Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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unter den letzteren sah Leonore ihren Freund Boleslav, in einer ihr bisher völlig unbekannten Tracht, die ihm vortrefflich stand und ein gewisses adeliges Aussehen, das dem Alten ohnedies eigen war, noch mehr hervorhob.

      Ein weites, kaftanartiges Gewand von Seide, mit Pelz verbrämt, stand vorn offen und ließ rote Beinkleider, eine Weste mit verschossener Silberstickerei und Stiefel von ungeschwärztem Leder mit schweren Sporen sehen. Um den Leib trug der Greis trotz seiner friedlichen Beschäftigung einen Ledergurt mit einem krummen Säbel, und auf dem Kopf seine viereckige Pelzmütze, die er nur beim Eintritt ins Zimmer grüßend mit der Hand berührt hatte.

      »Ich schäme mich nicht hier zu dienen, Panna«, sagte er, sich neben Leonoren stellend, »und Sie dürfen sich dessen auch nicht schämen. Das Haus ein sehr vornehmes, sehr edles und ein szłachćić, der, arm geworden bei der Not seines Vaterlandes, nichts Besseres tun kann, als einem andern dienen.«

      Leonore lächelte dem Alten liebevoll und freundlich zu und ward mit ihm zusammen von dem Strom der Gesellschaft nach dem Tisch hingedrängt, auf dem neben einem der Couverte auch ihr Name lag, bezeichnend, dass die Geschenke an dem Platze ihr Eigentum. –

      In allem, was sie empfing, und es war nicht wenig, erkannte sie die milde Vorsorge ihrer Gebieterin; drei Gegenstände aber waren auch da, die schwerlich von Dorotheen stammen konnten, ein schön in französische Stickerei gearbeiteter Kragen, ein Paar ähnlicher Ärmel und ein schwarz gebundenes, mit Goldschnitt wohlgeziertes Büchlein, das den Titel führte: »Andachtsbuch zur Erbauung und Herzenserhebung für die echt protestantische Christin.«

      Zu ihrer Freude sah sie, dass an den Stickereien die Namen Thekla und Emma angesteckt waren als Beweis, dass die jungen Damen des Hauses freundlich der Verwaisten gedacht, welche die stolze Hausfrau nicht als Ihresgleichen betrachten wollte. Das Andachtsbuch aber bezeichnete Tante Dorchen ihr als ein Christgeschenk des Geistlichen, der es sich heute besonders angelegen sein ließ, mit Leonoren in Berührung zu kommen. Wie wenig nun auch das junge Mädchen durch die Aufmerksamkeiten des blassen Mannes erbaut war, konnte sie dieselben doch nicht ganz zurückweisen, denn Frau von Kandern hatte es sichtlich angeordnet, dass Leonore in seiner Nähe bleiben musste. Nach Landessitte speisten am Christabend sämtliche Diener und Hausoffizianten mit der Herrschaft und den Gästen zusammen, und Leonore betrat, nachdem die Christbescherung vorüber, am Arme des Geistlichen zitternd den Speisesaal, wo wie unter dem Christbaum, ihr Platz ihr zwischen diesem und dem alten Boleslav angewiesen war.

      Ein Trompetentusch rief die ganze Gesellschaft zur Tafel, und Boleslav horchte auf denselben mit sichtbarer Freude und erhob den kahlen Kopf, wie ihn das Schlachtross bei ähnlichem Tone erheben mag. Leonore war auf die Unterhaltung ihrer beiden Nachbaren angewiesen, denn zwischen ihr und ihrem Gegenüber, dem dicken Oberinspektor Rauscher, stand eine ungeheure Schale, in der eine Spiritusflamme brannte, welche eine Menge Rauchwerk, die über derselben auf einem Gestell von Eisenblech lag, allmählich in Dämpfe auflöste.

      Hinter dem jungen Mädchen flammte ein ungeheurer Kaminofen, und Leonore befand sich in doppelter Beziehung zwischen zwei Feuern, denn ihre beiden Tischnachbarn machten ihr jeder in seiner Weise nicht wenig warm. Der Geistliche, indem er leise, aber mit salbungsvollem Tone ihr von ihrer Schönheit, ihrem Liebreiz, ihrer Holdseligkeit zuflüsterte, dass dem armen Kinde der Schweiß auf die Stirn trat; und Boleslav, indem er laut allerhand Bemerkungen aussprach, die an Leonoren gerichtet, dieser das Blut in die Wangen jagten, weil sie das Lächeln und Lachen aller Anwesenden erregten. Wenn sie sich abwandte um der Scylla der groben Schmeichelei ihres geistlichen Nachbarn zu entgehen, fiel sie unvermeidlich in die Charybdis der tollen Anmerkungen des weltlichen. Ein Trompetentusch, der das Signal zur Aufhebung der Tafel gab, schien ihr daher ein Erlösungszeichen, war es aber noch nicht so ganz, denn bei diesem Klange erhob der alte Pole wieder stolz sein kahles Haupt und sagt laut wie die Trompete:

      »Wenn ich gnädige Frau von Kandern wäre und zehn Töchter hätte, ließe sie alle Trompet‘lernen, das ist ein zu schönes Instrument.«

      Unter lautem Gelächter aller Anwesenden wünschte man sich eine gesegnete Mahlzeit, und Leonore folgte ihrer gütigen Gebieterin in das stille Zimmer derselben, während im Gesellschaftssaal und im großen Saal des Souterrains fröhliche Musik zum Tanze einlud.

      Auch Frau von Kandern ging in ihr Zimmer, der Geistliche folgte ihr dahin.

      »Ich bin entschlossen, gnädige Frau, meine verehrte Freundin und Gönnerin, ich werde die Stelle in Gumbinnen annehmen und das junge verwaiste Mädchen heiraten«, sagte er, sich behaglich in den einzigen Lehnstuhl des Zimmers zurücklegend. »Das Mädchen ist jung, wird bildsam sein und mir eine christliche Hausfrau werden. – Sie ist arm allerdings und die Tochter eines Komödianten, aber sie ist – ist –«

      »Sie ist sehr schön«, sagte Frau von Kandern mit tiefen bebenden Tönen, »so schön fast wie jene, deren Namen ich nicht aussprechen kann. Die Monate, welche sie unter Dorotheens Händen zugebracht, haben das einfache Kind zu einer reizvollen Jungfrau entwickelt, sie ist unsäglich schön, anders schön als alle gewöhnlichen jungen Mädchen. Mein Sohn darf und soll sie nicht sehen, höchstens als Ihre Braut dürfte er ihr wieder auf dem Lebenswege begegnen, sonst nie.«

      »Werben Sie für mich, meine gnädige Freundin?«

      »Ich?« entgegnete Frau von Kandern, und zuckte mit einer halb verächtlichen, halb verwunderten Gebärde die Achsel. »Ich wäre wohl die unpassendste und unglücklichste aller Freiwerberinnen, aber ich will mit Dorotheen reden.«

      »Um das Vorwort des Fräuleins habe ich bereits gebeten.«

      »Was hat sie Ihnen geantwortet?« fragte die Dame hastig.

      »Ich will Ihren Wunsch meiner kleinen Pflegebefohlenen vortragen, unterstützen kann und mag ich ihn mit keinem Worte, ich bin keine Freundin der Ehen, welche durch Überredung geschlossen werden.«

      »Siegmund kommt im März«, sagte Frau von Kandern, anscheinend ohne auf das Wort des Sprechenden zu achten. »Bis dahin muss das Mädchen aus dem Hause sein und womöglich verheiratet. Es muss sein! Komme sonst, was mag, aber das Blut der Arnoldi und Lollhardt kann nicht zusammenfließen, ehe möge jedes für sich, wie einst, den Erdboden färben. Sollen alle meine Leiden und Kämpfe umsonst gewesen und das Resultat meines ganzen Lebens eine Verbindung meines einzigen Sohnes mit diesem, diesem Mädchen sein? – Da, lesen Sie seinen letzten Brief. Lesen Sie die feurigen Dankesworte, die er mir sagt, weil ich das liebliche, schuldlose Geschöpf, das einzige Mädchen, das je das Interesse seines Herzens erregt, in mein Haus aufgenommen. Lesen Sie, wie er von Thekla spricht, als wäre das prächtige Edelfräulein, die einzige Tochter eines Grafen und die Erbin einer halben Million, nicht wert, neben diesem – o mein Gott, mein Gott! Es muss und darf nicht geschehen, und doch habe ich keine Macht über den eisernen Willen meines Sohnes, nicht einmal einen rechten mütterlichen Einfluss auf ihn. Ich bin gleich elend als Mutter, wie als Gattin.«

      Hingerissen von einem Schmerz, dessen Wildheit sie zu bändigen nicht mehr fähig, warf die unglückliche Frau sich in einen Sessel, bedeckte ihr bleiches starres Gesicht mit den Händen und weinte. Und aus ihren geschmückten Sälen tönte heitere Musik, fröhliche Gäste drehten sich in lustigen Tänzen.

      Die Champagnerstöpsel flogen knallend an die Decke; Leonore aber, die schuldlose, ahnungslose, das Kind, verstrickt und verwickelt ohne eigenes Zutun in die Geschichte einer in sich zerfallenen Familie, saß lächelnd zu den Füßen ihrer milden Gebieterin und sprach mit ihr von Weihnachtslust bei Reichen und Armen.

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