»Jap – das heißt, solange der Kapitän sich's nicht doch noch anders überlegt.« Sie lächelte. »Und ihr?«, fing sie, beide anschauend, mit vollen Mund an,
– Warum müssen Gefühle auch immer so Konfus und unkonkret sein? Nervös stocherte er in seinem Essen herum –
machte dann eine Pause, kaute, schluckte und vollendete ihren Satz: »Was steht bei euch beiden jetzt an?«
»Also ich geh jetzt erstmal penn'n«, kam es von der anderen Tischseite.
»Er hat letzte Nacht durchgemacht.«
»Naja durchgemacht ist gut,«, er lachte und stand dabei auf, »das waren auch nur ein paar Stunden mehr als du. Nachdem du ins Koma gefallen warst ...« und griente ihn auffordernd an.
›Es ist nur nicht so einfach. Die Welt ist halt nicht schwarz weiß, besonders nicht, wenn man dauerhaft zu viele Farben sieht‹, antwortete er schweigend auf die unausgesprochene Aufforderung.
»Na das klingt ja so, als hättet ihr gestern Nacht ne Menge Spaß gehabt.« Ihr ironischer Ton war unüberhörbar.
Unsicher schaute er sie an. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Plötzlich spürte er ihr Bein an seinem. Ganz sanft streichelte es sein Bein entlang, schlung sich wie eine Schlange um es herum. Sie lächelte ihn an. Aber dieses Mal war es ein anderes Lächeln. Es war nicht so weich, nicht so fröhlich und strahlend wie sonst, es lag etwas verspieltes, etwas verstecktes, nur für ihn bestimmtes darin – und dabei war es genau das gleiche Lächeln, das sich auch sonst über ihre Wange legte. Er erwiderte ihr Lächeln – immerhin war es ein Lächeln, das er kannte, das er verstand – und dann ließ er sich einfach fallen. All die Unsicherheit, all das Sollen oder Wollen, es war egal.
»So ihr beiden Turteltauben, ich hau mich nu ma hin. Viel Spaß euch beiden noch, was auch immer ihr macht.«
Sie hatten ihren Blick gelöst und sie hatte sein Bein wieder freigegeben.
»So und was machen wir jetzt?«
Sie war noch am Essen, während er schon fertig war und ihr beim Essen zu sah.
»Der Sonne beim Tanzen auf dem Meer zusehen?«
Sie lachten.
–
Sie war immer noch am Tanzen. Sanft fuhr sie mit ihren Fingern die Rillen der Container entlang und drehte sich, ab und zu lachend, zu ihm um. Er lief ein kleines Stück hinter ihr und hatte seine Hände tief in seinen Jackentaschen vergraben. Über ihren Köpfen hörten sie den kühlen Wind durch die Containerkanten pfeifen, doch unten bei ihnen spürten sie nichts mehr von seiner Kälte. Sie lief zu ihm zurück, schlung ihren Arm um seinen und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Beide hatten so gut wie nichts gesagt, seitdem sie vom Tisch aufgestanden waren.
»Ich liebe den leicht salzigen Geruch des Meers. Es ist als wenn man in einer anderen Welt ist.« Ausgerechnet er brach dieses mal die Stille.
Die dunklen Schatten der Containertürme überragten den kleinen Gang. Nur die hochstehende Sonne schaffte es gerade noch beiden genug Licht zu geben. In ein paar Stunden würde sie bereits zu tief stehen und den kleinen Gang vollkommen den Schatten der Türme überlassen.
Er war verwirrt – – warum war er so angespannt? – hatte er jetzt nicht genau das, was er wollte? Er wusste, dass jetzt alles möglich war, dass sie nur aus Rücksicht auf ihn so ruhig war. Woher kam diese Angst, sich einfach dem Moment auszuliefern, sich einfach seinem Verlangen hinzugeben? Er hörte sie ganz genau, die kleine Stimme, die ihm zu flüsterte: Los drück sie gegen den Container. Es war die gleiche, die ihn heute morgen noch überreden konnte loszulaufen – – doch jetzt tat er nichts. Nicht, weil er Angst hatte oder Scham, – wie schön wäre ein wenig Scham – sondern weil er es einfach nicht wollte. Er wollte nicht, was er wollte. Er wollte nicht einmal das Wollen wollen. Er sah sie an – er wollte einfach nur mit ihr zusammen zu sein – und schlung seinen Arm um ihre Hüfte. – und vor einer dunklen Wand stehen, die nie still steht, aber irgendwie doch unbewegt in der Sonne badet. Sie sah überrascht zu ihm auf und zögerte, fing dann aber an zu lächeln.
Sie liefen zum Rand des Decks, wo sie aus dem Schatten der Container in die helle Sonne traten. Die Sonne stand viel zu hoch, als dass sie auf dem Wasser hätte tanzen können. Alles was zu sehen war, war ein dunkelblauer Abgrund, der kein Ende nahm. Wild aufgepeitscht vom Wind schlugen die Wellen mit ihren schäumenden Mündern aneinander. Trotzdem kam ihm das Meer in seiner unglaublich Größe eher ruhig als stürmisch vor. Die Wellen verschlungen nicht den endlosen Horizont, wie sie es in der Nacht zuvor getan hatten, heute tanzten sie in ihm. Geblendet von der Sonne, die die aus dem Schatten kommenden überraschte, und erschlagen vom gewaltigen Bild des Meeres vor ihnen, hatten sich beide wieder losgelassen. Sie hatten eine neue Welt betreten, eine offene, sichtbare Welt, rau und kalt. Schweigend standen beide einfach nur Nebeneinander und starrten aufs Meer hinaus. Der Wind fegte ungebremst übers Deck. Er hatte seine Hände wieder in die Jackentaschen gesteckt und stand aufrecht, dem Wind trotzend, an der Reling. Fast hatte er vergessen, dass er gar nicht alleine war, dass sie neben ihm stand. Vorsichtig, in der Hoffnung unbemerkt zubleiben, sah er zu ihr herüber. Ihr Blick war ruhig und zufrieden. Nur der Wind hatte eine kleine Träne in ihr Auge gesetzt, von der sie sich aber nicht beirren ließ. Er war froh, dass sie da war, dass sie neben ihm stand – sein Blick fiel wieder aufs Meer – dass sie neben ihm und nicht bei ihm stand.
Breit hatte sich eine graue Wolkendecke übers Meer gelegt, trotzdem schien sie die Sonne nicht zu verdecken. ›Erstaunlich,‹, dachte er, ›wie stark doch die Farben des Himmels das Meer beeinflussen.‹ – Er sah zur Sonne hoch. – ›Ohne ihr süßes Lächeln verliert es an Wärme. Jetzt ist es nur ein dunkler Abgrund – – – aber schön, ein unglaublich schöner Abgrund.‹
»Was siehst du?« Ohne sich selbst vom Meer abzuwenden, brach sie das Schweigen. Er schaute sie an.
»Stillstand – in ständiger Bewegung.«, antwortete er und wartete auf eine Reaktion. Doch sie schaute weiter still aufs Meer. »Weißt du, du siehst das Meer und die Wolken nie stillstehen und trotzdem wirkt es so, als würde es sich nie verändern.« Er hatte seinen Blick nicht von ihr abgewandt, versuchte etwas in ihren Augen zu erkennen, aber er fand nichts. Also fuhr er fort: »Völlig egal, ob das Meer ganz ruhig oder stürmisch ist, irgendetwas daran scheint immer gleich zu bleiben – still zu sein, einfach und gleichgültig.«
Kurz bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte sie sich zu ihm umgedreht und war ihm lachend ins Wort gefallen.
»Du bist wohl der merkwürdigste Matrose, den ich je kennengelernt habe.«
»Das könnte daran liegen, dass ich gar kein Matrose bin.« Er lachte.
Er wusste genau, dass sie versucht hatte ihn daran zu hindern die Gleichgültigkeit auszusprechen. Sie hatte es nicht geschafft. ›Unmöglich, dass sie nicht auch die Unruhe und Bedrohlichkeit spürt‹, flog es ihm durch den Kopf. Er drehte sich zu ihr, wandte sich völlig vom Meer ab.
»H-eä-« Er wollte etwas sagen, doch es kamen keine Worte. Er zögerte, blickte nervös zu Boden, versuchte dort die Worte zu finden. »H-e-« – doch er fand keine. Enttäuscht atmete er aus und schaute aufs Meer, ohne sie aus seinem Augenwinkel zu verlieren. Sie hatte ihn schweigend beobachtet und gewartet. Dann fing sie an breit und strahlend zu lächeln, schloss ihre Augen und ließ sich, im Wissen, dass er sie fangen würde, nach vorne fallen. Sanft legte sie ihre Stirn an seine. Sie sagte kein Wort. Leicht erschrocken hielt er ihre Hüfte, spürte ihren warmen Atem an seinem Mund. Dann öffnete sie wieder ihre Augen – –
Eine dunkle Sonne brennt am Himmel. Graue Türme ragen zu ihr empor, versperren mir die Sicht. Ein sanfter salziger Duft erfüllt die Luft, kriecht mir in die Nase. Kein Licht dringt durch die grauen Türme. Keine Fenster starren aus ihnen heraus. Nur die dunkle Sonne brennt über mir. Ich hebe meinen Kopf und schaue zur Sonne empor – sie blendet mich nicht. Der Himmel ist ein dunkles Tuch, das mich in Dunkelheit hüllt. Alles ist grau, doch nicht bedrohlich. Es wirkt mehr