»Ah.« – und schlug dabei mit seinem Ellenbogen gegen ein Regal. Lautes Klirren. Irgendetwas schlug dumpf auf dem Boden und lief aus. »Hah« Dann stoppte er schlagartig jede Bewegung. Zwei große, weit aufgerissene Augen starrten ihn an. Sie waren fast genauso dunkel wie der Raum. Es gibt keine Farben ohne von Licht. Die Dunkelheit wirft keinen Schatten. Nur ihre weißen Ränder machten sie sichtbar. Sie glühten fast, so viel Kraft lag in ihnen. Steif vor Angst starrten sie ihn an. Die Pupillen begannen zu zittern. Das fremde Atmen wurde heftiger, während er immer noch seinen eigenen Atem anhielt. »Hech« »Hach« Plötzlich ergriff eine flehende Panik die beiden Augen – »Uff« – und er spürte einen Stoß gegen seine Brust.
Er hatte es noch gerade geschafft den Fall mit seinem Arm zu bremsen, trotzdem schlug er hart auf den kalten Boden auf. Dann hörte er hektische Schritte auf dem Flur und das laute Geräusch der Bewegungsmeldung. Das Einzige, was er noch sah, war ein dunkler Schatten, der aus der Dunkelheit in die anspringenden Lichter fiel und dunkelrote Fußabdrücke auf dem Boden hinterließ, bevor die Tür wieder mit einem lauten Knall zu fiel.
Ruhig stand er, leicht stöhnend, auf, klopfte sich den Staub von seinen Beinen und ging zur Tür. Kaum hatte er diese erreicht, bemerkte er beim Tasten nach der Türklinke, rechts neben ihr einen Lichtschalter. Leicht grinsend öffnete er die Tür und lief den Flur entlang. Wieder sprang ein Licht nach dem anderem an, wieder dröhnte das laute Surren der Maschinen durch die verschlossenen Türen, doch dieses Mal störte es ihn nicht. Mit einem Mal war er ganz ruhig, so als ob seine Panik – –
An der Treppe wunderte er sich über den kurzen Weg und drehte sich noch einmal nach der roten Tür um – doch die Tür war längst wieder in der Dunkelheit der erloschenen Lichter verschwunden. Nur das kleine schwefelige Licht über ihr dämmerte noch leicht zu ihm hindurch – wie hatte er es vorher nur übersehen können? Lächelnd schüttelte er den Köpf, drehte sich, das Geländer fassend, um und stieg, sich am Geländern hochziehend, auf die erste Stufe. Er schaute nach oben. Wieder wunderte er sich, er konnte bereits das Ende der Treppe sehen. Dann setzte er langsam einen Fuß nach dem anderen auf die nächste Stufe. Seine Hand folgte, das kalte, metallene Geländer streichelnd, den vorsichtigen Schritten seiner Füße. Sie hatte ihn doch nicht verlassen, die Panik, sie war nur langsam, ohne dass er es bemerkt hatte, von seinem Körper in seine Gedanken übergegangen. Wild tanzte sie jetzt dort, fasste seine Gedanken bei der Hand und wirbelte sie durch seinen Kopf. Sie tanzte, mit zu viele, zu dynamische Tänze, dass er keinen einzigen zu fassen bekam. Sie flogen einfach an ihm vorbei. Kaum hatte er einen Tänzer ins Auge gefasst, war er wieder verschwunden und eine neue, eine andere Tänzerin hatte sich an seine Stelle gesetzt. Es war absolutes Chaos. Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, warum er eigentlich nach unten gestiegen war – – doch es waren nur wilde Wortfetzen übrig: ›Wer?‹ ›Da.‹ ›Was ist?‹ ›Aber d?‹ ›Sie?‹ ›Weg?‹ ›Das L?‹ ›Wo?‹ ›Er?‹ ›Licht?‹ ›Ich?‹ ›Wer?‹
Dann blieb er plötzlich ganz steif stehen. Seine Füße hatten keine Stufe mehr vor sich, seine Hand nur noch das kleine Stück Geländer, an dem sie sich festhielt. Schützend musste er seine Augen vor der plötzlich auf ihn einfallenden Sonne zu kneifen. Sie waren noch an das schimmernden Licht der Kellers gewöhnt. Er verdeckte mit seinem freien Arm die Stirn und versuchte immer wieder durch seine Deckung hindurch zu blinzeln, wurde aber sofort eines besseren belehrt. Ganz langsam gewöhnten sich seine Augen wieder an den goldenen Schatten und eine verschwommene Gestalt trat aus ihm hervor.
Sie stand direkt vor ihm, nur ein paar Meter von ihm entfernt. Sanft schwebte sie über den Boden, streichelte ihn mit ihren Füßen. Papier in der einen, einen Stift in der anderen Hand. An ihrem Körper ragte ein kleiner dünner weißer Faden empor, legte sich wie eine Schlange, eng, aus ihrer Hüfte kommend, an ihrer Taille entlang, über den Bauch, an ihre Brust und verschwand in ihrem Ohr. Pfeifend stand sie vor der Navigation und kontrollierte die Zahlen, die Lichter ›… Sterne …‹ und tanzte dabei, von einem Platz zum Nächsten. Ihr ganzer Körper bebte im Rhythmus der unsichtbaren Musik, die von ihren Füßen zum ganzen Körper, bis in ihre kleinste Haarspitze stieg. Durch das große Fenster in ihrem Rücken schien die breit strahlende Mittagssonne in den Flur. Sie lachte, ab und zu hinter eine Wolke verschwindend. Und wie die Sonne kniff auch sie immer wieder ihre glänzenden Augen zu, verzog dabei ihren Mund, als würde sie eine unsichtbare Melodie singen – – Es waren die einzigen kurzen Momente, in denen ihr Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand und eine andere Grimasse ihr Gesicht erfüllte.
Still, immer noch den Arm auf die Stirn gelegt, sich am Geländer festhaltend, stand er auf der letzten Stufe. Er hatte sich nicht bewegt. Es war das erste Mal, dass er sie mit offen Haaren sah. Wild flogen sie ihr, in kurzer Verzögerung ihren Bewegungen folgend, ins Gesicht, legten sich über ihre Schultern und hoben erneut ab. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück und ließ sich in eine dunkle Kante der Treppen fallen. Hier schien ihm die Sonne nicht mehr so bedrohlich ins Gesicht. Jetzt hatten seine Gedanken sich auch wieder beruhigt und folgten wie seine Augen, ruhig, ihren Bewegungen. Sie war völlig im Moment aufgelöst, tänzelte, völlig befreit von der Arbeit, völlig aufgehend im Spiel ihrer Bewegungen, von einer Seite zur anderen. Entspannt, leicht auf dem Geländer sitzend und den Rücken an die Wand gelehnt, sah er ihr zu – ohne Interesse, nicht beobachtend, einfach nur zu sehend. Niemand kam vorbei, sie waren ganz allein, für sich. Dann drückte er sich mit seinen Schultern von der Wand, entstieg der Treppe und ging zurück zum Deck.
Ein kalter salziger Wind schlug ihm ins Gesicht, als er die Tür öffnete. Er stand immer noch da, die Arme übers Geländer gelehnt und schaute aufs offene Meer hinaus. Leicht atmete er lächelnd aus. Für einen kurzen Moment standen sie wieder schweigend, die Arme aufs Geländer gelehnt, nebeneinander und schauten zum Meer hinaus.
»Na musstest du letzte Nacht wieder loswerden?«, kam es dann plump von der Seite neben ihm, ohne dass er seinen Blick vom Meer wandte.
Er lachte sanft und antworte nach einer kurzen Pause, ebenfalls ohne seinem Blick vom Meer abzuwenden: »Ist es nicht erstaunlich, dass wir uns so schnell Vorwärts bewegen, ohne irgendetwas davon zu merken?«
»Na dir scheint es ja schon wieder besser zu gehen.«
Er lachte.
(Kapitel 6 – Herzhöhlen )
Es ist eine alte Weisheit, dass wir immer das, was wir am meisten fürchten, am meisten begehren – oder war es das, was wir am meisten begehren, am meisten fürchten?
»Na. Ich hab gehört, du hattest gestern besonders viel Spaß?« Leise hatte sie sich von hinten angeschlichen und fiel beiden lachend ins Gespräch.
»Was?! Das ist sogar schon bei dir angekommen?«
»'s ist ne kleine Welt, so'n Schiff.«
Ganz nah war sie an ihm vorbeigegangen, so nah, dass er ihren warmen Körper in seinem Nacken spüren konnte. Sie stellte ihr Tablett neben ihn auf den Tisch und küsste ihn sanft auf die Wange. Von der unerwarteten Nähe überrascht, wich er kurz zurück und hielt die Luft an. Sofort versuchte er seine Reaktion zu vertuschen – zu spät, von gegenüber sprang ihm bereits ein böses Lächeln entgegen.
Im Klaren darüber, dass die beiden erst einmal ihr stilles Gespräch zu enden führen mussten, schaute sie auf ihr Tablett und begann sorgfältig sich alles zurecht zu stellen.
Eigentlich hatte sie ihn mehr mit ihren Lippen gestreichelt, als ihn wirklich geküsst, so sanft und vorsichtig war sie vorgegangen. Gedanken versunken schaute er zu ihr herüber. Sie hatte geduscht und ihre Haare wieder zum Zopf gebunden. Wie vorhin schien sie völlig in ihrer Aufgabe, das Tablett