Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kurtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187104
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ich von wenigstens fünf weiteren Vorfällen, von denen keiner länger als zwanzig Jahre zurücklag, darunter ein Doppelmord; man zeigte mir die Stelle im Wald, wo einmal zwei junge Liebende niedergemetzelt wurden, die sich dort heimlich im Schutz einer Klippe trafen. Die natürliche Farbe des Felsbodens war gelb, wie die der Klippe selbst. Bis auf da, wo ihn das eingesickerte Blut der beiden rostrot gefärbt hatte.

      Von den anderen vier Morden waren wiederum zwei an Kindern verübt worden, nämlich einem Jungen, der seinen achten Sommer nicht mehr erlebte, und seiner etwas jüngeren Halbschwester (und wenn ich hier nicht auch von einem Doppelmord spreche, dann deshalb, weil das Mädchen mehr als zwei Jahre nach dem Jungen getötet wurde, und auch nicht am gleichen Ort). Jedenfalls hatte der Vater, ein Fellgerber, danach nur noch zehn Mäuler zu stopfen. Er war bereits zum dritten Mal vermählt, und seine jetzige Frau hatte ihm bisher zwei Töchter geboren, von denen eine das ermordete Mädchen war.

      Die letzten beiden Morde betrafen einen Jungbauern und einen Hirten. Sie stammten aus zwei weit voneinander gelegenen Dörfern und kannten einander nicht. Außer ihrer Abkunft als Leibeigene hatten sie nichts miteinander gemeinsam.

      Nun waren aber alle diese Morde nachts geschehen, oder doch wenigstens in der Dämmerung. Daß heißt, alle bis auf einen, nämlich den an der Tochter des Gerbers; denn wie das Fischermädchen, oder der ältere Bruder des Köhlers, lief auch sie auf der Suche nach Nahrung ihrem Mörder in die Hände. Den Menschen nahebringen zu wollen, weniger die Nacht zu fürchten als vielmehr Auf- und Untergang des Mondes im Sinn zu behalten, hatte meist Gleichgültigkeit zur Folge, wenn nicht blankes Unverständnis. Ich ließ es dennoch nicht unversucht. Und vielleicht“, fügte Faghnar spitz hinzu, „vielleicht wird sich nach einem der kommenden Morde doch der eine oder andere an die Worte jenes seltsamen Vagabunden damals erinnern, und was er von einem allein im Wald lebenden alten Köhler zu berichten wußte....“

      „So hast du ihn tatsächlich ernst genommen?“

      „Und schwerlich wirst gerade du mich überzeugen, ich hätte nicht gut dran getan.“

      Faghnar hielt seinen Stab wieder aufrecht zwischen den Knien und verharrte ebenso schweigsam und regungslos wie sein Gegenüber. Direkt vor ihm klaffte die Pupille, als wollte sie ihn verschlingen. Nirgends auf der Welt lagen gleißende Helle und schwärzeste Finsternis, sengende Glut und lähmende Kälte so nahe beisammen, waren dichter miteinander verwoben als in dieser Berghalle. Faowghs magnetischer Blick verschmolz alle nur denkbaren Gegensätze, zog sie an sich und verströmte sie von neuem, war schwarzes Licht und brennendes Eis. Aber Faghnar war gegen diese alles verschlingende Macht gefeit. Daß Faowgh es wußte, schürte seinen Drachenzorn um so mehr; dies wiederum wußte Faghnar, und so las einer aus des anderen Blick.

      Endlich, nach geraumer Zeit, fragte Faowgh:

      „Was unternahmst du von Kadhlynaegh aus, nachdem du den König nicht antrafst?“

      „Da ich, wie gesagt, seine Anwesenheit ohnehin nicht erwartet hatte, mischte ich mich auch dort zunächst unter das einfache Volk. Ich verkehrte mit Sklaven, Mägden, Knechten, Hausdienern aller Art. Sie, die die niedrigsten und alltäglichsten Arbeiten verrichten, sind fast überall zugegen; weil man sie aber so gering achtet, vergißt man oft ihre Anwesenheit oder sieht leichtfertig über sie hinweg, und daher entgeht ihnen auch nichts. Nun war in aller Munde der Krieg in den östlichen Marken, aber kein Wort war zu hören von Bluttaten von unbekannter Hand, verübt im Verborgenen an Schwachen und Schutzlosen, und scheinbar ohne jeden Beweggrund. Natürlich geschieht, was immer geschieht: Raubmorde und tödlich endende Zankereien, auch Rachetaten, oder Morde zur Rettung der Ehre oder aus Eifersucht. Aber von den Gefahren, denen die Bewohner der entlegenen Dörfer und Waldgebiete ausgesetzt sind, ist bisher nichts in die Königsstadt vorgedrungen, denn wer schert sich schon um die furchtsamen Bauern und Viehhirten draußen auf der Heide. Und somit fand ich einmal mehr die Worte des Köhlers bestätigt: was immer sich hinter der Bedrohung verbirgt, es ist wenn auch kein Tier, so doch in der Wildnis zuhause. Herdfeuer, Wohnstätten, jedes von Menschen auf irgendeine Weise in Besitz genommene oder dauerhaft genutzte Stück Erde meidet es, oder schreckt davor zurück. Das erklärt, warum vor allem die Bewohner der Stadt bisher unbehelligt geblieben sind.

      Schließlich verdingte ich mich als Helfer des berühmtesten Waffenschmieds in Kadhlynaegh, den ich rasch von meinen Fertigkeiten an der Esse überzeugte. Sein Stand, der seit jeher dem des Kriegers am nächsten kam, ist so angesehen wie nie zuvor, und bis spät in die Nacht hallt sein Amboß von Schlägen wider. Die tüchtigsten Herzöge kommen zu ihm, ihre Schwerter nach eigenen Vorgaben bei ihm fertigen zu lassen. Sie zahlen gut, und Irmwyn profitiert zudem von ihren Erfahrungen im Kampf, da sie ihm helfen seine Kunst stetig zu verfeinern.

      Oft war ich zugegen, wenn von Mraeghdar die Rede war. Sie sprechen seinen Namen mit großer Ehrfurcht aus, und wer sie reden hört zweifelt nicht, daß sie ihm blind in jede Schlacht folgen würden. Ich hörte aber auch anderes aus ihren Erzählungen heraus; mißliebiges, das unausgesprochen blieb, sich nur in Form vager Andeutungen durch ihre Rede wand. Sie scheinen Dinge gesehen zu haben, an die sie sich am liebsten gar nicht erinnern möchten.“

      „Schlimmer als die Morde an Kindern und anderen Unschuldigen, die dein Gemüt so beschweren?“

      Faghnar strich sich über den Bart, indem er Faowgh unverwandt anblickte. Das Feuer in Faowghs Auge schien auf seinen eigenen Blick überzuspringen, wenn auch in anderer Gestalt: war es wirkliche, lodernde, sichtbar brennende Glut, die Faowghs enge Pupille einbettete, fand sie ihren Widerpart in Faghnars Blick als ein Blitzen wie aus dunklen Wolken, die ein herannahendes Gewitter verkünden. Der Drache beobachtete ihn vollkommen starr und regungslos, die Fänge weit genug geöffnet, um beide Reihen langer, spitz zulaufender Zähne zu entblößen. So drohten sie einander ohne ein einziges Wort, Faghnar indem er seine anschwellende Wut wetterleuchten ließ, Faowgh indem er seine unüberwindliche, erdrückende Macht mit der Kaltblütigkeit des Reptils zur Schau stellte. In jedem Fall war, was sie einander mitteilten, unmißverständlich. Würde jener den beständigen Provokationen erliegen und seinem Zorn Taten folgen lassen, dann würde dieser als Antwort seine ganze zerstörerische Kraft entfalten. Mit zweifellos verheerenden, weit über das Zusammentreffen der beiden Kontrahenten hinausgehenden Folgen.

      „Du läßt keine Gelegenheit verstreichen“ knurrte Faghnar, „das Volk der Vandrimar deiner Mißgunst auszusetzen. Welchen Verdacht du zugleich in mir nährst, weißt du selbst am allerbesten. Aber ich werde keine Anschuldigung aussprechen, die ich nicht angemessen begründen und mit Belegen untermauern kann. Dazu wirst du mich mit all deinen Listen nicht bringen.

      Du wolltest wissen, was ich von Kadhlynaegh aus zu unternehmen gedachte. Und ich kam so weit dir zu berichten, welche Erkundigungen ich in der Stadt selbst einholte, und wie ich dabei vorging. Nachdem ich also Gewißheit erlangt hatte, daß die aus den hiesigen Wäldern drohende Gefahr bisher auf einzelne Vorkommnisse beschränkt blieb und nur entlegene Gebiete betraf, hielt ich mich jetzt, als Gehilfe Irmwyns des Schmieds, über den Hergang des Kriegs im Osten auf dem Laufenden. Und was ich dabei zu hören bekam, war fremdartig und beunruhigend. Der Krieg ist ein grausames Handwerk, ist es immer schon gewesen und wird es immer sein; aber was Irmwyns Auftraggeber durchblicken ließen, deutete eine ganz und gar ungeahnte Wendung an.

      Zur Sonnwende beschloß ich, Mraeghdar in seinem Winterquartier aufzusuchen; so verließ ich Kadhlynaegh vier Tage später, um weiter flußaufwärts zu ziehen. War nun den ganzen Winter immer noch kein Schnee gefallen, außer vielleicht in den höchsten Berglagen, hatte doch die ganze Zeit über bitterer Frost geherrscht. Und dann, am dritten Tag meiner Wanderung, geschah was ich am wenigsten erwartet hätte: der Winter hätte gerade erst recht beginnen sollen, aber die Kälte floh aus dem Boden und selbst aus der Luft. Die Zweige der Bäume und Sträucher und die braungefrorenen Gräser auf den Weiden warfen den Raureif von sich ab wie eine Schlange ihr Schuppenkleid. Es geschah so offensichtlich zur Unzeit und bei falschem Wind, daß ich auf der Stelle wieder kehrt machte. Je weiter ich in die Ebene zurückkam, desto untrüglicher wurden die Anzeichen. Ich folgte der Biegung des Bhréandyr nach Norden, er führte ungewöhnlich viel Wasser für diese Zeit des Jahres. Gerne hätte ich einige Tagesreisen auf einem Floß zurückgelegt, aber ich fürchtete, der Strom würde mich zu weit am Gebirge vorbeitragen und mich so zu einem Umweg nötigen. Ich war auf die