Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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er so die versäumte Nachtruhe ersetzt hatte, nahm er sehr gern Platz auf dem Perron im Schatten einer mächtigen Eiche, die der vorvorige Baron von Kandern, der Erbauer des Gebäudes und Gründer des Parkes, mit Weisheit beim Bau geschont hatte und die dem Platz nun zur höchsten Zierde gereichte und ihm zugleich ein altertümliches Aussehen sicherte. Die drei Männer plauderten und lachten bei einer Flasche vortrefflichen Weines, bis der Wagen des Justizrats, diesmal mit zwei zum Gute gehörigen stattlichen Schimmeln bespannt, vom Schmied zurückkehrend, vor dem Perron hielt. Eine helle Abendsonne vergoldete den Platz vor der Tür und goss ihren Schimmer über alle Gegenstände des stattlichen Gehöftes. –

      Kropowitzky stand die Pferde haltend neben dem Fahrzeug, einem hübschen, aber etwas altmodischen Verdeckwagen, die Luft war sommerstill und nach dem Gewitter der Nacht von einer köstlichen Frische. Was war es denn, das den Dreien beim Anblick des Wagens, des Kutschers und der Schimmel so plötzlich das Wort im Munde erstarren machte, das gespenstig vor aller Augen aufzutauchen schien, das dem Wein seine Blume, der heiteren Luft ihre Frische, der Gegend ihren sommerlichen Glanz verdarb?

      »Großer Gott«, sagte der Oberinspektor und setzte das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, auf den Tisch.

      Der Justizrat flüsterte mit bleich werdender Lippe:

      »Das ist eine seltsame Ähnlichkeit«, und der jüngste der Männer sprang von seinem Stuhle auf und schrie:

      »Haben wir heute nicht den dreißigsten Juni?«

      Das Wort hatte den Bann gebrochen, der sich über sie gelagert.

      »Wahrhaftig!« sagte der Justizrat gefasst, »Augenblicke wie der gegenwärtige könnten einen gebildeten und aufgeklärten Menschen an Spuk und Gespenster glauben lassen.«

      »Na, Justizrat, Gott straf’ mich, wenn ich nicht fest überzeugt bin, hier spukt es. Warum wird uns allen so grauslich jetzt am hellen lichten Tage, warum zittern wir Männer beim Anblick eines Wagens und zweier weißen Pferde im schönsten Sonnenschein? Ich sage Ihnen, das Gespenst Florians geht hier um, und kann denn auch seine Seele Ruhe haben nach solch’ grausamer Tat?«

      »Es ist die Erinnerung, lieber Rauscher, die uns alle so elektrisiert, und wahrhaftig mein Wagen sieht genau aus wie jener, der vor – wie lange mag’s nun sein?«

      »Zweiundzwanzig Jahre«, entgegnete der Ober-Inspektor. »Die kleine Emma war noch nicht geboren, sie kam erst zur Welt sieben Monate nach dem grausigen Ende ihres Vaters.«

      »Aber«, sagte der Assessor, »ist es denn gar nicht möglich, dass der fürchterliche Tod Florians von Kandern von einem unglücklichen Zufall herbeigeführt wurde? Ich kam aus dem Garten gelaufen, als ich den Schuss fallen hörte und sah nur die geschehene Tat. Steht mir doch der Moment vor Augen, als wäre keine Stunde seitdem verflossen. – So, gerade so wie jetzt, stand der vorgefahrene Familien-Wagen aus Ragunen. So hielt der Kutscher die beiden prächtigen Schimmel, und so wie jetzt schien die Sonne.«

      »Ja«, sagte der ältere Bruder, »es war grässlich, Du warst ein kleiner Junge und konntest all’ das Elend nicht so übersehen wie ich, der ich schon halb und halb ein Mann und durch die Mutter in manche Familienverhältnisse eingeweiht war.«

      »Ich weiß von allem damit Zusammenhängenden nichts«, meinte der Justizrat; »ein Zufall hatte mir, dem ganz jungen Referendarius aus der Residenz, ein Kommissorium hier in der Gegend gegeben, und der Baron hatte mich für einige Tage zu sich gebeten. Ich stand mit der Billard-Queue in der Hand, als die Familie aus Ragunen anlangte und sah nichts, hörte nur den Knall der Pistole und den grellen Aufschrei einer Frauenstimme. Da lief ich eiligst hinaus! Den Anblick aber vergess’ ich, weiß Gott, nie und würd’ ich hundert Jahre alt. Da, dicht vor dem Wagenschlag stand der alte Baron, eine stattliche Kavaliers-Figur im Frack mit seidenen Strümpfen, Schnallenschuhen und Kniehosen, den Hut unterm Arm; er hatte seiner Schwiegertochter aus dem Wagen helfen wollen. Vor ihm auf dem Rasen lag zusammengebrochen die Leiche seines Sohnes. Das Gesicht war grässlich zerstört und der Kopf sozusagen auseinandergesprungen, Blut und Hirn hatten die Kleider des Vaters und des Kutschers befleckt und lagen auf dem Wagentritt, und auf dem Knie Siegmunds, der, damals vielleicht ein fünfjähriger Knabe, totenbleich auf dem Rücksitze des Wagens kauerte. Die Baronin lag mit gefaltenen Händen im Wagen auf den Knien; sie war starr und wie tot, und Dorothea hielt sie mit ihren Armen umschlungen.«

      »Weiß Gott, die hat was erfahren, die Arme«, sagte der Ober-Inspektor tief aufatmend. »Tante Dorchen ist eine goldene Seele und ihres Gleichen gibt’s so bald nicht, aber hören Sie, vom Schicksal zurecht geschlagen und gehämmert, ist sie auch wahrhaftig.«

      Delbruck zuckte zusammen.

      »Schwerer geprüft scheint mir in diesem Fall doch die Gattin als die Schwester.«

      »Eine wie die andere. Bei der Frau kann man sagen, dass Reichtum, Schönheit, vornehmer Stand, Klugheit und alles miteinander nicht so ein bisschen Glück geben, nicht so viel wie ein ordentlicher Bettler oder Leibeigener an einem Abend hat, wenn er nach der Fidel auf dem Rasen tanzt. Die Frau, die reichste Erbin in Ost- und Westpreußen und eine Schönheit, so eine Schönheit zu ihrer Zeit, und was hat sie vom Leben gehabt? Die Tochter ist ewig krank und elend, der Mann hat sich erschossen, der Sohn hält sich bloß so ehrenhalber zu ihr, denn er macht sich nichts aus der Mutter. Du großer Gott, was hilft ihr all’ ihr Gut und Geld, ihre Schlösser und Parks und Wälder und Wiesen. Sie ist auch fromm geworden, der Prediger aus Königsberg, der von nichts als der ewigen Vergeltung spricht und vom Gotteslamm, das ist ihr Faktotum, na wenn sie nur ihren gehörigen Verstand behält, eine dumme Frau ist sie ganz und gar nicht.«

      Achtzehntes Kapitel.

      »Aber um alles in der Welt, bester Freund«, sagte Delbruck, als der Oberinspektor schwieg, »was kann nur den unglücklichen Mann, ich meine den Baron Florian, zum Selbstmorde und zu einem solchen Selbstmorde bewogen haben?«

      Rauscher tat einen langen Zug aus seiner Pfeife, sah eine Weile vor sich nieder und zuckte die Achseln.

      »Liebesgeschichten, sagte man! – Gott mag’s wissen, es schwebt darüber so ein apartes Dunkel. Sehen Sie, die Familien-Verhältnisse waren seltsam. Der alte Baron – ich meine Florians Vater – war kein reicher Mann. Er hatte das Gütchen, das ich jetzt in Pacht habe; das war sein Erbteil. Nun aber lagen hier herum ungeheure Landstrecken unbebaut, unbewohnt und auch unbewohnbar, weil aller Kultur anscheinend unfähig. – Da kam in den neunziger Jahren oder auch meinetwegen noch früher, zur Zeit der Französischen Revolution ein Mann her, der sich Arnoldi nannte. Ein Grundgelehrter muss er gewesen sein, denn sie sagten von ihm, er könne Gold machen. – Meine Mutter hat mir das erzählt, wissen Sie, die es von ihrer Schwiegermutter gehört, meiner seligen Großmutter, die dazumalen Beschließerin auf Ragunen war. Also dieser Arnold wohnte und lebte bei dem Baron, es war ein alter Mann mit weißem Haar, manche sollen ihn für ganz verrückt gehalten haben, weil er von nichts als verborgenen Kräften in der Natur und von der Elektrizität und so allerlei gesprochen. Andere meinten nun, er sei ein Hexenmeister und dergleichen. Dem widersprach er aber sehr eifrig; er hatte einen Sohn, der ward Theolog und Prediger in Schirwindt, heiratete dort und hatte zwei Kinder. Der Prediger aber war ein Kumpan wie sein Vater, und all’ sein Geld gab er aus für Bücher und Luftpumpen und Elektrisiermaschinen. Der alte Arnoldi teilte dem Baron von Kandern einige Geheimnisse mit über künstliche Düngung und wie man vermittelst gewisser Abzugsgräben, ohne große Kosten, den Palwe-Sumpf hier herum entwässern könne. Mein alter Baron war klug genug, Lehre anzunehmen, so kaufte er für ein Butterbrot den Boden hier und noch den Wald dazu, der zur Zeit auch keinen großen Wert hatte, und machte seine Experimente und erzielte einen ungeheuren Erfolg, ein wahres Heidengeld. – Wie das denn so geht. ›Gut macht Mut, und Mut macht Übermut‹ sagt das Sprichwort, der Baron fing an zu bauen, den Wald zum Park zu machen. Alles glückte ihm. Der alte Arnoldi starb und ward begraben, und nun war sein Sohn, der Prediger, das Faktotum des Gutsherrn. – Der aber hatte seine Gedanken nicht auf das, was Geld bringt. Ich hab’ ihn noch gekannt, den wunderlichen Mann. Er predigte nur von Gottes Größe in der