische Winter war vergangen und hatte mit dem nordischen Sommer gewechselt; denn der Frühling dieser Gegenden besteht nur in den Träumen ihrer Dichter.

      Baron Sigmund von Kandern war Ende Februar, nachdem er Leonoren noch ein Paket Bücher geschickt, ohne das Mädchen wieder zu sehen, nach Paris gereist und hatte sich bei dem Justizrat und dessen Gattin per Karte empfohlen. Es war für Lorchen ein rechter Kummer gewesen, als sie von der Abreise des Mannes hörte, den sie für ihren Freund gehalten; sie hatte darüber in der Stille und aus Herzensgrunde geweint. Guter Gott, außer dem fernen Vater, der so selten schrieb und dessen Briefe immer kürzer und kürzer wurden, hatte sie auf der ganzen Erde keinen einzigen Menschen, den sie wirklich und wahrhaftig lieb hatte. Tante Selmas Liebe war ihr zweifelhaft, weil die Tante, obgleich sonst eine gute Frau, doch gegen sie ganz besonders streng war und oft über Kleinigkeiten Stunden lang reden, ja geradehin schelten konnte; und in der Nähe des Onkels, der in Gegenwart anderer sie gar nicht ansah, obgleich er freundlich genug gegen sie war, wenn sie mit ihm allein, beschlich sie immer ein innerliches Grauen. Sie fürchtete den Justizrat nicht, weit ehe fürchtete sie die hübsche und so sanft redende Tante, aber – sie ekelte sich vor ihm. Seine eingesetzten Zähne, seine langen, blassen Hände, sein falsches Lächeln, sein oft so sonderbarer Blick mit dem Augenzwinkern, erregten ihren Widerwillen; und dann spottete er, so oft sich nur eine Gelegenheit fand, über Kandern, den Lorchen aus tiefstem Herzen lieb hatte, der ihr wie ein teurer älterer Bruder erschien und unter dessen Bilde sie sich alles Gute und Große, alles Männliche und Rechtliche vorzustellen gewöhnt hatte.

      Tante Selma hatte die Absicht, die Johanniszeit auf dem Lande zuzubringen und wollte Lorchen zur Familie des Oberamtmanns Herbusch mitnehmen, mit welcher schon der alte Oberst von Korff auf freundschaftlichem Fuße gestanden; auch war Delbruck damit anfangs einverstanden, und alle Vorbereitungen zur Abreise waren bereits gemacht. Aber den Tag vor derselben meldete sich ein Rheuma so bedeutend und so zur Unzeit, dass die Tante schon nach Kaimehlen abschreiben wollte.

      »Es wird nicht anders gehen, liebe Selma«, sagte der Leidende, »so leid mir’s auch um Dich und Deine gestörte Sommerfreude tut, aber allein mit Christiane und Wurmser kann ich unmöglich bleiben.«

      Die Justizrätin seufzte und versicherte, dass es ja gar nichts auf sich habe, dass sie recht gerne bleibe, dass es ja auch nur ihre Pflicht sei, die ihr übrigens auch in Kaimehlen keine Ruhe lassen würde. Freilich wenn Leonore ein bisschen verständiger wäre, wenn man das träumende, leichtfertige Ding zu etwas brauchen könnte, da – mit sechszehn Jahren war sie selbst, die wackere Tante Selma, viel verständiger und viel, viel praktischer gewesen.

      Man müsste es versuchen! warf Delbruck gleichgültig hin – mit Wurmser und Christianens Beistand sei das Mädchen am Ende doch zu brauchen. Er wolle doch gern seiner Frau die Reise und den ländlichen Aufenthalt gönnen, der ihrer Gesundheit und Schönheit stets so zuträglich. Tante Selma lächelte, sie hatte es sehr gern, wenn ihr Mann von ihrer Schönheit sprach. Man komplimentierte noch ein wenig miteinander und endlich war man einig, und Lorchen erhielt den Befehl, ihre Sachen auszupacken und sich zur Pflege des kranken Onkels vorzubereiten. Sie betrübte sich deswegen recht innerlich. Wieviel Freude hatte sie sich von der Reise versprochen!

      Fahren, Meilen weit fahren durch den Sommersonnenschein; die wogenden Kornfelder sehen, zwischen deren schlanken Halmen rote Mohnköpfe hervor funkeln, und blaue Kornblumen wie Freundesaugen zu ihr hinüberschauen. Sich versenken in die dunklen Schatten des lieben Waldes, den silberhellen Strom vorübergleiten sehen und dem Segel des Schiffs mit den Augen folgen: das alles ging ihr nun verloren, sie blieb in der heißen, dumpfigen Stadt und allein neben dem Onkel. Wie peinlich war ihr die Vorstellung von den langen, langen Stunden, die sie ihm gegenüber