Ein Raunen ging durch die Dorfbewohner. Einzelne missmutige Rufe wurden laut. „Thoralf, erkläre dem Römer, dass wir selbst kaum noch etwas für uns haben. Wir können keine zusätzlichen Abgaben leisten!“
Iska erkannte in dem Sprecher ihren Vater. Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Der Dorfälteste wandte sich dem Römer zu und übersetzte. Iska sah, wie sich das Gesicht des Präfekten vor Zorn verzerrte. Er warf dem Dorfältesten ein paar Worte hin und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu übersetzen. Schon sprach Thoralf wieder zu den Dorfbewohnern: „Die Höhe der Abgaben steht unumstößlich fest. Wir müssen Rom unseren Tribut zollen. Wenn wir das nicht können, so sagt der Präfekt, dann sind wir nicht des Schutzes der Römer wert und dürfen nicht länger auf römischem Boden siedeln.“
Iskas Vater löste sich aus der Gruppe der Dorfbewohner und trat vor Thoralf hin: „Thoralf, dies war und ist unser Boden, Land der Ubier! Schon unsere Vorfahren haben hier gelebt. Viele viele Generationen. Lange bevor die Römer überhaupt unser Land überfielen. Wir können und wollen keine höheren Abgaben leisten. Selbst wenn wir dem Römer unsere letzten Vorräte und Tiere geben würden, beschützt er uns dann vor dem Winter? Kaum einer von uns könnte überleben. Uns fehlen das Korn und das Vieh. Wir müssten elendig verhungern. Schon jetzt wird es für uns schwer genug den kommenden Winter zu überstehen. Hat nicht der bisherige Präfekt enorm hohe Tributzahlungen gefordert? Und ist nicht letzten Winter, vor unseren Augen, die weise Gefion verhungert und niemand konnte ihr helfen? Und das, obwohl wir alle an Nahrung sparten und selber kaum überlebten?“
„Gerwolf, du hast weise gesprochen,“ Der Dorfälteste schaute Iskas Vater fest an, „aber das ist kein Argument bei den Verhandlungen mit dem Präfekten. Sieh dir den Mann an, seht euch alle den Römer an,“ Thoralf breitete die Arme aus, „sieht dieser Römer aus, als würde er Nachsicht üben?“ Während Thoralf noch zu den Dorfbewohnern sprach, stiegen fünf der Soldaten auf einen Wink ihres Anführers von den Pferden. Wie zufällig lagen ihre Hände über den Griffen der Schwerter. Wieder sprach der Präfekt und wieder musste der Dorfälteste übersetzen: „Rom fordert seinen Tribut. Jetzt. Seid ihr nicht bereit dem Caesar des römischen Reiches und damit auch eurem Herrn das Seinige zu geben, so sehe ich mich gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen! Ich verlange von euch auf der Stelle die Zahlung von fünftausend Denarii.“
Als Thoralf dies übersetzte, ging ein ungläubiges Raunen durch die Menge. Iska vernahm Wortfetzen, aus denen sie die immer gleiche Frage heraushörte: ‚Wie viel ist das, fünftausend Denarii?‘ Gerade wollte sie die gleiche Frage Wiborg stellen, als Thoralf rasch zu dem Präfekten sprach: „Herr, ich glaube, Ihr seid nicht richtig informiert über unser armes Dorf. Wir verfügen über kein Gold oder Silber oder gar römische Münzen. Bisher haben wir unseren Tribut in Weizen und Tieren gezahlt und euer Vorgänger war stets zufrieden mit unseren Zahlungen. Wie sollten wir armen Bauern zu Münzen kommen, kann doch kaum einer von uns lesen oder schreiben, noch Eure Sprache sprechen? Ich bitte euch, seht von solch unerfüllbaren Forderungen ab!“
Der Präfekt wurde während der Rede des Dorfältesten immer ungehaltener. Mit hochrotem Kopf rief er seinen Soldaten einige Anweisungen zu. Weitere fünf Männer sprangen von ihren Pferden. Wie auf ein geheimes Kommando zogen alle Soldaten gleichzeitig ihre Schwerter. Diejenigen, die noch auf ihren Pferden saßen, lenkten diese jetzt um die Dorfbewohner herum, so dass sie alle von einem lockeren Ring berittener Soldaten umgeben waren. Der Anführer erhob wieder das Wort und seine Stimme klang jetzt schrill und bösartig.
Thoralf übersetzte erneut: „Ihr verweigert Rom das, was Rom zusteht! Meine Soldaten werden jetzt die Hütten und Ställe durchsuchen. Schenkt mir Glauben, wenn ich euch sage, dass Rom auch von euch den zustehenden Tribut erhalten wird!“ Noch während der Dorfälteste die Worte übersetzte, gab der Präfekt seinen Leuten ein Zeichen. Die zehn Soldaten, die zuvor von ihren Pferden gestiegen waren, schwärmten in die Hütten. Keiner der Dorfbewohner wagte es, sich zu rühren. Alsbald kehrten die Männer zu ihrem Anführer zurück. Es war offensichtlich, dass ihm die Soldaten berichten mussten, weder Geld noch Gold oder Edelmetalle gefunden zu haben. Der Präfekt ließ sein Pferd vor Wut vor- und zurücktänzeln, dann wechselte er einige Worte mit einem der Soldaten. Wieder verteilten sich die Männer. Diesmal gingen sie aber durch die Reihen der Dorfbewohner. Rasch war zu erkennen, dass sie dabei alle jungen Männer des Dorfes in der Mitte vor dem Präfekten zusammentrieben. Ängstlich warf Iska ihrem Bruder einen Blick zu, sah sich und ihn aber auch schon kurz darauf von kräftigen Soldatenhänden gepackt und zu den anderen gezogen. Unsanft wurden sie zu Boden gestoßen.
Wieder musste Thoralf die Worte des Präfekten übersetzen: „Dies ist der Tribut, den Rom nun von euch fordert! Jeder dieser jungen Männer, die Rom werden dienen dürfen, wird von mir großzügigerweise mit fünfhundert Denarii angerechnet. So wird Rom auch nur zehn eurer Kinder einfordern. Ich, Gaius Quintus Vulturius, von Caesars Gnaden Präfekt von Novaesium entscheide so!“
Arrius Lupus gab einem Soldaten erneut Anweisungen. Dann zeigte er auf einzelne Kinder, die von dem Soldaten zu den Dorfbewohnern zurückgeschickt wurden. Iska und ihr Bruder waren nicht dabei. Übrig blieben zehn der ältesten, kräftigsten und hübschesten Kinder des Dorfes. Erneut ging ein Stöhnen durch die Reihen der Dorfbewohner. Mutlos stand Thoralf vor dem Präfekten. Die Tränen in seinen Augen konnte er nicht unterdrücken.
Wieder musste er übersetzen: „Diese Kinder werden Rom dienen dürfen, sie werden als Sklaven dem glorreichen Caesar in meiner Stadt Novaesium dienen. Seid froh und dankbar, dass ich diese Lösung für euer Problem gefunden habe. Und seht zu, dass ihr die nächste Forderung Roms erfüllt! Sonst findet ihr euch alle noch als meine Sklaven wieder.“ Bei den letzten Worten lachte der Präfekt schallend und seine Soldaten fielen wiehernd in das Gelächter ein.
Gerwolf, Iskas und Wiborgs Vater, trat erneut zu Thoralf. Ein Soldat wollte ihn in die Reihen der Dorfbewohner zurückschicken, doch Gerwolf war ein großer und kräftiger Mann und er wischte die Hand des Soldaten wie nebenbei zur Seite. Bevor dieser sein Schwert ziehen konnte, stand Gerwolf schon vor Thoralf. Der Präfekt hieß seinen Soldaten zu warten. Neugierde war auf seinem Gesicht zu lesen. Gerwolf sprach so laut zu dem Dorfältesten, dass ein jeder ihn gut verstehen konnte: „Thoralf, sag dem Präfekten, dass er nicht einfach unsere Kinder mitnehmen kann. Sie sind unser Fleisch und Blut und wir sind keine Sklaven Roms, sondern wir leben unter römischem Schutz auf diesem Land. Die Forderungen, die er stellt, sind zu hoch und wir werden versuchen, sie das nächste Mal zu erfüllen. Aber er soll uns, um der Götter willen, unsere Kinder lassen, denn sonst nimmt er uns die Zukunft!“ Thoralf nickte, dann übersetzte er die Worte Gerwolfs.
Gespannt schauten alle Dorfbewohner auf den Präfekten, wie dieser wohl reagieren würde. Ein belustigtes Lächeln spielte um seine Lippen, ansonsten zeigte er keine Regung. Dann, als Thoralfs Rede endete, gab er dem Soldaten, der vorhin Gerwolf aufhalten wollte, einen Wink. Aus dem Augenwinkel erkannte Gerwolf, wie der Soldat mit erhobenem Schwert auf ihn zukam und er reagierte automatisch. Als der Soldat nahe genug heran war, drehte Gerwolf seinen Körper gerade so weit, dass er den Arm des Soldaten mit dem Schwert abwehren konnte. Mit der anderen Hand schlug er dem Römer ins Gesicht, so dass dieser einen weiten Satz nach hinten machte und auf dem Boden landete. In Sekundenschnelle färbte sich dessen Gesicht rot vom Blut, das aus der Nase quoll. Erstaunt blickte der Soldat auf den dastehenden Gerwolf. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und schaute nun ebenso erstaunt auf seine feuchte Hand.
Keiner der Menschen achtete auf den Präfekten, der inzwischen einem anderen Soldaten ein Zeichen gab, worauf dieser Gerwolf mit gezücktem Schwert von hinten ansprang. Thoralf erkannte die Gefahr und stieß einen warnenden Schrei aus. Doch zu spät. Gerwolf wirbelte herum und noch in der Drehung trennte der Schlag des Soldaten seinen Kopf vom Rumpf. Blut spritzte und ein Schrei ging durch die Dorfbewohner. Aber noch immer wagte es niemand, sich zu rühren. Grinsend drehte der Soldat, der Gerwolf getötet hatte, sich um die eigene Achse, bereitete die Arme aus, wie ein Gladiator in der Arena, beifallheischend. Dann bückte