Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 1. Vicky Lines. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vicky Lines
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745059502
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Mein Magen grummelte sehr viel leiser als vorhin. Okay, ich legte meinen Fotoapparat neben mein Tablett auf den Tisch und dieser Mann da gegenüber beobachtete mein Treiben. Vor allem musterte er immer wieder meinen Bauch. Noch einen Bissen hinterher. Interessiert studierte ich meine Rechnung, auf der auch ein Code für die Toilettennutzung stand. Sogleich musste ich lächeln. Nun schaute er mir in die Augen und ich bekam so ein ganz komisches Gefühl von Unsicherheit. Als hätte ich vier Liter Wasser in mir, das zu allen Seiten drohte, überzuschwappen. Diese grünen Augen brachten mich zum Nachdenken. Vielleicht habe ich irgendwas im Gesicht. Du kannst mich doch einfach darauf hinweisen.

      Hmm, es wurde warm in meinem Kopf. Fehler gemacht, schoss es mir durch mein Köpfchen, das beste Teil an mir, fand ich. Mist, ich bekam gleich rote Ohren. Also lieber schnell irgendetwas sagen.

      „Ja, ich werde leiser knurren. Bitte nimm mir das nicht übel. Der Weg vom Oxford Circus bis hierher war wohl doch etwas weit“, versuchte ich, zu erklären.

      Doch er neigte nur seinen Kopf und stierte wieder auf seine Suppe. Meine Güte, die roch doch gut und sah frisch aus. Was war bloß los? Unbändige Neugier packte mich.

      „Gelaufen? Vom Oxford Circus bis hierher?“, hörte ich die tiefe, angenehme Stimme, die mir schon den Platz offeriert hatte.

      Ich nickte, weil ich gerade genüsslich kaute. Sein Hemd deutete an, dass er keine dieser Unterhemden trug, die ich albern fand. Doch er schaute mich gar nicht an, sondern versuchte, meine Schuhe zu identifizieren. My Adidas könnte ich nun Run-D.M.C. zitieren. Mann, ich wurde ungeduldig. Hör auf, mich wie eine Fensterpuppe in Damenunterwäsche anzuglotzen und rede endlich.

      Lange hielte sich meine gute Laune nicht mehr aufrecht. Besser, ich stünde auf und verließe den Laden. So geht das nicht weiter. Allerdings bin ich eine deutsche Touristin und darf mich ein klein bisschen daneben benehmen.

      „So schlecht kann es doch gar nicht sein. Sogar die Sonne scheint draußen“, säuselte ich in einem echt mädchenhaften hohen Ton.

      Was war denn mit mir los? Egal, ich wollte doch wenigstens ein kleines Lächeln auf seinen Lippen sehen. Leider verfehlten meine Worte ihre Wirkung. Aber er hob seine Achseln. Jedenfalls schien er keiner dieser Muckibudenbesucher zu sein. Die mochte ich auch nicht. Am schlimmsten waren Muckibudenschlipsträger, kamen weit vor allen anderen schlimmen Erscheinungen dieser Tage in meiner Looser-Hitparade. Dann eben langsamer. Eine echte Herausforderung für mich. Mein Kopf und mein ungewohnt laut jubilierendes Herz forderten mich heraus, noch mehr zu riskieren. Er trug keinen Ehering, erkannte ich an seinen Händen. Seine Hände und seine Gesten ließen vermuten, dass er eher im Büro arbeitete. Dieser Anzug schien maßgeschneidert zu sein. Wie konnte ich diesen Typen da gegenüber dazu bringen, mir nicht meinen restlichen Tag zu vermiesen? Schwungvoll schlug ich meine Beine übereinander, nahm einen Schluck Cola und wippte mit dem übergeschlagenen Bein.

      „Cola ist ungesund“, sagte er mir mit einem strengen Blick frei in mein Gesicht, als wäre er mein Lehrer.

      „Besser als Kaffee“, deutete ich auf seinen Becher hin.

      „Uuund ein wenig Aufmunterung erscheint mir an unserem Tisch nötig, richtig?“, verdammt, ärgerte ich mich über meinen frechen Spruch, während ich die letzten Worte sprach.

      Daraufhin erfolgte eine Reaktion. Er sah mich mit riesigen Augen entgeistert an. Besser, ich versuchte, das zu glätten, bevor ich alleine an diesem Tisch ende, dachte ich mir. Nein, heute ist schlechte Laune ausverkauft! Schon, weil ich keine blöden Mails von faulen oder dummen Kollegen beantworten musste oder meinen Chef erdulden.

      „Findest du nicht auch, dass es an der Zeit ist, sich zu entspannen? Ich habe mir Mühe gegeben, mein Monster in mir zu füttern“, fügte ich meiner kleinen Frechheit mit einem charmanten Lächeln eine weitere hinzu.

      Moment mal, bin ich eigentlich völlig irre? Ich flirte hier am ersten Urlaubstag mit einem wildfremden, traurigen oder gar depressiven Briten in einem Sandwichladen. Bin ich denn wahnsinnig oder ist das der Irrsinn, der mich meinen Frust abbauen lässt? Da will ich einmal Ruhe haben und dann fange ich hier an, Männer, Schlipsträger auch noch, anzubaggern. Warum drehten sich meine Gedanken um unser beider Beisammensein am Tisch? Hormontwister vielleicht? Nein, diese Periode war gerade vor vier Tagen vorbei. All diese überheblichen Geschäftsmenschen, die vorgaukelten, wahnsinnig beschäftigt zu sein, mochte ich persönlich nicht leiden. Aber der hier war einfach anders. Eine Nuss, die es zu knacken galt.

      Mein Magen wird warm. Uuubsi? Nein, ich habe keinen Tee getrunken und auch sonst nichts Warmes zu mir genommen. Oh man, der grünäugige Typ macht mich schwach, oder wie verstehe ich mich da jetzt? Großhirn fragt Kleinhirn, ob alles Roger ist. Ein seltsames Geräusch drang in meine Ohren, zwischen denen in diesem Moment zwei Konzerte stattfanden, ein klassisches und eins mit echtem Rock. Verwirrung stellte sich prompt ein. Das Geräusch hörte sich wie ich unterdrücktes Kichern an. Unwillkürlich sah ich meinen Tischpartner an.

      Er lächelte.

      Er lächelte?

      Meine Güte, beeindruckte mich sein Ausdruck. Schiere warme und niedliche Geste. Das musste doch belohnt werden. Von seiner Suppe fand nicht mal die Hälfte den Weg in seinen Mund. Mittlerweile hatte ich mein Baguette restlos vertilgt, ohne auch nur annähernd satt zu werden. Mein Baguette erwählte ich perfekt, denn es mundete mir hervorragend. Schinken, Parmesan und Rucola zwischen zwei frisch gebackenen Hälften passten einfach gut zusammen.

      So, was nun? Ach ja, wenn ich mich schon frech geäußert hatte und mich auch noch danebenbenommen hatte, konnte ich dem Ganzen gleich noch die Krone aufsetzen. Schauen wir mal, wie das ankommt. Nun ordnete ich ein wenig mein Tablett um, weil ich meinen Hauptgang vertilgt hatte. Mir wurde besser, also eigentlich meinem Magen, welcher nun wieder ein wenig Arbeit zu erledigen hatte. Prompt beruhigte sich auch mein Gemüt.

      Abstrus empfand ich meine Konversation bis zu diesem Moment. Trotzdem wollte ich, aus welchen Gründen auch immer, ein kleines Happyend erleben. Kurz betrachtete ich meinen Unrat auf dem Tablett und den frischen Blaubeermuffin. Mittlerweile stellte sich bei mir ein lang ersehntes Sättigungsgefühl ein, so dass ich gar keine Pflicht mehr darin sah, den Muffin aufzuessen. Ich teilte meinen Blaubeermuffin mit einem sehr unglücklichen Gesicht, als hörte ich den Muffin laut aufschreien. Einen Teil kippte ich auf mein Tablett und den anderen und größeren Teil bot ich diesem lächelnden, grünäugigen, schwarzhaarigen und echt hübschen Mann an. Inspirativ eine gute Methode, wie mit Kindern und Haustieren auch. Belohnen, wenn etwas gut gemacht wurde. Er, der Lehrer – ich nun seine Lehrerin – bedeutet Remis.

      Ein Essen mit Dessert

       Ein Essen mit Dessert

       George Haggerthon, London, September 2015, Freitag

      Da saß mir eine Frau gegenüber, der vorhin dermaßen laut der Magen knurrte, dass ich meinte, sie wäre ein Flüchtling oder es wäre gerade eine Neuverfilmung von Alien im Gange. Doch meine Gedanken und eigenen familiären Sorgen umkreisten mich, bis diese Frau sich, trotz all der freien Plätze am Fenster, zu mir setzte. Mich interessierte ihr Beweggrund nicht, bis zu dem Augenblick, als erst ihr Magen ein weiteres Mal furchtbar laut knurrte, ja beinahe sang, und sie einfach begann, zu reden. Und dann auf eine unverblümte und freche Art, die ich nur von Barbara kannte. Hinzukam dieser Akzent, leichtes Deutsch vermutete ich, der nicht richtig zu ihr passte. Eigentlich verlieh dieser Akzent dieser leicht verrückten Frau etwas mehr Seriosität. Auch ein bisschen Amerika hörte ich heraus.

      Sie war keines dieser verkannten Models, trotzdem überzeugte sie mit einer wirklich natürlichen, schönen Ausstrahlung. Diese graublauen Augen fixierten mich immer mal wieder. Damit fesselte sie mich, denn eigentlich spielte ich mit dem naheliegenden Gedanken, sie einfach alleine sitzen zu lassen. Hinzukam meine Neugier, warum sie so einen Hunger hatte und weshalb sie sich zu mir Trauerkloß setzte. Engländern traut man Unhöflichkeiten zu. Wenn ich sie jetzt einfach ohne ein Wort sitzen ließe, würde das nicht groß auffallen. In mir hallte immer noch ihre schöne weibliche Stimme nach. Verneinung pur entschied ich bei der Überlegung, ob das eine Masche von Anmache war.