Ein Lebenstraum. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177402
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Schmerz rann durch ihre ganze Seele, und während der natürliche jungfräuliche Stolz sich gegen die bloße Vermutung einer zu innigen Zuneigung an den fremden Mann empörte, fühlte sie doch ihr Blut gerinnen und ihr Herz weinen, weil diese Hinneigung ihr nicht gestattet wurde. – Es war ihr zu Mute, als ob das letzte Band, das sie an Glück und Hoffnung knüpfte, fühlbar in ihrer Seele zerrisse. Und doch musste sie sich sagen, dass Dorothea von Kandern ihr eine große Wohltat erwies, indem sie sie bei sich behielt. Sie konnte neben Delbruck nicht mehr leben! Ihn täglich, stündlich sehen, oft sogar mit ihm allein sein und ihm die dem nahen Verwandten, dem Familienhaupt gebührende Achtung beweisen, lag außer dem Kreise der Möglichkeit für das arme Kind. Die Gesellschaft eines Krokodils wäre für Leonore nicht grässlicher gewesen als die ihres Onkels. So küsste sie resigniert die Hand des Fräuleins und sagte mit leise bebender Stimme:

      »Ich danke Ihnen und werde mich in alle Ihre Anordnungen zu fügen suchen.«

      Dorothea streichelte mit sanfter Hand den seidigen Scheitel des Mädchens.

      »Lesen oder schlafen Sie jetzt ein Stündchen, mein Kind!« meinte sie freundlich, »ich gehe zu meiner Familie und werde dort meinen Entschluss mitteilen, Sie hier zu behalten.«

      Lorchen öffnete das Buch, als das Fräulein hinweggegangen, aber sie las nicht, tausend Gedanken zogen durch ihre Seele, schmerzlich und demütigend, aber mitten im Strom derselben – o Glück der Jugend und Unschuld – überschlich sie der Schlummer und sie schlief fest und träumte süß, als ein altes Mütterchen mit silberweißen Haare ins Zimmer trat, geräuschlos ein Tischchen deckte und ein schmackhaftes Abendbrot darauf servierte.

      Vierzehntes Kapitel.

      »Stehen Sie auf, liebes Kind«, sagte die Alte, Leonoren die Hand auf die Stirn legend, und diese schrak empor und blickte verwundert in das fremde Gesicht.

      »Es ist mir immer leid, ein so junges, müdes Ding zu wecken, aber es geht schon nicht anders. Sie können im Bette des Fräuleins nicht die Nacht über bleiben und zudem wird Speise Ihnen guttun. Ziehen Sie sich rasch etwas über, dort steht Ihr Kofferchen, das der Herr Justizrat hier gelassen, eilen Sie, Herzchen, ich muss des Fräuleins Zimmer und Bett für die Nacht einrichten.«

      Das waren die ersten Worte, die der schlaftrunkenen Leonore in die Ohren tönten und sie zum Bewusstsein ihres Kummers und ihrer Verlassenheit zurückriefen. Aber wie traurig das junge Mädchen auch sein mochte, es war nichts desto weniger unleugbar, dass sie einen recht tüchtigen Hunger verspürte, denn das späte Mittagsbrot der vornehmen Familie hatte sie verschlafen. Die Alte sah ihr beim Essen mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt zu und sagte endlich:

      »Ja, ja, in den Jahren schmeckt’s; wenn Sie aber satt sind, so kommen Sie gleich mit mir, ich zeige Ihnen Ihr Stübchen, Ich bin hier Beschließerin, mein liebes Kind, und sorge seit zweiundfünfzig Jahren für das Haus. Ich war so jung wie Sie, als ich hierher kam, und wie ich Sie so da liegen sah, so jung, hübsch und unschuldig, da ist mir der Gedanke durch den Kopf gegangen, der Himmel, der mir eine Tochter versagt, hätte Sie zu meiner Nachfolgerin bestimmt. – Nun, wenn Sie satt sind, kommen Sie hübsch mit mir.«

      »Darf ich mich nicht dem Fräulein empfehlen?«

      »Nicht doch, das Fräulein ist noch unten in der Gesellschaft, doch muss sie, wenn sie heraufkommt, alles in Ordnung finden, sie bleibt selten, bis alles vorüber, manchmal ist sie keine fünf Minuten unten und den ganzen übrigen Tag schreibt sie entweder, oder liest, oder geht zu Kranken und Armen. Sie ist grausam gelehrt und schrecklich gut, liebes Kind, und macht sich mit jedermann gemein, Stolz kennt sie gar nicht, sie ist eine echte Kandern, wie der gnädige Herr, Gott hab’ ihn selig, und unser Sohn Siegmund. Die Familie der gnädigen Frau ist ganz anders, die halten viel auf den Stand. – Nun, sie können es auch. Der Vater unserer Gnädigen – wir nannten ihn unter uns ›die alte Exzellenz‹ – war General-Lieutenant und Graf, und sein Vater ist Minister gewesen und seine Mutter Oberhofmeisterin, die Lollhardts sind eine grausam vornehme Familie. Und nun kommen Sie, Herzchen, Fräulein Dorothea hat befohlen, dass Sie morgen früh wieder bei ihr sind.«

      Sie zündete trotz der Helle des Zimmers eine Ampel an, die an der Decke hing, und ging dann raschen Schrittes voraus durch lange hallende Gänge und eine Menge glänzender Zimmer. Das letzte derselben war ein Saal von riesigen Dimensionen. Die Wände waren buchstäblich bedeckt mit Bildern, die alle nur Personen teils männlichen, teils weiblichen Geschlechtes vorstellten. Die Kleidung war verschieden und gehörte sichtlich auch verschiedenen Zeitepochen an, die Gesichter aber hatten meistens Ähnlichkeit miteinander und besonders wiederholten sich die großen nachtschwarzen Augen. – Leonore war unter den Ahnenbildern Siegmunds. Mit klopfendem Herzen schritt sie zwischen ihnen dahin und heftete ihre Augen bald auf dieses, bald auf jenes ihr besonders auffallende Gesicht.

      »Das sind alles Lollhardts«, sagte die Beschließerin, mit der Hand auf die Bilder deutend, »sie sind verwandt mit den Kanderns, schon von Uralters her, sonst hätte der selige Herr schwerlich die reiche Erbin bekommen; denn sehen Sie, Kindchen, obwohl von erbärmlich vornehmer Familie, war er doch nur ein armer Husaren-Lieutenant und ihm gehörte nichts als das Gütchen in Wilkowischken, das jetzt mein Ältester bewirtschaftet. Das ist ein kapitaler Landwirt, er hält die ganze Geschichte hier zusammen; denn unser Sohn Siegmund, müssen Sie wissen, wenn er auch gerade nicht dem Vater nachschlägt, der sich aus der Wirtschaft wenig machte, ist doch noch jung und viel auf Reisen, und dann ist er auch mörderlich gelehrt, und die Gelehrsamkeit will sich mit der Wirtschaft bei Mann und Weib nimmer mehr vertragen.«

      Unter diesem Geplauder waren die beiden eine Treppe hinabgeschritten und befanden sich in einer tiefen Parterre-Region des stattlichen Gebäudes. Hier reihte sich Zimmer an Zimmer, und in eines derselben führte Frau Rauscher Leonoren.

      »Na, hierher soll ich Sie bringen, hat das Fräulein befohlen. Es ist noch immer eher ein Gast- als ein Domestiken-Zimmer. Die Predigerstöchter aus Schirwindt haben hier vor Jahren oft logiert. – Ja, das ist nun lange her!«

      Die Alte seufzte, sah mit einem eigenen Blick in dem Stübchen umher, in dem es bereits zu dunkeln begann, zündete eine auf der Kommode stehende Kerze an, sagte:

      »Gute Nacht, mein Kind«, und ließ Lorchen allein mit ihren Träumen und Gedanken.

      Es war ein freundliches, einfach möbliertes Stübchen, dessen Einrichtung das hierher verschlagene junge Mädchen sich nun betrachtete. Das Gerät von Eichenholz, spiegelblank gebohnt, gehörte einer Mode längst vergangener Zeit an. Ein weiß überdecktes Bett stand an der einen Wand, an der außerdem noch ein großer, altmodischer Kleiderschrank Platz fand. Die Fenster, welche nach dem Park hinaus sahen, hatten Gardinen von weißgrundigem Kattun, auf den blaue Kronen gedruckt waren. Wie altmodisch das Muster auch sein mochte, sah es doch sauber und ganz hübsch aus. An einer zweiten Wand befand sich eine Kommode, die man auch, da sie einen mit Tuch beschlagenen Auszug hatte, als Schreibtisch benützen konnte. Ein Waschtisch mit einfacher Einrichtung stand hinter dem großen, braunen Ofen. Ein kleines Schränkchen, etwa zu Büchern und dergleichen, fand sich auch noch im Zimmer, dessen Möblement durch sechs schwere eichene Stühle mit Einlagekissen, die mit Moor überzogen waren, vervollständigt wurde.

      Leonore fühlte sich wohl und behaglich in diesem Raume. Sie konnte sich selbst kaum sagen, woran es lag, dass ein Geist des Friedens und der Gemütlichkeit über sie kam. Sie packte ihren Koffer aus, den ein junges, ländlich aussehendes Mädchen ihr gebracht hatte, räumte ihre wenigen Sachen in die riesigen Behälter, öffnete dann ein Fenster und setzte sich daran nieder, die Landabendluft zu genießen, die von Blumenduft durchwürzt zu ihr herein wehte.

      So saß sie lange. Der Mond ging auf und ergoss sein silbernes Licht durch den blühenden Park, die Schwarzwälder Uhr an der Wand schlug Mitternacht und das ganze Haus schien in tiefer Ruhe zu liegen, ehe Leonore sich auskleidete und mit dem Nachtgebet auf den Lippen entschlief.