Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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hässlich aussehen kann, je nachdem man es stellt und anordnet. Wie hässlich könnten diese Speisen, diese Flasche mit dem Glase aussehen, wenn ich nun alles durcheinander würfe. Was mag’s nur eigentlich sein, das die Schönheit hervorbringt? O wie angenehm und wohltuend ist das, was man unter Schönheit versteht!«

      Sie klopfte mit leichtem Finger an des Onkels Sanktuarium, das nie der Fuß einer Magd betreten durfte, da Wurmser, der Schreiber, das Amt hatte, das Zimmer zu reinigen. Delbruck öffnet mit eigener Hand. Sein gewöhnliches, gar nicht schönes Lächeln blitzte über sein Gesicht. Er beugte sich, sah dem jungen Mädchen ins Auge, legte ihr die Finger unters Kinn und fragte mit einem eigenen Ausdruck:

      »Wie ist der Ball bekommen, Fräulein Lorchen, mein Püppchen?«

      Ein seltsames Gefühl rann leise, aber rasch durch alle Glieder des Mädchens. Sie konnte nicht gleich antworten, weil sie sich erst besinnen musste, wie es nur zuginge, dass des Onkels Berührung ihr stets die nämliche unangenehme Empfindung erweckte. Es war, als ob eine Raupe sich auf ihre Hand niederließe – Lorchen liebte die Raupen gar nicht.

      »Nun, Kleine?«

      »Wahrhaftig, Onkelchen, ich weiß nicht, mir war heute recht hässlich zumute, so hässlich, dass ich dachte, ich wollte in meinem Leben nicht mehr tanzen, nicht dass ich unwohl oder müde wäre, behüte!– siehe nur, ich kann noch prächtig tanzen«, und dabei drehte sie sich, das Teebrett in der Hand haltend, graziös auf einem Fuße um und machte einen allerliebsten Menuetten-Knix,– »aber innerlich war mir’s gar nicht behaglich, ich hätte weinen können, über gar nichts, ja ich habe sogar geweint.«

      »Das nennt man moralischen Katzenjammer, Liebchen«, sagte der Justizrat und führte dabei das Kind, ohne dass sie eigentlich wusste wie, nach dem kleinen Sofa, auf das er sie mit einer leichten Handbewegung niederdrückte.

      »Nun iss mit mir, Leonore«, fügte er dann hinzu, »hier trink’ aus meinem Glase, der Wein, den so frische Mädchenlippen kredenzen, schmeckt noch einmal so gut.«

      Lorchen nippte und Delbruck schlürfte den Rest, mit seinen Lippen genau die Stelle berührend, an der das Mädchen getrunken. Justizrat Delbruck war ein Mann von etwa fünfzig Jahren. Er musste sehr hübsch gewesen sein. Figur, Haltung und Sprache hatten ein gewisses vornehmes sich Gehenlassen, das ihm vortrefflich stand. Sein Haar war noch voll und lockte sich leicht über eine Stirn, die jetzt wohl höher als vor zwanzig Jahren sein mochte. Sein Mund war hübsch, er mochte in jüngeren Jahren zu denen gehört haben, die man mit Kirschen zu vergleichen pflegt. Jetzt lag etwas Schlaffes um denselben und sein Lächeln war durchaus nicht schön, ja es hatte für Lorchen geradehin etwas Furchterweckendes, denn es zeigte die goldene Vernietung der falschen Zähne, vor denen der Kleinen ein wenig graute. Alle seine Züge waren regelmäßig, die Augen braun und länglich und sie pflegten sich, wenn er lächelte, zu schließen, so dass unter den bleichen, gesenkten Lidern der Blick wie ein Blitz aus Wolken, wie eine funkelnde Kohle aus einem tiefen Schlot hervorzuleuchten schien. Seine Gesichtsfarbe war bleich und schwammig, und seine Hand, die er eben in Lorchens weißen Nacken legte, feucht.

      »Iss mit mir, Liebchen«, sagte er sehr leise und sich, als ob er ihr ein wichtiges Geheimnis anvertraue, an Lorchens Ohr neigend.

      »Danke, Onkelchen, ich habe gar keinen Appetit.«

      »Du siehst so nachdenkend aus, Leonore, was fehlt Dir, Mädchen?«

      »Nichts, Onkel, ich dachte nur wirklich nach, ich dachte daran, weshalb Sie wohl in dieser Stube so sehr, sehr viel freundlicher gegen mich sind, als an jedem andern Orte, man möchte glauben, es läge in diesen vier Wänden ein Feenzauber.«

      »Freut Dich meine Freundlichkeit, reizendes Geschöpfchen?«

      »Aufrichtig gesagt, mein lieber Onkel, und darüber mache ich mir Gewissensbisse, Sie sind doch der Mann von meiner lieben sel’gen Mutter einziger Schwester, Sie sind mein Wohltäter und doch mag ich lieber, wenn Sie mich ganz und gar nicht ansehen, als wenn Sie mir so nahe rücken und mir die Hand aufs Kinn oder in den Nacken legen, ich denke eben nach, woher das kommen mag?«

      Drittes Kapitel.

      Justizrat Delbruck biss sich in die Lippen und ein roter Fleck zeigte sich auf seiner Wange.

      »Du wirst Dich an meine Freundlichkeit gewöhnen, Engelchen, und ich denke, die Zeit soll kommen, wo Du sie voll und ganz erwidern wirst. Das Glück ist ein bunter Vogel, der über uns schwebt. Seine glänzenden Federn tragen ihn gerade in eine solche Höhe, dass wir ihn sehen können; um ihn zu greifen, müssen zwei nach ihm jagen: einer, der sich noch mit Leichtigkeit in die Wolken erhebt, und ein anderer, der festen Fußes auf dem Erdboden steht und den gejagten Flüchtling mit sicherer Hand zu packen versteht; weißt Du, Lorchen, dass wir gerade so ein Paar wären?«

      Er beugte sich und küsste ihren Nacken. Sie stand oder sprang vielmehr auf. Es war eine ganz unwillkürliche Bewegung und sie würde genau dieselbe gewesen sein, wenn ein Frosch die ungewöhnliche Dreistigkeit gehabt hätte, auf ihren Hals zu hüpfen. Er fasste die kleine Hand und flüsterte, ihr in die Augen sehend:

      »Fürchtest Du mich, Mädchen?«

      Sie nahm sich zusammen:

      »Nein, lieber Onkel, Sie haben mir nur Freundliches und Gutes erwiesen, wie sollt’ ich Sie fürchten, aber ich glaub’, ich hab’ einen natürlichen Widerwillen, mich anfassen zu lassen. Es ist recht dumm von mir; aber wenn Sie es lieber sein lassen wollten, Onkelchen, es wäre so freundlich von Ihnen; sagten Sie doch neulich, als wir von Fröschen, Spinnen, Raupen und Mäusen redeten, solche Gefühle könne man nicht durch Verstandesanstrengung überwinden, sie lägen eben nur in den Nerven.«

      »In der Tat sehr schmeichelhaft!« sagte Delbruck nun auch aufstehend, und ein finsterer grollender Blick fiel auf das arme Kind und durchzuckte sie bis ins tiefste Herz. Plötzlich aber und rasch sich überwindend, lächelte der Justizrat, fuhr mit dem Tuch über die bleiche Stirn und sagte freundlicher als je:

      »Fort, kleines Mädchen, an Deine Stickerei jetzt, damit die Tante nicht schelte!« und als Lorchen zur Tür hinausgeschlüpft, setzte er Achselzuckend hinzu:

      »Ich glaube, ich verfalle in schülerhafte Dummheiten dieser heillosen Naivetät gegenüber. Pah! Rom ist nicht in einem Tage gebaut.«

      Oben in Lorchens Stübchen stand Tante Selma und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Großer Gott! Wie war das Kind ihrer Schwester, das arme Komödiantenkind, in der Erziehung vernachlässigt! Da hing noch an der Zimmertür das weiße Gazekleidchen vom gestrigen Ball, da auf dem Stuhle lagen die Atlasschuhe, der Blumenkranz war ohne alle Sorgsamkeit auf den Tisch geworfen. In der Tat, des Zimmerchen gemalt, hätte ein hübsches Seitenstück zu dem berühmten Kupferstich »Studentenwirtschaft« abgeben und füglich die Unterschrift:

      »Mädchenwirtschaft«, tragen können. Die blühenden Blumen am Fenster, der Ballputz aller Orten, ein mächtiger, mit einem weißen Tuch etwas nachlässig bedeckter Stickrahmen in der Ecke, und an der hintersten Wand das Bettchen, noch ungeordnet, so weiß aber und so umweht von einem Hauche jungfräulicher Reinheit. Die Morgen-Schuhchen vor demselben von grünem Maroquin, klein und schmal gleich Philinens berüchtigten Pantoffelchen, und auf dem kleinen Tisch am Kopfende die Bibel, in der die Bergpredigt aufgeschlagen und das schöne Wort Christi:

      »Selig sind, die reinen Herzens sind«, mit einem Rotstift angezeichnet war; alles dies bildete ein Ganzes, zwar von entzückender Eigentümlichkeit, doch keineswegs geeignet, das Herz einer ordentlichen Hausfrau zu erfreuen. Die Justizrätin war aber eine solche und zwar mit allen Eigenheiten einer kinderlosen Dame, die in der Welt keine andere Sorge und Rücksicht kennt, als die für ihre Möbel und Kleider.

      »Lorchen! Mädchen! Um Gottes willen, Kind! Kind! Was soll daraus werden?« sagte sie zu der Eintretenden im Tone eines wahren Seelenschmerzes.

      »Ich kann gar nicht anders, ich muss Dich sehr schelten, obgleich Du das Kind meiner einzigen verstorbenen Schwester bist,