Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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Wagen nach, der morgens vier Uhr mit der Glücklichen durch die stille Straße rollte.

      Es war kühl und morgenfrisch. Auf den Eisenketten vor der Haustüre hingen Tauperlen, und der Kastanienbaum, gerade über vor dem Posthause, hatte alle Blätter voll Tröpfchen. Ein Stückchen blauen Himmels, an dem weiße Wolkenschäfchen sich sammelten, hing über der schlafenden Stadt. Der Nachtwächter ging vorüber und sagte freundlich:

      »Guten Morgen, Fräulein Lorchen.«

      Wie schön erschien ihr das alles.

      »Ich will die Morgenstunde recht genießen, so sehr ich nur immer kann«, dachte sie, nahm oben einen Teil von Brandes Briefen, öffnete das Fenster des besten Zimmers und setzte sich lesend an dasselbe. Es kamen einzelne Stellen, die ihr, obgleich sie die Kupfertafeln aufschlug, unverständlich blieben und sie versuchte nun, sich über dieselben aufzuklären, in dem sie auf einer Schiefertafel Zeichnungen entwarf. Das war hübsch und die Zeit flog ihr dabei unter den Händen hin. Es schien ihr, indem sie mehr und mehr zum Verständnis der Größe, Regelmäßigkeit und Einfachheit des Naturganzen kam, als ob leise eine Hülle nach der andern von einer himmlisch schönen Natur, einem von ihr geahnten Götterbilde niedersänke. Das Köpfchen in die Rechte gestützt, den Zeigefinger der Linken als Zeichen in dem auf dem Schoße ruhenden Buche, betete sie in ihrem Herzen die Worte des Psalmisten:

      »Herr, wie sind Deine Werke so groß und viel, Du hast sie alle weislich geordnet und die Erde ist voll Deiner Güte!«

      Ihre Gedanken trugen sie auf Seraphsflügeln weit weg von der Erde, und mit ganzer Seele bei dem erhabenen Gegenstande, der sie beschäftigte, weilend, beschlich den ermüdeten kindlichen Körper der Schlaf. Sie fühlte ein Sichlosringen von etwas sie Hinderndem, Fesselndem. Sie sah sich selbst, schlafend am Fenster der Tante, den Kopf müde und träumerisch an die Wand gelehnt, während sie sich doch deutlich bewusst war, dass sie langsam, getragen von mächtigen Schwingen, ohne Furcht, ohne Schwindel, ohne ein Gefühl der Verwunderung emporschwebte in der unermessenen Bläue des Äthers.

      Eine weiße Wolke zog vor ihr her, die schien ihr ein weißes, fliegendes Gewand zu sein, das ein Etwas verhüllte, das ihr unendlich teuer, dessen Dasein ihr Herz mit Freude erfüllte und stillen Trost auf die Stellen ihres Ichs goss, die sie ohne Aufhören schmerzen fühlte. Ohne die Hand auszustrecken, fühlte sie, dass sie sich festhielt an jenem flutenden Gewande, dass es ihr half, sich empor zu heben, und wie sie so da hinzog durch unendliche Räume, blickte sie nieder – unter ihr schwamm die Erdkugel, sie war ihr so fern, dass sie sie überblicken konnte. Das Meer deckte den schönen Stern, wie ein Gewand von Silberlohe, von dem das grüne, blühende Land wie von einer prachtvollen Stickerei verziert. Die Eisspitzen der Gletscher lagen darauf als blitzende Brillanten, der Sand der Wüste bildete einen goldenen funkelnden Gürtel darum, und die ziehenden Wolken umwebten alles mit einem zarten Schleier. Es war ein unbeschreiblich schönes Ganzes, was sich den entzückten Augen des jungen Mädchens zeigte und ihr Herz schlug hoch auf in unaussprechlicher Wonne. – Und wie sie umherblickte, da erkannte sie, dass ein Wesen neben ihr war, das Blicke unendlicher Liebe auf sie heftete, und eine Stimme, mild wie das Säuseln des Waldes, flüsterte ihr zu:

      »Sieh, Leonore, wie klein die Erde wird mit allem, was sie enthält, wenn die Erkenntnis Dich über sie erhebt, und vergiss nicht, wie groß das Kleinste dem Herzen wird, wenn die Liebe Dich hineinversenkt. Ein Tropfen Wasser ist eine von Leben wimmelnde Welt, und der Stern, den Du Welt zu nennen gewöhnt bist, kaum ein Tröpfchen im Ozean des Alls. Lerne ––«

      Ein heftiges, dröhnendes, widerwärtiges Lachen übertäubte die weiteren Worte, Leonore konnte sie nicht verstehen, sie fühlte, dass eine Hand sich kalt und schwer auf ihre Schulter legte und erwachte von einem eisigen Schauder überrieselt.

      Achtes Kapitel.

      Onkel Delbruck stand neben ihr und lachte, lachte so sehr und so laut, wie Lorchen es noch nie von ihm gehört hatte.

      Als er sich endlich zu fassen begann, sagte er, auf das Buch zeigend, das noch immer dem Mädchen im Schoße lag:

      »Nun, das gestehe ich, Leonore, Du studierst Deine Bücher mit lobenswerter Aufmerksamkeit, ich werde nicht verfehlen, Deinem Verehrer Kandern dies Resultat Deiner Beschäftigungen mitzuteilen. O Gott, ehre das weibliche Geschlecht, das sich gleich bleibt in allen Lebensaltern und Verhältnissen! Nein, nein, mein Schätzchen, die Wissenschaft ist nichts für euch, euer Feld ist die Liebe; über einem hübschen Roman wäre schön Lorchen nicht eingeschlafen,– gelt? –«

      Das junge Mädchen antwortete nicht, ihr war zu Mute, als wäre sie sehr unsanft plötzlich aus den Wolken zu Boden gefallen, sie heftete einen fragenden, scheuen Blick auf das Gesicht des Justizrates: gehörte dasselbe noch zu ihrem Traum? Hatte ein böser Dämon seine Wohnung aufgeschlagen in dieser Gestalt, die ihr immer und immer so ängstigend erschien?

      »Kennst Du mich nicht, Leonore? Ich glaube wahrhaftig, das Mädchen träumt noch fort mit offenen Augen«, sagte Delbruck, seine Hand noch einmal auf ihren weißen Nacken legend.

      Sie fuhr zusammen wie vor der Berührung einer Schlange und große Tränen stürzten ihr über die Wangen.

      »O Du hast mich erschreckt, Onkelchen!« flüsterte sie. »Ich träumte so süß.«

      »Nun Dein Erwachen soll auch kein allzu trauriges sein, Kleine, höre mir zu und wische den Schlaf aus den Augen. Ich bin weit wohler als noch gestern und zweifle nicht, dass mein Anfall vorüber sein wird. Da ich nun in der Gegend von Kaimehlen Geschäfte habe, so werde ich übermorgen der Tante nachfahren und Dich mitnehmen. Freilich reisen wir ein wenig Kreuz und Quer, da ich unterwegs vielerlei Verrichtungen habe, umso vergnüglicher aber wird die Fahrt für uns beide werden, und Du wirst allerlei hübsche Leute kennenlernen.«

      Warum konnte sich nur Lorchen nicht freuen? Warum schlug ihr Herz so seltsam bänglich, wenn sie an die Fahrt dachte? Mit dem Onkel in einem Wagen viele Stunden lang – o das war zu peinlich, ebenso gerne wäre sie neben einer Kröte, ja neben einem Krokodil allein gewesen.

      »Packe Deine Sachen, Kind«, sagte der Justizrat, »und richte Dich so ein, dass wir zwei bis drei Nächte unterwegs sein werden, es lässt sich nicht anders machen.«

      Wie schnell der Onkel genesen war! –

      Lorchen war zu jung, zu unschuldig und ahnungslos, um an irgendeine Heuchelei oder an irgendetwas Absichtliches im Betragen ihres Verwandten auch zu denken.

      Sie packte und ordnete, nahm Abschied von Christianen und saß zur festgesetzten Stunde neben Delbruck in einem eleganten Wagen. Der Kutscher, ein Stocklitauer, fuhr vom Sattelpferde aus, die Equipage war elegant, hatte Vorder- und Hinterverdeck, und man fuhr mit sechs polnischen Pferden.

      »Ja«, sagte der Justizrat, als er die Wagentür zuschlug und das Fuhrwerk über das Pflaster donnerte, »das wird gehen wie auf Fausts Mantel. Oberinspektor Rauscher aus Wilkowischken hat mir sein Gespann und Fahrzeug geschickt, und dort bleiben wir die Nacht.«

      Es war nachmittags zwei Uhr, und ein glühender Sommertag lag über der nordischen Sommerlandschaft. Ruhig floss der Memelstrom zwischen seinen grünen Uferhügeln dahin.

      Anfangs folgte der Weg den Ufern des Flusses, bis er hinter einem litauischen Dörfchen in jenen göttlichen Tannenwald einbog, der unter dem Namen des Trakehner Forstes bekannt ist.

      Es war sechs Uhr abends. Die Sonne stand schon niedrig genug am Horizont, um ihre langen schrägen Strahlen, zwischen den hohen Stämmen hindurch, auf den grünen Moosboden zu werfen. Der Wald gleicht hier den erhabenen Hallen eines gotischen Domes. Die Stämme steigen, schlanke, gerade Pfeiler der edlen Kronen tragend, kerzengerade empor und erst in ansehnlicher Höhe breiten sich die Zweige aus, bedeckt mit jenem dunkeln fast schwarzen Grün, das sich in zarter maigrüner Spitze endigt. Lange schlanke, fast rosigrote junge Tannzäpfen hängen von allen Zweigen nieder und ein tiefblauer Himmel spannt sein Zelt über die sommerstille Waldlandschaft.

      Hier fuhr der Wagen langsam. Delbruck