Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kurtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187104
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      „Und dafür bist du gekommen? Mich mit Begräbnisgeschichten zu langweilen?“

      „Oh, ich bedaure sehr, daß ich nichts kurzweiligeres zu berichten habe; aber eigentlich kam ich ja in der Hoffnung, du würdest mir etwas erzählen.... Oder warum sonst hast du mich gerufen?“

      „Das hat Zeit“, grollte es tief aus Faowghs Kehle. „Du bist doch nicht in Eile, Freund Rakhmyr?“

      „Dann interessiert es dich vielleicht zu hören, was ich auf meiner weiteren Reise alles in Erfahrung brachte“, sprach Faghnar weiter. „Ich verließ die Fischer wenige Tage später, um flußaufwärts gen Kadhlynaegh zu ziehen. Ich sagte nicht Lebewohl, sondern machte mich in aller Frühe auf den Weg, als beide fest schliefen, noch immer erschöpft von den Tagen und Nächten des Trauerns. Aber ich hinterließ ihnen ein Abschiedsgeschenk, und ich bin sicher daß sie es als solches erkannt haben.

      Bis ich die Stadt des Königs erreichte, stand der Mond wiederum im ersten Viertel. Ich reiste in vielerlei Gestalt, wie es meine Gewohnheit ist, und doch immer im gleichen Gewand. Bald war der Wald meine Straße, bald wanderte ich über die immer dichter besiedelten Auen. Zunächst legte ich meinen Weg bei Tag zurück. Nun ist mir während des langen Zeitalters seit Beginn meiner Wanderung an Gutem und Schlechtem alles von den Menschen widerfahren, was du dir auszudenken vermagst, außer dem einen: daß mich jemand nach Anbruch der Dämmerung noch durch seine Tür treten hieße. Denn das einfache Volk, mit dem ich am meisten verkehre, fürchtet die Nacht wie den ärgsten Feind, und mit ihr alle Kreaturen die sie hervorbringt. Aber diesmal kam es anders.

      Ein alter Köhler, der die entlegenste Waldhütte in den Bergen südlich von hier bewohnte, fand mich nach Sonnenuntergang auf der Lichtung, wo er seinen Meiler hatte. Er war taub wie eine Nuß und schien etwas sonderbar, wie alle Menschen die so einsam und abgeschieden ihre Tage fristen. Aber seine Augen waren schärfer als die eines Habichts, jedenfalls auf eine gewisse Entfernung, und sogar im Halbdunkel. Er fürchtete sich kein bißchen; sobald er mich sah, rief er mich herbei und nötigte mich ohne Umschweife, bei ihm einzukehren. Die ersten Sterne funkelten wie geschliffene Gemmen am Abendhimmel, er sagte, es würde eine bitterkalte Nacht werden, und er wolle mich nicht draußen erfrieren lassen. Er meinte aber, noch eine weitere Erklärung für seine Gastlichkeit schuldig zu sein. Er fügte nämlich hinzu:

      ,Haeldwyr hat bereits ausgeschirrt, und Ghléan macht sich spät auf den Weg. Am frühen Morgen wärt Ihr mir weniger willkommen gewesen.’

      So folgte ich ihm zu seiner Hütte, die geschützt hinter einem Bergvorsprung auf der Talsohle stand, nicht weit von der Lichtung entfernt. Dort teilte er seine dünne Nachtsuppe mit mir. Ich erwartete, daß er mich nach meinem Tun und Treiben ausfragen würde, aber er zeigte nicht das geringste Interesse daran, was draußen in der Welt alles vor sich ging. Ein anderes Leben als sein Köhlerdasein vermochte er sich gar nicht vorzustellen. Er hat das Handwerk von seinem Vater gelernt, und der von dem seinen. Er selbst ist kinderlos geblieben und seine Frau vor vielen Jahren davongelaufen, wahrscheinlich mit einem der Händler, von denen er im Tausch gegen seine Kohlen das nötigste zum Leben erwirbt. Menschliche Gesellschaft verabscheut er nicht, sie ist ihm vielmehr egal. Der Wald dagegen ist ihm Vater und Mutter. Er war die Wiege, der er entwachsen ist, und bald wird er das Grab sein, das ihn aufnimmt. Alle Dinge des Waldes, selbst wenn er sie nicht benennen kann, sind ihm seit jeher so bekannt, als gäbe es nichts anderes.

      Als wir noch an der rußigen Feuerstelle beisammen saßen und einen Krug von seinem selbstgebrauten Met tranken, fragte ich ihn in Anspielung auf seine Einladung, oder besser darauf, wie er sie begründet hatte:

      ‚Wie kommt es, daß Ihr den Mond am Taghimmel mehr fürchtet als die Nacht ohne Mond?’

      Er wandte den Kopf zur Seite, um mir das andere Ohr hinzuhalten, mit dem er etwas besser hörte, und forderte mich auf meine Frage zu wiederholen. Ich rief laut:

      ‚Ihr sagtet vorhin ganz richtig, daß der abnehmende Mond erst spät in der Nacht aufgeht. Weshalb hätte es Euch nicht behagt, mich am Morgen anzutreffen, wenn er noch hoch am Himmel steht?’

      Er sperrte seinen mit wenigen gelben Zähnen bestückten Mund auf und blinzelte mich an, als hätte ich ihn gefragt warum Forellen nicht auf Bäumen wachsen. Dann schien ihm zu dämmern, daß ich sicher von weit her kam, von den Ufern des Bhréandyr vielleicht, den er nur aus Erzählungen kannte, oder womöglich von noch weiter weg. Und wie alle Fremden stellte ich seltsame Fragen. Er antwortete:

      ‚Haeldwyr verehre ich vor allen anderen Göttern. Er zeigt sich geradeheraus, wie er ist, sein Licht bringt den Tag und schärft meinen Blick. Ghléan und ihr Zwielicht sind dagegen verräterisch; immerzu wechselt sie ihre Gestalt, und weder bekennt sie sich zum Tag noch zur Nacht. Aber sie fürchte ich nicht. Was ich fürchte, sind die Wesen die mit ihr kommen und gehen....’

      ‚So, als hätten sie den Mond zum Taggestirn?’ warf ich ein.

      ‚Ich weiß ja nicht, wie Ihr es haltet’ sprach er weiter. ‚Aber Ihr seht mir nicht aus wie ein Mondwandler. Sucht Ihr nicht Zuflucht bei Nacht und geht Euren Geschäften dann nach, wenn die Sonne Eure Wege erhellt? So steht auch mir der Sinn. Der Mond mag kommen und gehen, wie er will: ich verrichte meine Arbeit bei Tag, und schlafe und wache mit Haeldwyr. Wenn Gnidhr ihm die Tore im Osten öffnet, bin ich meistens schon auf den Beinen, und spätestens wenn Haeldwyr seinen Wagen von Westen her wieder in die Unterwelt lenkt, zieht es auch mich unter mein Dach. Es sei denn, ich muß den brennenden Meiler bewachen. Im Wald aber wohnt manche seltsame Kreatur. Viele schlafen am Tag und kommen nachts aus ihrer Höhle, wie der Dachs. Und wieder andere richten sich nur nach dem Mond. Vor ihnen hüte ich mich am meisten.’

      ‚Und solche Wesen sind Euch begegnet?’ wollte ich wissen. Darauf kicherte der Alte wie ein erfahrener Haudegen, der sich in seinen Heldentaten sonnt und sich über die Unbedarftheit seiner Zuhörer lustig macht, vor denen er sie zum Besten gibt.

      ‚Ob sie mir begegnet sind?’ gluckste er. ‚Sie achten der Zäune und Wege, das ist unser Glück. Wo immer ein Feuer brennt und die Mitte einer Wohnung oder Arbeitsstätte bezeichnet, halten sie sich außerhalb der gesteckten Grenzen, der sichtbaren wie auch der unsichtbaren. Dem Auge entfliehen sie schneller als ein flinkes Wiesel, aber früher konnte ich sie oft hören. Und glaubt mir, ich spüre ihre auf mich gerichteten Blicke wie stechende Lanzen. Aber ihr Treiben ist unverläßlich und folgt keiner Regel oder festen Gewohnheit. Wenn sie auch nur mit dem Mond hervorkommen, so tun sie es längst nicht immer. Sie können mitunter Jahre ausbleiben, und ich bin überzeugt, sie wollen mich leichtsinnig machen und zur Unvorsicht verleiten. Aber so einfach ist der alte Bléaghwyn nicht zu überlisten. Sie haben es auf mich abgesehen, ja, denn sie wissen, daß ich zu gewissen Zeiten meinen Bereich verlassen muß, um gefälltes Holz beizuschaffen. Sie hoffen, daß ich den Mond vergesse und ihnen in die Falle laufe. Aber nicht mit mir, oh nein, nicht mit dem alten Bléaghwyn!’

      Er kicherte weiter in sich hinein, und wer es nicht besser wüßte, hätte ihn in diesem Moment für verrückt halten mögen. Aber ich sah das Blitzen in seinen Augen, und es sagte mir, daß er wußte wovon er sprach.

      ‚Habt ihr je in irgendeiner Weise Schaden an ihnen genommen?’ fragte ich schließlich. Daraufhin kratzte er sich die weißen Bartstoppeln und sinnierte lange vor sich hin. Er schlürfte ein paar Mal an seinem Metkrug, ehe er weitersprach:

      ‚Ich war das dritte von vier Geschwistern. Meine Schwester, die älteste von uns, wurde in ihrem fünfzehnten Sommer einem Schmied zur Frau gegeben. Mit ihm zog sie weit weg, in die Ebene. Hernach habe ich sie nur noch zwei Mal gesehen. Mein jüngerer Bruder betrieb lange mit mir zusammen die Köhlerei. Noch vor der nächsten Sonnwende jährt es sich zum dreiundzwanzigsten Mal, daß er beim Aufstechen des Meilers eingebrochen und an den Brandwunden gestorben ist. Aber mein älterer Bruder....’

      Er trank noch einen tiefen Zug, ehe er den Satz beendete:

      ‚Zwei oder drei Jahre, ehe sich die Schwester vermählte, ging er eines Morgens Gründlinge fangen und kam nicht wieder nach Hause....’

      Es war nicht leicht, ihm die ganze Geschichte zu entlocken. Er erzählte sie stockend und verworren, auch wurde ihm die Zunge immer schwerer vom Met. Herauszuhören