Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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der Litauer, mit dem Schaft seiner Peitsche auf Delbrucks Stirn zeigend.

      Er zog seine Taschenbürste hinaus und sah die garstige, blau und grün schillernde Breusche, die er sich geschlagen, als Lorchen sich aus seinen Armen losriss.

      »Satansmädchen«, murrte er und verschluckte den Fluch, der ihm sonst noch zwischen den Zähnen saß. »Fahr zu, Donaleitis, was die Pferde laufen wollen, wir müssen zu Menschen, um die Dirne suchen zu lassen.«

      Der Wagen donnerte über den holprigen Waldweg, Delbruck drückte sich in die Ecke und legte Leonorens Mäntelchen neben sich. Ihm war sehr unheimlich zu Mute.

      Alle Zeichen von der kürzlichen Anwesenheit des jungen Mädchens und ihrer jähen Flucht schienen als Ankläger gegen ihn aufzutreten. –

      Es wurde dunkel, ehe man den Strom erreichte, der, vom Johanniswasser geschwellt, breiter und reißender als gewöhnlich war.

      Wenn sie in der Dunkelheit umherirrend an dies wilde Wasser käme und ein Fehltritt sie hinunterstürzte, dachte Delbruck und es überrieselte ihn eiskalt. Er teilte den Fahrleuten mit, dass seine Nichte sich im Walde verirrt, und bot Geld, wenn sich Leute fänden, die sogleich sie aufzusuchen eilten. Die Litauer versprachen, das Möglichste zu tun, und als der Justizrat endlich in tiefster Aufregung bei dem alten Rauscher anlangte, waren Anstalten zur Aufsuchung des armen Mädchens mit höchstem Eifer getroffen.

      Der Oberinspektor Rauscher selbst ließ sein Pferd satteln, nahm eine Laterne und sprengte hinaus, das verirrte Enkelkind seines alten Freundes Korff aufzusuchen, und Delbruck setzte sich an die Spitze eines Zuges von Litauern, die zu dem nämlichen Zweck auszogen. -

      Jenseits der Scheschuppe im Walde teilte man sich in drei Parteien, Donaleitis führte die eine, Delbruck die andere und Rauscher die dritte, und so begann man den Forst in weidmännischer Weise abzusuchen.

      Die Nacht wurde rau, ein starker Tau fiel gegen Morgen, Delbruck zitterte wie Laub teils vor Frost, teils vor Furcht, während er durch das feuchte Moos schritt. Niemand hatte eine Spur von der Verirrten entdeckt, als endlich die Partei des Kutschers und des Herrn sich auf einer Lichtung zusammenfand, und, außer sich, warf Delbruck sich auf den feuchten Waldrasen und bedeckte das Gesicht mit den Händen, tausend grässliche Möglichkeiten bedenkend, die Leonoren ins Verderben geführt haben könnten. Eine Stunde später langte auch Rauscher unverrichteter Sache dort an, und schweigend und in der düstersten Stimmung begab sich der Zug ohne die Gesuchte nach Wilkowischken zurück, als bereits die Sonne ziemlich Mittag verkündete.

      Elftes Kapitel.

      Leonore hatte sanft geschlafen und erwachte über einem Ruf der Verwunderung, der ganz in ihrer Nähe ausgestoßen wurde. Sie schlug die Augen auf und sah sich einer jungen Dame von so großer Schönheit gegenüber, dass sie sich wohl versucht fühlen konnte, sie für die Waldfee zu halten. –

      Die blendende Erscheinung trug einen Überwurf von blassrotem, leichtem Stoffe, der hoch an den Hals hinaufgehend, um die Taille mit einer Gürtelschnur zusammengehalten war. Weite Ärmel verdeckten die Arme und ließen die Hände frei, an denen sie Halbhandschuhe von Gemsleder trug. Braune, volle Locken quollen unter einem runden Strohhut hervor, den nichts als ein grüner Schleier und eine gleichfarbige einfache Schleife verzierten. Das Kleid war aufgeschürzt und ließ Füßchen von der höchsten Eleganz sehen, die vor dem Tau und den Dornen des Weges durch feste, aber sehr feine Lederschuhe geschützt waren, und in der Hand trug sie einen Korb von litauischer Arbeit halb mit duftigen Erdbeeren gefüllt, die auf grünen Blättern lagen, und die andere Hand hielt einen Strauß von zitternden Grasblüten und wilden, eben erblühten Rosen. Beide Mädchen betrachteten einander mit gleich erstaunten, ja erschrockenen Blicken, bis endlich die Erdbeerensammlerin in sehr gutem Deutsch, aber mit etwas fremdem Akzent fragte:

      »Sind Sie, liebliches junges Geschöpf, das Moosweibchen oder eine Verirrte, die unglücklicher Weise trotz der Nähe unserer Wohnung ihr Nachtlager im Walde hat nehmen müssen?«

      Leonore richtete sich mutig empor, bezwang das Gefühl des Elends und der Verlassenheit, das im Augenblick, als sie erwachend völlig zur Besinnung kam, ihr Herz überkrochen und sagte:

      »Wer Sie auch sein mögen, ich bin verirrt, obdachlos und verlassen, ich bin ganz, ganz allein in der Welt und bitte um Gottes willen, erbarmen Sie Sich über mich, bringen Sie mich unter Menschen, die sich meiner annehmen und ein verwaistes Mädchen vor Verzweiflung schützen.«

      »Das ist sonderbar, höchst sonderbar«, meinte die junge Dame, »aber folgen Sie mir in Gottes Namen, ich werde Sie unter Menschen bringen und mögen Sie älteren und erfahreneren Personen mitteilen, auf welche Weise Sie in diese seltsame Lage geraten sind, ich kann nur Mitleid mit Ihnen haben. Ja, wären Sie auch ein böser Geist, oder ein schlechtes Weib, ich würde Ihnen dennoch Obdach geben, denn für einen so zarten Körper als der Ihrige, ist eine Nacht im Tau gewiss nicht zuträglich.«

      Als Leonore sich emporrichtete, fühlte sie, dass alle ihre Glieder schmerzten und wie zerschlagen waren. Ihre Kleider lagen feucht an ihrem Körper und ihr Haar war vollständig durchnässt. Ihr einfaches Strohhütchen lag neben ihr auf dem Rasen, aber sie hatte weder Tuch noch Handschuhe und folgte der Fremden mit wankenden Füßen.

      Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Wald sich lichtete und sie eine prächtige Allee von Buchen betraten, die in gerader Richtung nach einem hübschen Landsitz führte.

      »Zu wem bringen Sie mich, gnädiges Fräulein?« fragte Leonore mit zitternder Stimme, denn der Gedanke, ihre Flucht und deren Veranlassung irgendjemandem erzählen zu sollen, ließ plötzlich wieder ihr armes Herz erstarren.

      »Ich führe Sie zu meiner Tante«, entgegnete die junge Dame, »in deren Hause ich selbst nur ein Gast bin.«

      Sie betraten in diesem Augenblick den hübschen Hofraum, und Lorchen sah sich vor dem Portal eines palastartigen Gebäudes mit einer Auffahrt an der Fronte, die ebenfalls prächtige Buchen beschatteten.

      Ein paar Pfauen, Perlhühner und anderes Geflügel hüpfte und flatterte lustig umher. Lange, stattliche Häuser mit Bogenfenstern schlossen den Hof ein, überall sah man Verzierungen von Gusseisen und Bronze. Ein Taubenhaus von zierlicher Bauart stand mitten im Hofe, und dicht vor der Auffahrt im Schatten einer mächtigen Buche sprudelte ein Springbrunnen sein kristallhelles Wasser in eine Röhre von Sandstein. Hinter den Gebäuden sah man Baumgruppen vom verschiedenartigsten Grün, die auf einen Park von großem Umfang schließen ließen, und ein paar Diener in grau und silberner Livree liefen geschäftig hin und her.

      An der Haustür stand ein großer, dünner Mann in schwarzer Kleidung und von jenem eigentümlichen Aussehen, das den protestantischen Geistlichen charakterisiert. Er verbeugte sich tief vor der jungen Dame und warf einen forschenden Blick auf Lorchen, die errötend vor dem ersten Mann, der ihr seit jenem schrecklichen Moment entgegentrat, die Augen niederschlug.

      »Ist meine Tante schon zu sprechen, Herr Doktor?« fragte die junge Dame, und der Angeredete, sich tief verbeugend, antwortete:

      »Sie wartet mit dem Frühstück auf Sie, Fräulein Thekla.«

      »Treten Sie hier ein«, sagte diese nun zu Lorchen, die Tür eines sehr eleganten Zimmers öffnend, und kaum fühlte das junge Mädchen sich allein, als sie wie gebrochen in einen Stuhl sank, ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und weinte. Sie schluchzte so heftig und war so ganz in ihren Kummer versunken, dass sie den Eintritt einer Dame nicht eher bemerkte, als bis diese mit einer sehr wohlklingenden Stimme sagte:

      »Wer sind Sie, mein Kind, und was fehlt Ihnen?«

      Leonore erhob die Augen und blickte in das Gesicht einer ältlichen Frau von beinahe nonnenhaftem Aussehen. Sie trug ein ganz einfaches Häubchen von weißem Mull, das ihr fast ergrautes Haar beinahe ganz verdeckte und unter dem Kinn mit Mullstreifen zugebunden war. Ihr Kleid von grauem Seidenzeug ging hoch hinauf bis an den Hals, wo es mit einer kleinen, weißen Krause verziert war, ebensolche Kräuschen deckten auch die Hände; sonst sah man an der ganzen