Seine geraunten Worte berührten etwas tief in mir. Ich spähte durch meine Wimpern um Shinns Gesichtsausdruck deuten zu können.
Was meint, er damit das ich für einen Einzigen geschaffen bin?
Bevor ich ihn aber danach fragen konnte, wurde Shinn an der Schulter unsanft nach hinten gerissen und vor uns stand ein ziemlich wütender Dawn.
„Was bei allen Gehängten tust du da?“, grollte er und baute sich drohend vor Shinn auf.
Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sich Shinn und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Beruhige dich Dawn! Ich kenne meine Grenzen.“
„Sieht nicht so aus.“
Jasahras belustigtes Lachen drang über das Feuer hinweg zu uns.
„Du weist doch Shinn, das er kein Erbarmen mit denen kennt, die sein Eigentum anrühren. Vor allem du müsstest das wissen!“
„Jasahra sei still!“
Dawns Wut steigerte sich und selbst Jasahra schien zu merken, das es besser wäre, sie nicht noch weiter zu schüren. Shinn schnalzte genervt mit der Zunge und ging zu einer der Provianttaschen. Er angelte einen Weinschlauch hervor und setzte sich damit wieder neben mich ans Feuer.
„Dawn es ist nichts Schlimmes passiert. Shinn hat sich nach der Begegnung mit dem Sicheldämon nur um meine Verletzungen gekümmert“, versuchte ich ihm unsere Lage zu erklären.
Shinn neben mir verschluckte sich hörbar und brach dann in lautes Husten aus. Dawn hingegen verlor jegliche Farbe und sank vor mir nieder. Schnell besah er sich die feinen Schnitte und starrte dann Shinn abermals böse an.
„Wie konnte das passieren? Es war deine Aufgabe sie mit einem Bannkreis zu schützen. Du weist, wie wichtig es ist Layra heil zum Turm der Drachen zu bringen!“
„Wenn ihr euch nicht vergnügt und eurer Lust nachgegeben hättet, dann wäre sie vielleicht noch sicherer gewesen“, Shinns provozierende Worte verklangen in der Nacht.
„Ja wie du schon sagtest vielleicht! Der Bannkreis war deine Aufgabe. Immerhin haben wir dich deshalb überhaupt mitgenommen.“
„Shinn wären wir jetzt nicht rechtzeitig gekommen hättest du einen Fehler gemacht, den du mit deinem Leben bezahlt hättest“, meinte Jasahra leicht hin.
Sie hatte sich auf die anderen Seite des Feuers hingesetzt und sich eine warme Felldecke über die Schultern gezogen.
„Was meint ihr damit? Immer redet ihr über einen Unbekannten, dem ich gehören soll. Dann sagt mir auch seinen Namen.
Ist es einer aus dem Kristallrat? Ein Adeliger? Oder wer?“
Jasahra kniff die Lippen zusammen und sah Dawn fragend an. Dieser schüttelte wütend den Kopf und richtete seinen Blick störrisch auf die Flammen. Was war nur los mit ihnen? Immer machten sie Andeutungen und wenn man die Beiden darauf ansprach, dann schwiegen sie. Ich hatte gehofft auf dieser Reise etwas mehr von den Leuten des Turmes der Drachen zu erfahren, doch noch immer waren sie für mich fremd.
„Sie haben Angst es dir zu sagen Hohepriesterin. Denn eigentlich ist es nicht mehr als eine uralte Prophezeiung“, antwortete mir Shinn auf meine eigentliche Frage.
„Eine Prophezeiung?“, fragte ich verwirrt.
Shinn nickte und reichte mir den Weinschlauch. Ich nahm dankend einen großen Schluck und wartete darauf das er fortfuhr.
„Sie besagt, das die Hohepriesterin der elften Generation einem gewissen Krieger versprochen wurde. Sie solle seine Frau werden und zusammen würden sie unvorstellbare Macht erlangen. Gemeinsam würden sie dem Land zu Wohlstand und Frieden verhelfen. Aus ihrer Verbindung soll ein Kind hervorgehen, das die Dunkelheit und das Licht in sich vereint und für immer das Gleichgewicht in seinen Händen hält. Die Prophezeiung ist sehr alt Layra und die wenigsten können sich noch daran erinnern. Die Leute vom Turm der Drachen leben mit dieser Prophezeiung von Generation zu Generation.“
Shinn schwieg kurz und auch Dawn und Jasahra hingen ihren eigenen Gedanken nach. Das Feuer flackerte vor sich hin und erzeugte zuckende Schatten am Rande der Dunkelheit.
Es war das erste Mal das mir jemand davon erzählte. Immer hatte ich nur vereinzelte Andeutungen gehört, doch jetzt wusste ich, wovon sie hinter vorgehaltener Hand gesprochen hatten. Ich war also angeblich einem ganz bestimmten Mann versprochen. Und das schon lange vor meiner Geburt.
Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus. Zum Glück war es nur eine Prophezeiung. Die wenigsten Menschen gaben wahrscheinlich noch etwas darauf. Es war bestimmt nur eine Geschichte, wie man sie Kindern in ihren Betten vor dem Schlafen erzählte.
„Nun ja etwas halb Vergessenes ist nicht mehr als eine Geschichte, oder nicht? Gibt es auch einen Namen zu diesem Mann, dem ich angeblich gehören soll?“, fragte ich mutig.
Shinn lachte leise und Dawn musterte mich über das Feuer hinweg sichtlich besorgt.
„Es gibt einen Namen zu diesem Krieger Layra, aber man sollte ihn nicht unbedacht nennen“, meinte Dawn leise.
Ich sah ihn auffordernd an und rieb mir vorsichtig über meine verletzten Arme. Shinn hatte ebenfalls eine Decke über meine Schultern gelegt und sich neben mir ausgestreckt.
Dawn zögerte und ich merkte ihm an, das er mir die Wahrheit vorenthalten wollte.
Wieso nur? Man kann nichts herauf beschwören, was es nicht tatsächlich gibt.
„Dawn bitte!“
Er seufzte ergeben.
„Sein Name ist Dazai.“
Mein Blut gefror und ich versuchte vergeblich Luft in meine Lungen zu bekommen. Ich erstickte ohne etwas dagegen tun zu können. Mein Blick verschwamm und plötzlich sah ich nur noch das Feuer vor mir, das alles verschlang.
Warme Hände umgriffen mein Gesicht und ich konzentrierte mich panisch auf Dawns Gesicht vor mir.
„Atme ruhig! Bei uns kann dir nichts passieren. Wie gesagt, es ist nur eine alte Prophezeiung und außerhalb der Mauern des Turmes der Drachen kennt sie fast niemand mehr.“
Shinn umgriff mich von hinten und seine Magie pulsierte über mich hinweg. Mit einem Mal konnte ich wieder atmen und ich ließ mich erschöpft gegen ihn sinken.
„Warum jagt dir dieser Name solch eine Angst ein? Er ist dir anscheinend nicht unbekannt. Woher kennst du ihn?“, fragte Dawn vorsichtig.
„Der Mann, der damals mein Dorf angegriffen hatte hieß so“, antwortete ich mit belegter Stimme.
Egal wie viele Jahre vergehen sollten, er würde mich immer verfolgen. Auch, wenn es nur in meinen Gedanken war.
Warum nur? Konnte es sich tatsächlich um den gleichen Mann handeln? Der Krieger aus der Prophezeiung und der Herr und Meister der schwarzen Reiter? Oder hießen sie nur zufällig gleich?
Fragen die unbeantwortet blieben. Wenn es ein und derselbe Mann sein sollte, wenn die Prophezeiung sich in die Wahrheit verwandelte, dann würde ich mein Leben beenden. Nie auch nur eine Sekunde würde ich es ertragen von ihm berührt zu werden. Er hat mir damals alles genommen. Mein Leben wie ich es kannte beendet.
Ich spielte mit dem achtförmigen Anhänger an meiner Kette.
Noch hielt mein Schutz und ich war sicher vor ihm. Er durfte mich niemals finden!
Shinn strich mir beruhigend über meine Haare weiter den Rücken hinab.
„Wir werden morgen unsere Route östlicher halten. Wie es aussieht, sind wir zu nahe an die Grenze des nordwestlichen Xin-te-ras Waldes gekommen“, überlegte Dawn und setzte sich wieder neben Jasahra ans Feuer.
„Oder sie haben ihr Gebiet ausgedehnt“, entgegnete