Faowgh sagte in die auf Faghnars letzten Satz folgende Stille hinein:
„Der Köhler spricht nicht schmeichelhaft von deiner Schwester.“
„Es wäre auch nicht recht, dies von ihm zu erwarten. Ghléan wandert über ihn hin, ein ums andere Mal, und achtet nicht seinergleichen und ihrer Geschicke. Vielleicht daß sie ihm etwas Licht spendet, in den langen Nächten wenn er auf der Hut sein muß, daß sein Meiler weder erlischt noch zu heiß wird. Und auch das nur, wenn ihr der Sinn danach steht. Kein Wunder, daß sie ihm launisch erscheint, und eins weiß ich sicher: sie selbst würde es ihm am wenigsten verdenken.“
„Und der Tod seines älteren Bruders.... gibt er nicht ihr insgeheim die Schuld?“
„Das habe ich so nicht verstanden. Er weiß von Wesen im Wald, darunter einige, von denen er sich bedroht fühlt. Er weiß, daß ihr Schlafen und Wachen vom Kommen und Gehen des Mondes bestimmt wird, und was ihn darauf brachte, ist eine schreckliche Erinnerung aus seiner Kindheit. Nun gibt es aber auch andere schädliche Kreaturen, die er meidet, und keineswegs alle lieben den Mond oder die Nacht. Etwa die Hornissen. Am gefährlichsten sind sie am hellen Tag und in der größten Sommerhitze. Im Schwarm können sie so todbringend sein wie ein Rudel Wölfe. Beschuldigt der Köhler nun Haeldwyr, daß sein strahlendes Licht die Hornissen hervorbringt und ihm auf den Hals hetzt? Nein. Stattdessen trifft er Vorkehrungen, ihren Weg nicht zu kreuzen. Die Sonne aber verehrt er als Lebensspender.“
„Und den Mond und dich selbst als vagabundierende Gaukler, in stets wechselnder Verkleidung?“
„Ob er Faghnar für einen Gaukler achtet, habe ich ihn nicht gefragt. Ich weiß nur, daß er einem müden Wanderer Herberge bot, als dieser kaum damit rechnen durfte.“
„Ob er ahnte, welch hoher Besuch ihn beehrte?“
„Wenn ja, so spricht dies für seinen Scharfsinn, und wenn nicht, ist seine Gastfreundschaft umso aufrichtiger zu werten.“
„Wenn er dich insgeheim erkannte, dann wußte er wohl auch, daß er einen Dieb unter sein Dach lud?“
„Denselben, dem er sein Köhlerfeuer verdankt.“
„Stolze, ruhmreiche Völker der Vandrimar! Sie schmelzen ihr Erz und sie schmieden ihre Waffen in dem Feuer, das sie der Arglist eines Unsterblichen zu verdanken haben. Was Wunder, daß sie ewige Habgier und Zwist auf sich luden!“
„Das gleiche Feuer, womit sie das Eisen hervorschmelzen, dient ihnen zum Brennen von Glas und Ziegel. Ihre Städte zeugen davon. Aus dem Eisen schmieden sie nicht nur Stahl für Schwerter und Lanzen, sondern auch Kessel, Faßreifen und Pflüge. Und aus dem Gold, das sie so oft gegeneinander aufbringt, fertigen sie dennoch Kunstwerke von großer Schönheit. Ebenso aus dem Silber. Was hatten die Laeghtrimar dem entgegenzusetzen?“
„Da hast du recht. Am wenigsten den Schwertern und Lanzen.“
„Ihre Feldfeuer taugten allenfalls für Kupfer oder Zinn, und der Wolf war ihr Rivale bei der Jagd. Die Vandrimar aber lernten den Boden zu pflügen und zähmten den Ur. Die Laeghtrimar konnten nicht gegen sie bestehen.“
„Ihr Stolz gab ihnen Bestand.“
„Sofern sie nicht Diener der Vandrimar wurden oder sich mit ihnen vermischten.“
„Warum nennst du nicht die Dinge beim Wort, Freund Rakhmyr: die Vandrimar versklavten sie und raubten ihre Frauen und Mädchen.“
„Die Laeghtrimar standen an einem Scheideweg. Das Zeitalter des Drachen ging zu Ende und ein neues kündigte sich an: das der Menschen. Sollten sie die Fackel entgegennehmen oder weiterhin einer Echse huldigen?“
„Denen, die mir die Treue hielten, fehlt es an nichts. Sie haben ihren Lohn. Die deinen dagegen fristen ein Dasein, das geprägt ist von Arbeit, Kampf und unsäglichen Mühen.“
„Den Preis ihres Sieges zahlen sie ohne zu murren, denn sie wissen: sie sind die Statthalter der Welt!“
„Der hiesigen Welt, Rakhmyr, allenfalls der hiesigen.“
„Von der so manche deiner Anbeter sich nicht lösen mögen, wie es den Anschein hat.“
„Das glaubst du?“
„Widerlege es, wenn du kannst!“ forderte Faghnar den Drachen heraus. Und da er nicht gleich eine Antwort erhielt, fügte er an: „Aber vielleicht ist das ja gar nicht dein Wunsch. So höre, was mir der Köhler noch verriet, ehe ich meine Reise fortsetzte. Es war am folgenden Morgen, daß er mir zum Abschied folgende Empfehlung mit auf den Weg gab:
‚Vergeßt nicht die Gefahren, die Euch abseits der Straße auflauern, und weicht um nichts in der Welt von ihr ab. Sucht lieber Herberge an einem bewohnten Ort, wenn Ihr nicht sicher seid, den nächsten vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Und noch etwas: nehmt Euch zurück und stellt keinem Mädchen in den Wald nach – nicht, so lange Ghléan ihre Bahn nicht durchmessen hat! Haben die Waldfrauen Euch einmal betört, seid Ihr verloren. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche, denn einmal war ich nahe daran. Nun nehmt den Weg, der Euch vom dortigen Rand der Lichtung aus zum Bach führt und folgt dessen Lauf. Nach wenigen Meilen kommt Ihr an eine Furt, und wenn Ihr Euch nicht allzu ungeschickt anstellt, könnt Ihr auf den herausragenden Steinen fast trockenen Fußes ans andere Ufer gelangen. Paßt aber auf, daß Ihr nicht ausrutscht. Auf der anderen Seite angelangt, führt Euch der Weg weiter bis zu einer Kreuzung. Dort geht in südöstlicher Richtung, um die Straße nach Kadhlynaegh zu nehmen. Und nun lebt wohl!’
Damit schritt er seinem Meiler zu, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, und ich machte mich auf den Weg. Es war ein kalter, sonniger Wintertag, aber noch immer war kein Schnee gefallen. Ich ging wie er mir gesagt hatte, den Bach entlang und über die Furt. Gegen Mittag war ich bereits auf der alten Straße nach Kadhlynaegh und noch immer keiner Menschenseele begegnet. Was nun die Warnung des Alten anging, wußte ich daß sie berechtigt war. Solange Ghléan mich begleitete, ließ ich mit ihrer Hilfe meinen Blick schweifen. Auch mein anderes, das einwärts gerichtete Auge, spähte so scharf es nur konnte. Aber nichts war zu entdecken, was meine Aufmerksamkeit erregt hätte. Von der Ebene bis weit hinter die Köhlerhütte ins Gebirge hinein, und im gleichen Umkreis nach Norden und Süden hin, fand ich nicht die geringsten Anzeichen von dem was der Alte mir beschrieben hatte.
Neun Tage später traf ich an Mraeghdars Hofsitz ein. Wie ich schon sagte, führt er Krieg; und er ist nicht wie sein Vorgänger, der es vorzog die Herzöge um das Feuer der Burghalle zu versammeln und seine Strategien im Schutz fester Mauern zu ersinnen, statt in den windgepeitschten Zelten des Feldlagers. Mraeghdar liebt seine Krieger, er ist einer der ihren und kämpft stets in vorderster Reihe. Sie verehren ihn mehr als die Schutzgöttinnen, denen sie vor der Schlacht zu opfern pflegen. Ich wußte, daß ich ihn in Kadhlynaegh selbst nicht antreffen würde, aber das war auch gar nicht der Grund meiner Reise. Ich machte sie vielmehr um ihrer selbst willen....“
„Hättest du auf deinen Wanderungen ein Ziel, wärst du ja auch kein Vagabund.“
„....denn um die Geschicke der Vandrimar lenken zu können, muß ich unter ihnen weilen und mich mit ihren Nöten vertraut machen. So streifte ich mehr durch die abseits gelegenen Dörfer und Gehöfte, als daß ich mich an die breite Heerstraße hielt. Was ich von dem Köhler in Erfahrung gebracht hatte, knüpfte direkt an das Erlebnis bei den Fischern an. Was nun diese mit jenem gemeinsam haben ist, daß sie ein sehr entlegenes Gebiet bewohnen, die Fischer weit flußabwärts, der Köhler tief in den Bergwäldern. Hier wie da verliert sich das Siedlungsgebiet der Vandrimar in der einst den Laeghtrimar abgetrotzten Wildnis. Weder der Mord, dessen unfreiwilliger Zeuge ich geworden war noch der, den mir der Köhler schilderte, wurden von Menschenhand verübt. Warum aber waren sich beide Greueltaten so ähnlich, zumal sie doch fast die Zeitspanne eines Menschenlebens auseinander lagen? Um herauszufinden, ob derlei sich etwa häufiger zutrug, war ich vor allem auf die Erzählungen der Waldbewohner angewiesen.
Es