Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 1. Vicky Lines. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vicky Lines
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745059502
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ein Monster in ihr? Ein Krümelmonster womöglich, ließ ein wenig Humor aufkeimen. Innerlich sah ich Jason vor mir, fernsehend als kleiner Junge. Schwer vorstellbar als ein futterndes Felltier. Eher nervend, wie ein Tribble. Ich musste immer mehr grinsen. Sie schaffte es, mich abzulenken. Also auf gar keinen Fall ist diese Frau eine normale Touristin. Normale Touristen setzen sich nur in Notfällen zu einem solchen Griesgram, wie ich es bin. Dieser Dialekt, Verhalten und Wortwahl passten nicht so recht in mein Weltbild. Ihre Mimik gefiel mir und ich konnte mein beginnendes Grinsen nicht mehr aufhalten.

      Verdammt, was passierte gerade mit mir? Unschlüssig aber froh blickend, sah ich schon wieder fasziniert in ihr Gesicht mit den feinen Linien und tollen Augenbrauen. Diese Augen faszinierten mich immer mehr. Reagierte sie auf mich? Ja. Vermutlich ängstigte sie meine schlechte Laune. Aber jetzt wurde ich ihr immer mehr gewahr. Diese Hände, mit denen sie mir eine Hälfte ihres Muffins anbot, waren schlank und gepflegt. Manikürt. Aber nicht diese auffälligen Nägel, sondern stilvoll zu ihr passend. Ohne großartig nachzudenken, griff ich nach ihrem angebotenen halben Muffin. War das eine Belohnung für mein Einlenken gerade eben? Nun schaute ich sie an, ihre Ohren waren rot angelaufen. Dieses Gesicht fragte ganz offenbar eine Frage, die sie sich nicht traute, an mich zu richten. Nein, diese Frage zu ihrer Erscheinung für mich lautete, schön oder vertraut?

      Die Frisur, sofern es eine war, nein, war es wohl nicht, sah natürlich aus. Ihre dunkelbraunen Haare fielen hinab bis auf ihre elegant wirkenden Schultern, in leichten Wellen. Einfach so weich von der Wirkung, dass ich hineingreifen wollte. Beeindruckender Teint und ihre Oberweite passte perfekt, nicht zu groß und nicht zu klein. Durch den Ausschnitt deutete sie sich an, was mich einen Wimpernschlag verunsicherte. Langsam reckte ich meine Hand nach dem halben Muffin aus. Ich berührte ihre Hand.

       Kawumm.

      Als fuhr ich aus einem ewigen Tunnel in gleißendes Licht. Geblendet, vollkommen verwirrt, aufgeweckt. Was war das denn? Sie sah unsicher auf meine Hand, die ich nicht fortbewegte. Ein Blitz hatte mich getroffen und in mir erstarrte alles für eine oder zwei Sekunden. Diese Berührungsempfindung übernahm die ganze Kontrolle in mir. Ihre weiche Haut kribbelte in meinem Nervensystem und legte es lahm. Wie ein Virus. Auf meinem Rücken spürte ich etwas Kaltes? Nein, nass war es. Schweißperlen rannen mir den Rücken hinunter, dabei waren es gerade mal neunzehn Grad.

      Welcher Wahnsinn schlug in mir gerade die Zelte auf? Das konnte doch nicht wahr sein? Musste mein Leben noch komplizierter werden? Neun Jahre, nichts. Heute Morgen noch mit den schlimmsten Befürchtungen und nun traf mich ein Blitz. Langsam zog ich den halben Muffin lächelnd an mich. Unsere Blicke trafen sich, ihre nun eher blauen Augen waren so klar und tief, dass es mich fesselte. Beobachtete sie mein Tun oder mich? Wenn sie jetzt anzüglich wird, wäre alles vorbei. Oder, falls gar nichts mehr aus ihrem niedlichen Mund käme. Weder noch. Sie biss einfach von ihrem eigenen kleineren Teil des Blaubeermuffins ab und betrachte mich verlegen. Sie schloss just zufrieden ihre tollen Augen, atmete ein, kaute genüsslich und dann atmete sie wieder aus. Mein Blick fiel unweigerlich erneut auf ihren Ausschnitt, der in mir lang vergessene Männerwünsche aufkeimen ließ.. In meinem Kopf hörte ich einen Ton.

       Ommmmh.

      Es schmeckte ihr sichtlich gut oder sie wollte mich verführen. Manche Frauen provozierten absichtlich uns Politiker, der Macht wegen. Ich kaute auch meinen Bissen und dieser war wirklich lecker und auch noch warm. So schnell es ging, schluckte ich ihn hinunter. Klarheit schaffen.

      „Guter Muffin, Danke. Leider kann ich dir nichts anbieten“, versuchte ich, einen ehrlichen Eindruck zu machen.

      Sie öffnete ganz langsam ihre Augen und sah mich aufmerksam an. Das war unglaublich sexy. Aber wie. Hallo, war das etwa ein Röntgenblick? Dieser Blick bedarf eines Waffenscheins. Ihre langen Wimpern wirkten wie ein Bühnenvorhang und die dezent geschminkten Lider verliehen ihr eine Grazie, die mir beinahe den Atem raubte. Wenn das so weiter ging, dann brauche ich einen Krankenwagen wegen Herz- und Kreislaufversagen. Einatmen. Bloß nichts anmerken lassen, so etwas kann gefährlich werden. Ausatmen.

      Und meine Kinder zu Hause hörte ich wieder stöhnen, wenn ich sie mitbrächte. Als ich der Gegenwart wieder gewahr wurde, reagierte ich ungewollt und schaute auf meine Uhr. Dann kramte ich reflexartig mein Smartphone aus der Tasche. Nun hätte ich mich ohrfeigen können. Mindestens dreimal. Nein, Sadomaso war überhaupt nicht mein Ding, aber bei solchen bescheuerten Aktionen meinerseits, bedurfte es der Züchtigung meiner Selbst. Das iPhone legte ich sofort mit dem Display nach unten auf den Tisch. Hoffentlich verstand sie die Geste nicht falsch.

      „Einfach nur hierbleiben wäre ein Anfang. Gerade war es doch lustig, oder?“, schmetterte sie mir mit einem sanften Unterton entgegen.

      Kann sie Gedanken lesen? Definitiv wollte ich jetzt noch hierbleiben. Am wundervollsten wäre es, wenn es gar nicht mehr endete. Als Zeitschleife, wie bei einem Lieblingssong oder dem Murmeltiertag. Ein spannender Film, den man vor dem Ende nicht verlässt, selbst bei einem Weltuntergang. Mein Smartphone klingelte, verdammter Mist. Der Klingelton verriet mir einen Anruf aus einer der Schulen.

      „Entschuldige bitte, ich muss das Gespräch entgegennehmen“, hoffte ich darauf, dass sie nicht aufstand.

      Nein, sie setzte interessiert ihre Ellenbogen neben dem Tablett ab, verschränkte ihre Finger und legte ihren Kopf leicht nach vorne auf die Hände. Es schnürte mir meine Blutzufuhr zum Herzen ab. Welcher Anblick mir dargeboten wurde, wusste ich nur zu gut. Am liebsten hätte ich sie fotografiert und das Foto als Poster in mein Büro gehängt. Oder eine Ladung Gips drüber gekippt, um eine Statue zu erhalten. Klar, ich war verknallt. Sonnenklar. Keine zehn Minuten dauerte das Theater hier. Ich nahm ab, ich, das Opfer.

      „Haggerthon. Was ist denn passiert?“, fragte ich ungeduldig.

      „Lord Haggerthon, es geht um Olivia. Sie wurde angeblich gemobbt und ein bisschen geschlagen. Es wäre angebracht, wenn Eure Lordschaft herkämen und Ihre Tochter Olivia abholten“, erklärte mir eine Stimme.

      Was ich schon lange vermutete, aber einfach nicht wahrhaben wollte, war nun nicht mehr abzustreiten. Diese Mischung aus Frustration und Verliebtheit fühlte sich zusammen ungesund an. Also eine Komödie, bei der alle Protagonisten qualvoll starben. Wie Plum und Bacon zusammen. Gefährlich. Moment, ein bisschen geschlagen und angeblich gemobbt? Was sollte das bitteschön heißen? Olivia bastelte sich nie Geschichten zusammen. Nicht ein einziges Mal in ihrem Leben. Jetzt wurde mir bewusst, was ich hier gar nicht mochte. Diese Schnepfe am anderen Ende schien mit der ganzen Situation überfordert. Nicht engagiert genug. Wie viel Geld bezahlte ich doch gleich für diese Schule?

      Meine Stirn kräuselte sich und ich fragte erbost zurück: „Meinen Sie nicht, dass ich darüber viel früher hätte informiert werden müssen? Ein bisschen geschlagen? Mobbing und Bullying sollten doch an Ihrer Schule kein Thema sein, oder? Wollten Sie mir damit etwas Bestimmtes mitteilen, was meine Tochter betrifft?“

      „Es tut mir leid, aber Ihre Tochter hat nichts gemeldet“, kam ernsthaft zurück.

      „Hören Sie mal, haben Sie überhaupt eine Ahnung von Kindern? Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein. So etwas muss präventiv angegangen werden!“, in mir kochte nun diese Verliebtheit ein Chili der etwas schärferen Art.

      „Wie hohl sind Sie eigentlich? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was Sie eigentlich sagen und treiben?“, hätte ich beinahe gebrüllt.

      Diese wunderbare und aufregende Frau war aufgestanden. Nein, nein, nicht doch. Mich musternd, nahm sie mir meine Suppe und meinen leeren Kaffeebecher weg und brachte hoffentlich nur das Geschirr zum Müll. Wenn sie wiederkommt, schwor ich feierlich, ändere ich mein Leben.

      „Ja, aber wir können doch nicht alle …“, wollte sich diese blöde Schnepfe von Vertrauenslehrerin mit ihrem rosaroten Blick auf diese Welt rechtfertigen?

      „Ich bin fassungslos. Geben Sie mir sofort meine Tochter“, ich wollte nicht meine schlechte Seite zeigen, denn ich fühlte mich hilflos, besorgt, wütend und verliebt auf einmal.

      Es knackte. Hoffentlich schaffte es meine innere Achterbahn