Iska - Die Flucht. Jürgen Ruhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Ruhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754185339
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mit Guntram nicht glücklich geworden, aber stünde ich noch einmal vor dieser Entscheidung und könnte ich damit das Geschehene rückgängig machen, ich wäre bereit mich zu fügen.‘

      V. Die Flucht

      Mutlos schaute das Mädchen erneut nach oben. Ein leichter Wind kam auf und plötzlich sah sie durch die Öffnung das Licht des Mondes. Nur ein schwacher Schein, aber war dies vielleicht ein Zeichen Odins? Sollte dieses Licht ihr die Richtung deuten? ‚Flieh, Iska, flieh‘, schien es zu sagen. Der Wind flaute wieder ab und Blätter verdeckten erneut den Mond.

      Langsam richtete sie sich auf. Der Baum war eng und jemand, der nicht so schlank war wie sie, würde darin stecken bleiben. Vorsichtig kletterte sie aus ihrem Versteck. Hier oben in der Baumkrone ließ sich die nähere Umgegend gut einsehen. Wie ein Tier, das gejagt wird, sicherte sie in alle Richtungen. Wieder auf dem festen Boden, ging Iska in die Hocke und lauschte angestrengt. Bis auf ein leises Rauschen des Windes konnte sie nichts vernehmen. Fast lautlos bewegte sie sich fort. Hinter jedem Baum konnte ein römischer Soldat lauern und ihr Herz pochte vor Angst. Die Richtung stand nun fest: es war der Mond, der ihr mit seinem fahlen Licht beschied, hier entlang zu gehen. Iska stellte fest, dass der Weg in dieser Richtung sie geradewegs in das Dorf führen würde. Dorthin könnte sie aber auf gar keinen Fall zurückkehren. Sie müsste also erneut einen Bogen um die Hütten schlagen. Danach kam der kleine Wald und dahinter lag Sumpfland, das von den Menschen stets gemieden wurde. Zu groß war die Gefahr, dort im Morast stecken zu bleiben und elendig zu ertrinken oder zu ersticken.

      Wollte ihr Odin diesen Weg zeigen? Durch den Sumpf hindurch? Aber was erwartete sie dahinter? Iska kannte einige Wege in dem morastigen Gebiet, die halbwegs sicher waren, doch niemals hatte sie es komplett durchquert. Nahm der Sumpf überhaupt ein Ende?

      Mittlerweile lag das Dorf fast hinter ihr, auch wenn sie einen großen Bogen darum machen musste und sehr vorsichtig war. Sie achtete immer darauf, genügend Abstand zu den Hütten zu halten, kam aber trotzdem recht gut voran. Die ersten Büsche als Vorboten des nahen Waldes gaben ihr Schutz, nahmen aber auch die Sicht. Iska wurde noch vorsichtiger. Streiften die römischen Soldaten hier herum oder hatten die sich zur Ruhe begeben? Immer wieder verharrte sie und lauschte angestrengt. Vor jedem Schritt den Boden absuchend, um auch ja nicht auf einen morschen Ast zu treten, schlich Iska langsam vor. In der Ferne heulte ein Wolf und bei dem Gedanken an die Gefahr, die von diesen Tieren ausging, musste das Mädchen erschauern. Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken herunter. Erneut blieb sie stehen.

      Da, ein Geräusch! Iska war der festen Überzeugung, ein Geräusch zu hören. Langsam drehte sie sich um ihre eigene Achse. Aber so sehr sie ihre Augen auch anstrengte, es war nichts zu sehen. Eine Wolke verdunkelte den Mond, es wurde stockfinster.

      Plötzlich legte sich eine Hand auf ihren Mund und jemand riss sie unsanft zu Boden. Fast bekam sie keine Luft mehr, so fest wurde ihr Mund verschlossen. Iska wollte sich wehren, doch wer auch immer sie festhielt, war kräftiger und gewandter als sie. ‚Ein geübter Krieger‘, ging es ihr durch den Kopf, ‚das sind die römischen Soldaten. Es ist alles vorbei, sie haben dich doch noch gefangen. So schnell endet also deine Flucht!‘

      Schwer lastete ein Knie auf ihrem Brustkorb. Allmählich gab sie ihre Gegenwehr auf. Gegen die schwer bewaffneten Römer hatte sie keine Chance.

      „Wehr dich nicht und sei ruhig! Gib keinen Ton von dir, wenn ich meine Hand fortnehme, sonst muss ich dich töten!“ Der römische Soldat redete sie in ihrer Sprache an. Iska konnte jedes Wort verstehen.

      „Hast du meine Worte verstanden?“ Iska versuchte zu nicken. Langsam zog der Soldat seine Hand fort. Der Druck des Knies auf ihrer Brust verringerte sich. „Wer bist du?“

      Iska fragte sich, warum der Römer so leise zu ihr sprach und seine Kameraden noch nicht bei ihnen waren. Doch auch sie flüsterte, als sie ihm antwortete. „Mein Name ist Is...“ Iska hielt mitten im Wort inne. Fast wäre ihr ein böser Fehler passiert, denn immer noch wollte sie als Junge gelten. Niemand sollte erfahren, dass sie ein Mädchen war! Was würden die Römer alles mit ihr anfangen, wenn die ihr wahres Geschlecht herausbekommen würden!

      „Wiborg. Mein Name ist Wiborg und ich bin aus dem Dorf Voghat.“ In der Eile war Iska kein besserer Name, als der ihres Bruders, eingefallen.

      Die Wolke gab den Mond inzwischen wieder frei und neugierig betrachtete Iska den immer noch auf ihr knienden Mann. Nein, das war kein Römer. Er war eher so gekleidet wie die Leute ihres Dorfes.

      Aber auch er betrachtete sie neugierig. „Du bist nicht Wiborg aus Voghat! Du lügst. Sprich die Wahrheit, sonst töte ich dich!“

      „Wieso soll ich nicht Wiborg sein? Du kennst mich doch gar nicht.“

      Jetzt verstärkte sich der Druck auf ihre Brust wieder. „Aber ich kenne Wiborg aus Voghat. Und du bist es nicht!“

      Iska überlegte. Bei all den Ängsten und trotz ihrer Verwirrung arbeitete ihr Verstand messerscharf. Dies war niemand aus ihrem Dorf und auch niemand aus der Gegend, sonst würde sie ihn kennen. Was hatte Wiborg ihr noch von einem Mann aus dem Land jenseits des Rhenus erzählt? Dieser hier könnte der Krieger sein. Wie war noch sein Name? „Du bist Sigmar!“

      Iska hatte nicht mit der durchschlagenden Wirkung ihrer Eröffnung gerechnet. Der Druck des Knies wich von ihrer Brust und der Mann sah sie verwundert an. „Du kennst mich?“

      „Nein, aber mein Bruder hat mir von dir erzählt!“

      „Dein Bruder? Wer ist das denn nun wieder?“

      „Wiborg ist mein Bruder.“

      Der Fremde schüttelte den Kopf. „Du lügst erneut. Wiborg hat keinen Bruder, das hat er mir selbst erzählt. Junge, eine Lüge noch und mein Schwert wird dich durchbohren!“

      Iska erschrak, denn Sigmar zog plötzlich sein Schwert und bedrohte sie. Abwehrend streckte sie die Hände von sich. „Lass mich erklären.“ Iska sprach leise und hastig. Nach und nach erzählte sie dem Fremden ihre Geschichte, von ihrem Gespräch mit Wiborg und von dem, was im Dorf geschehen war.

      Endlich steckte Sigmar sein Schwert wieder in die Scheide. „Euer Dorf wurde von den Römern niedergebrannt. Soweit ich herausfinden konnte, stehen nur noch zwei Hütten. In der einen haust der Präfekt und in der anderen seine Soldaten. Im Morgengrauen erwarten sie eine Meute Bluthunde und weitere Soldaten. Du hast wirklich einen römischen Soldaten erstochen? Du, die kleine Schwester von Wiborg?“ Der Ton des Mannes wurde versöhnlicher, ja fast schon ehrfurchtsvoll.

      Iska nickte ernst. „So klein bin ich nicht mehr. Ich bin eine Frau!“

      Sigmar musste lachen. Sofort rief er sich wieder zur Ordnung. Mit einem Blick auf ihre Haare und ihre Kleidung warf er ein: „Du siehst aber nicht gerade wie eine Frau aus, kleine Iska.“ Dann nahm er Iska an der Hand und zog sie in den Wald. „Ich war gerade auf dem Weg zurück über den Rhenus. Meine Aufgabe hier ist jetzt erfüllt. Und wenn die römischen Soldaten ihre Bluthunde laufen lassen, kann ihnen niemand entkommen. Haben die Tiere erst einmal die Witterung aufgenommen, so jagen sie ihre Beute unerbittlich. Das wäre auch mein Tod. Deswegen ist die sofortige Flucht unausbleiblich.“

      Plötzlich überkam Iska die Angst, in Kürze wieder allein zu sein. „Zurück über den Fluss? Wie weit ist es denn bis dorthin? Und woher weißt du das alles?“

      „Du stellst eine Menge Fragen, kleine Iska. Nun, wie dir der geschwätzige Wiborg ja erzählt hat, bin ich hier, um einiges in Erfahrung zu bringen. Dazu gehört auch, dass ich die Römer beobachte und belausche.“

      Iska unterbrach Sigmar mit einem Schmollen: „Wiborg ist nicht geschwätzig!“

      Der lachte kurz und freudlos auf: „Nein, bestimmt nicht, wenn er jedem unsere Geheimnisse verrät!“

      „Ich bin nicht jeder. Außerdem habe ich ihm keine Wahl gelassen. Und ... und dein Geheimnis ist bei mir gut verwahrt. Ich werde dich bestimmt nicht verraten. Die Römer jagen mir ja selbst hinterher!“

      Sigmar nahm erneut Iskas Hand: „Ja,