Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kurtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187104
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      „Dann sollte er sich besser vor ihm hüten!“

      Die Warnung war kaum ausgesprochen, als Faowghs Augenbälle grell aufflammten. In kurz aufeinanderfolgenden Intervallen zuckte blendendweißes Licht durch die Berghalle, und nicht weniger blitzartig geriet der massige Leib des Drachen in Bewegung. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er den Schwanz zu voller Länge gestreckt und peitschte ihn mit einer halben Drehung um sich selbst gegen die Höhlenwand. Mit ohrenbetäubendem Krachen stürzten Felsbrocken herab, genau auf die Stelle, die bis eben Faghnars Sitzplatz gewesen war. In einer nicht minder schnellen Bewegung warf Faowgh jetzt in gleicher Richtung den Gegenpart des Schwanzes, seinen langen Hals, auf die Spalte, die er seinem Besucher auf dessen Verlangen hin noch aus dem Schlaf heraus geöffnet hatte, und spie dabei brüllend und mit weit auseinandergerissenen Fängen einen Feuerball. Während er an der Decke zerstieb, erbebte der Berg wiederum in seinen Grundfesten, und der Eingang rutschte lärmend in sich zusammen.

      Faowgh stürzte sich auf den frischen Geröllhaufen und begann ihn mit seinen gewaltigen Klauen auseinanderzuwühlen. Wütend schleuderte er die Gesteinsbrocken um sich herum durch die Halle, aber Faghnar, sein Rivale, sein Erzfeind, sein Gefangener um Haaresbreite, blieb verschwunden.

      Da ertönte hinter ihm ein letztes Mal seine Stimme:

      „Lebewohl, Donnerechse, und auf ein baldiges Wiedersehen! Verschließe die Tür gut, ich nehme derweil den Hinterausgang....“

      Mit einem zornigen Brüllen warf Faowgh seinen schweren Leib ein weiteres Mal herum. Seine Gewandtheit war erschreckend, da schwer mit seiner gewaltigen Erscheinung in Einklang zu bringen. Doppelt so hell als zuvor erleuchteten die Blitze jetzt die Halle, während er dem Fliehenden eine Flamme hinterherschickte, die weit in den alten, von der anderen Seite her zur Halle führenden Felskorridor hineinloderte.

      „Ja!“ dröhnte seine Stimme durch den Berg, „Flieh! Lauf vor mir davon, nach Diebesart, und verstecke dich wieder unter deinen Zöglingen! Bald wirst du mir zeigen können, wie überlegen ein Unsterblicher denen ist, die von Rache getrieben den Tod überwinden!“

      Faghnar ließ keine Antwort mehr hören, und Faowgh wußte, daß er entkommen war. Es war sinnlos, ihn auf dem Weg nach draußen noch aufhalten zu wollen. Den Fels zu spalten und einen Korridor hindurchzutreiben, war für den Drachen ein leichtes – nicht aber das Gegenteil, nämlich ihn wieder vollständig zu verschließen. Einmal geborstener Fels blieb für immer geborsten, das Gestein wuchs nicht mehr zusammen. Er konnte den Eingang verschütten, vielleicht die Tunnelwände stellenweise enger zusammenrutschen lassen, mehr aber nicht. Und zweifellos hatte Faghnar, oder Rakhmyr, bereits eine Gestalt angenommen die es ihm erlaubte, auch durch die engsten Ritzen zu entwischen.

      Faowgh hatte sich von ihm überlisten lassen, ja, und das nicht zum ersten Mal. Es war unvorsichtig gewesen, ihn von der Westseite des Berges her einzulassen, wenn es von Norden her bereits einen Zugang gab. Schließlich war Rakhmyr seinem Ruf gefolgt, weil er selbst ihn sehen wollte, ja mußte! Denn nur er, dessen ärgster Widersacher er seit undenkbaren Zeiten war, konnte ihm den Verdacht bestätigen, der hinsichtlich der mörderischen, mondwandelnden Wesen aus der Wildnis seinen Sinn beschlich; und weil er genau das wußte, hätte er den Eingang auch ohne allzulanges Suchen gefunden, zumal Faowgh ihm ein Zeichen hätte schicken können.

      Es wäre sicher leichter gewesen, Rakhmyr gefangen zu setzen, solange es nur einen Zugang zur Höhle gab. Andererseits gab es dafür auch keine Garantie, denn an List und Gewandtheit war ihm sein Erzfeind kein bißchen unterlegen. So schnell und unversehens Faowgh seinen Zorn aufflammen ließ, so rasch konnte er ihn auch wieder herunterkühlen. Reue, auch über seine eigenen Fehltritte, lähmte ihn nicht. Sein Verstand war stets auf das gerichtet, was vor ihm lag, und so war die Bewegungslosigkeit, in der er jetzt wieder erstarrte, eine gewollte. Aus den langen Zeiten der Ruhe schöpfte er nicht nur Kraft, sondern auch Wissen für künftige Taten. Und das machte ihn so gefährlich.

      Langsam verglomm das Licht seiner Augen, während er sich in seinen Drachenschlaf sinken ließ. Die Dunkelheit kroch aus den entfernteren Winkeln der Höhle hervor und begann sie erneut in Besitz zu nehmen. Alles was noch von dem dagewesenen Besuch zeugte, war ein Wanderstab aus Eschenholz, der in zwei verkohlte Teile zerbrochen vor dem Ausgang lag.

      Während er geistesabwesend mit einer verkohlten Astgabel in der Glut stocherte, betastete er mit der Linken sein Nackenhaar, wie es ihm seit seiner Flucht vor etwa einem Monat zur häufigen Gewohnheit geworden war.

      Aus seinem Versteck, das er sich unter einem weit auskragenden Felsvorsprung eingerichtet hatte, ging der Blick nach Westen. Den Berg im Rücken zu haben gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. So weit das Auge reichte, sah er nichts als noch mehr Berge und nackten Wald. Was jenseits des Horizonts lag, wußte er nicht. Aber der Gürtel unbesiedelter Wildnis, den er zwischen sich und der ihm bekannten Welt gelassen hatte, war breit genug um aller Wahrscheinlichkeit nach niemanden mehr auf den Fersen zu haben.

      Der lichtgraue Himmel kündigte einen weiteren naßkalten Tag an. Windböen wirbelten ihm beißenden Rauch in die Augen, fluchend wandte er das Gesicht vom Feuer ab und schützte es mit angewinkeltem Ellbogen. Als er sein Versteck gefunden hatte, war er nicht zuletzt deswegen froh daß die Öffnung nach Westen wies, weil es durch den dahinterliegenden Berg gegen den schneidenden Ostwind geschützt wäre. Dafür war es jetzt dem West ausgesetzt, der zwar den Frost vertrieb, aber stattdessen Regen und Feuchtigkeit brachte.

      Was immer die Zukunft für ihn bereithielt, es konnte nicht schlimmer sein als das, was der größte Teil seines bisherigen Lebens ihm beschert hatte. Auch der Tod nicht. Wenn er vor Hunger oder Kälte sterben würde, dann wenigstens als freier Mann, oder doch auf dem Weg dazu, einer zu werden, was für ihn das gleiche bedeutete. Das war es, was ihn darin bestärkt hatte, die erste Gelegenheit zur Flucht nach Einbruch der Winterkälte zu ergreifen. Hadhuin zwang sich damit gleich zu Anfang die härtesten Bedingungen auf, um sie entweder zu seiner eigenen Stählung zu überwinden oder daran zugrunde zu gehen. So oder so, er wollte nichts sehnlicher als es hinter sich bringen.

      Er hatte seine Flucht nicht von langer Hand geplant. Der Impuls dazu war plötzlich über ihn gekommen, ausgelöst durch einen besonderen Umstand, den er vergeblich bemüht war, sich in Erinnerung zu rufen. Er wußte nur, daß er es nicht bereute ihm gefolgt zu sein. Nicht einen einzigen Augenblick.

      Es wäre kaum dazu gekommen, wenn man ihn nicht verkauft hätte. Das befreite ihn von den Fußketten des Steinbruchs, denn sein neuer Herr, ein reicher Händler, brauchte ihn als Lastenträger. Damit galt er als Haussklave, und für einen solchen war das Tragen von Fußfesseln nicht üblich. Dies galt erst recht für ihn, dessen jetzige Verwendung eine entscheidende Verbesserung gegenüber der Schinderei des Steinebrechens bedeutete. War Flucht angesichts der harten Strafen bei der Ergreifung, wie auch der Widrigkeiten denen ein entlaufener Sklave ausgesetzt war, ohnehin schon unwahrscheinlich, so zog man sie bei jemand wie ihm schon gar nicht in Erwägung. Diese Sicht der Dinge war für Herren und Knechte gleichermaßen nachvollziehbar und entsprach so sehr der allgemeinen Auffassung, daß auch ihm zunächst gar nicht in den Sinn gekommen wäre, ihr zuwider zu handeln.

      Lastenträger eines Händlers zu sein hieß mehr als alles andere, Lasttiere zu be- und entladen und sie von Verkäufer zu Käufer und wieder zurück zu treiben. Die Anstrengung stand in keinem Verhältnis zu den erbarmungslosen Bedingungen, denen er während der letzten zwölf Jahre unterworfen gewesen war. Hinzu kam, daß sein Herr sich freundlich zeigte und ihn überaus gut behandelte. Wie viel Vertrauen er in ihn setzte bewies er damit, daß er ihn bereits nach wenigen Monaten allein auf Botengänge schickte.

      Tatsächlich konnte Hadhuin sein Glück zunächst selbst nicht fassen. In einem vor den Toren der Stadt gelegenen Hain, an dem er oft vorbeikam, stand ein der Pendari geweihtes Heiligtum, und er versäumte keine Gelegenheit, der Göttin dort ein kleines Dank-, manchmal auch Bittopfer darzubringen, soweit es seine Mittel, die die eines Besitzlosen waren, eben zuließen. So folgten die Tage aufeinander ab, und es waren die unbeschwertesten, die Hadhuin in seinem Leben je gekannt hatte. Ehe er sich versah, war ein ganzer Sommer dahingegangen.

      Mit