Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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war gewiss ein Engel in Menschengestalt. Der Sohn hat nicht viel getaugt – und Sie wissen ja, Justizrat, er ging unter die Komödianten und war hernach, als der Vater schon lange tot und all’ die Geschichten vorbei waren, in Tilsit, und nahm sich die Schwester Ihrer Frau, die hübsche Anna von Korff mit. Ja, apropos, wo haben Sie, Justizrat, denn das kleine Ding, Ihre Nichte, gelassen? Ist sie noch bei den Herrschaften in Ragunen? Sehen Sie, sie ähnelte merkwürdig der Tochter des Predigers Arnold, aber die war noch hübscher, eigentlich darum fiel mir auch im Winter das Gesichtchen so auf.«

      »Aber Sie wollten uns, denk’ ich, den Grund von Florians Selbstmord auseinandersetzen«, unterbrach der Justizrat.

      »Ja, so, ach so, na Florian hatte noch einen ältern Bruder Victor, und der Baron, der Vater, stiftete ein Majorat, und der älteste wurde zum Gutsherrn erzogen und der jüngere kam unter die Garde-Husaren. – Er war ein Bild von einem Mann, die Kanderns waren und sind alle verteufelt hübsche Leute, den Victor ausgenommen, der krank und elend, nicht so recht aufwachsen wollte. – Nun soll die hübsche Predigerstochter in Königsberg, im Hause eines Verwandten, erzogen worden sein, und dort soll sich schon eine Liebschaft zwischen ihr und dem Husaren-Offizier gemacht haben. – Der alte Baron hatte sich, was man so sagt, verbautet und fing an, Geld zu brauchen. Geld und nur Geld. – So richtet er denn sein Augenmerk auf die reichen Mädchen in der Gegend, und da kommt er auf die gute Idee, für einen Majoratsherrn um das einzige Kind der alten steinreichen Exzellenz Lollhardt zu werben. – Nun merken Sie wohl auf. Ludmilla Lollhardt, Dorothea von Kandern, und die Leonore Arnold, waren Schul- und Spielgenossinnen gewesen, und so wusste es die Dorothea, dass die reiche Erbin ihren schönen Bruder gern habe. Der Majoratsherr bekam einen Korb, Dorothea verriet aber dem Vater, dass der junge Lieutenant glücklicher sein würde. So wirbt also der Baron ohne weiters für seinen zweiten Sohn und bekommt auch von dem Mädchen ein vergnügtes: ›Ja‹ und von der alten Exzellenz Zusicherungen über große Geldsummen. – Nun geschah aber etwas Seltsames und höchst Schreckliches. Dorothea nämlich war in Schirwindt beim Prediger auf Besuch. Sie war zur Zeit ein schönes, junges Mädchen. Da erkrankte sie plötzlich. Kein Arzt durfte zu ihr, niemand durfte sie sehen, und als sie wieder zum Vorschein kam, war sie, wie man sie jetzt sieht, das Gesicht voll Narben und Beulen, der Leib verschoben und verkrümmt. – Was hat man da geredet und gemunkelt, kein Mensch aber weiß bis auf diesen Tag, wie das Unglück sie betroffen. – Florian war mit Ludmilla verheiratet, und nun kamen Dinge zum Vorschein, gar nicht schöne, kann ich Ihnen sagen. Er besuchte die Predigerstochter ganz öffentlich und vernachlässigte seine Frau. Ja, er und Dorothea, brachten die Geliebte als eine gemeinschaftliche Freundin ins Haus, wo sie ein eigen Stübchen hatte. – Plötzlich aber war sie verschwunden, kein Mensch erfuhr und ahnte, wo sie geblieben. Florian beschuldigte Frau und Vater, sie fortgeschafft zu haben, und ein fürchterliches Zerwürfnis war in der Familie. Baron Victor war indes gestorben und Florian einziger Erbe. – Der alte Baron hatte nur einen Götzen in der Welt, den Anstand, und dass niemand von ihm was Böses zu reden wüsste. Ehre und Anstand waren bei ihm das dritte Wort. Florian aber wollte leben und glücklich sein. Das mochte wohl mit der Frau, die ihm zuteil geworden, nicht so recht gehen. Er hasste den Vater, er hasste seine Frau, das war gewiss. Der Alte wollte das verlöschen und vermänteln, er war immer der Feine, der Liebenswürdige. Selbst da die Katastrophe kam, und der Sohn mit zerschossenem Kopf vor ihm am Boden lag, hat er nicht sein Kavalierwesen aus den Augen gesetzt. Gott der Gerechte! Ich sehe ihn noch, wie er die arme Frau aus dem Wagen hob und zu den Umstehenden sagte: ›mein unglücklicher Sohn hat in einem Anfall von Wahnsinn, an dem er zuweilen litt, seinem Leben‹ – weiter konnte er nicht reden, die Stimme blieb ihm im Halse stecken, aber die Tochter im Arme haltend, ging er mit aufgerichtetem Haupt in das Haus, das er gebaut, sozusagen geschaffen hatte, und der polnische Kutscher trug den kleinen Siegmund nach, und die verkrüppelte Schwester schlich hinter ihnen her, wie ein gräuliches Gespenst.«

      Der Inspektor sah sich bei diesen Worten mit einem Blick um, der das unheimliche Gefühl, das ihn durchschauerte, besser als jede Rede ausdrückte.

      »Nein! Und sollte ich die Schätze aller Kandern und aller Lollhardts von Ewigkeit her mein eigen nennen, ich möchte in diesem gottverfluchten Hause nicht wohnen. Sie will mir’s verpachten, die Baronin, aber der Herr bewahre mich, solche Erinnerungen machen das prächtigste Haus zu einem Kirchhof. Begreife auch nicht, wie der alte Baron es hier hat noch Jahre lang aushalten können, bis er starb.«

      »Ich hab’ ihm manchmal zugesehen«, sagte ein jüngerer Bruder, »ein Junge, wie ich damals, kann unbeachtet überall hinlaufen. Die Leute, die noch den alten Arnoldi gekannt, meinten, Baron Kandern habe seine Seele dem Teufel gegeben, der die Gestalt jenes Mannes angenommen und ihm dafür diese Besitzung zu erwerben und das Schloss zu bauen gestattet habe. – Der Park, das Schloss und der kleine Siegmund, das war sein Alles. Mit dem Kinde an der Hand ging er im Park umher und zeigte ihm jeden Baum und redete ihm vor von der Schönheit des Besitztums und von der Mühe, die alles gemacht, und dass er als der Erbe es in Ehren halten und verschönern und vermehren möge. – Ich kann schwören, dass ich mehr als einmal hinter einer alten Eiche verborgen, oder da im Mooshause meine heißen Tränen geweint habe, wenn ich den alten Mann zu dem Kinde reden hörte. Und wie er dann aussah, die kerzengerade Figur und das silberne Haar und die feinen Spitzen, Manschetten und der Mund, um den es so sonderbar zuckte, wenn er das Kind: ›Mein Sohn‹ nannte.«

      »Wissen Sie«, sagte Delbruck, »dass ich gestern nachts den Kutscher traf, der an jenem grässlichen zwanzigsten Juni die Familie hierher fuhr und von dem alten Baron sogleich entlassen wurde?«

      »Damals war der Mensch nicht zu bändigen«, entgegnete der Oberinspektor, »er wollte durchaus die Baronin sehen und sprechen, die aus einem Krampf in den andern fiel, so eine zähe Polacken-Natur hab’ ich bald nicht gesehen – er war gar nicht abzuweisen. Er ist jetzt hier, und hielt die Pferde, als die täuschende Ähnlichkeit der Szene uns auf diese vergangenen Schaudergeschichten brachte.«

      »Sonderbar«, meinte der Assessor, »ist’s doch, als wenn solche Dinge zu Zeiten mit aller Gewalt sich wieder in Erinnerung brächten, Luft und Licht, Menschen und Gegenstände, alles macht die Vergangenheit dann lebendig, und ich sage auch, solche Erinnerungen sind die eigentlichen Gespenster. Es gibt keinen ärgeren Spuk, als unsere eigenen traurigen Gedanken.« –

      Neunzehntes Kapitel.

      Leonore war täglich von früh bis abends in der Gesellschaft des alten Fräuleins von Kandern, die sich mit dem Mädchen voll mütterlicher Freundlichkeit unterhielt.

      Tante Dorchen hatte eine Menge von Arbeiten für Leonore, und zwar waren dies lauter solche, bei denen man etwas Reelles lernen konnte. Das Fräulein trieb die Wohltätigkeit systematisch und als eine Berufsarbeit und hielt ihr Jungferchen, wie sie die kleine Leonore scherzhaft nannte, eifrigst an, für diesen ihren Beruf mitzuwirken. –

      Eine Kammerjungfer brauchte Tante Dorchen wirklich nicht. Frau Rauscher ordnete eigenhändig jeden Tag Bett und Zimmer der alten Dame, die sie mit einer Art von Anbetung liebte. Ihre Kleidung bestand stets nur aus grauen, braunen oder schwarzen Überwürfen und einem einfachen, weißen Halskragen, und ihr Herr arrangierte sich selbst in zwei Minuten, und Leonore sah manchmal mit einem Gefühl von Grausen, wie sie die langen, schweren, silberweißen Zöpfe rasch zusammenflocht und mit einigen Hornnadeln befestigte. Es war eine Eigenheit der wunderlichen Alten, dass sie kein Eisen, überhaupt kein Metall an ihrem Leibe dulden konnte und mochte, sie behauptete, das Tragen einer gewöhnlichen Haarnadel verursache ihr Herzbeklemmung und Nervenkrämpfe. Auch ihr Fingerhut war von Elfenbein und sie strickte nur mit Nadeln von Fischbein oder gedrechselten Knochen. –

      Unter den Augen ihrer seltsamen Gebieterin lernte Leonore schneidern – sie wusste selbst nicht, wie sie es erlernt hatte, aber das Fräulein zeigte ihr ein paarmal die Maße, den Schnitt, lehrte sie aufzeichnen und nach vierzehn Tagen, die sie in Ragunen verlebt, schnitt und nähte sie sich selbst ein Kleid von hübscher blau und weißer Leinwand, das Fräulein Dorothea ihr von einer Webe schenkte, die sie selbst gesponnen. Es war ein hübsches Kleid und stand Leonoren vortrefflich, und wie freute sie sich, dass ihr Schnitt und Nähterei