Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kurtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187104
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Es bereitete ihm ein bisher nicht gekanntes Vergnügen zuzusehen, wie sich das Holz unter seinem Messer in die gewünschte Form fügte, und mehr noch, wie seine Oberfläche durch den Schliff immer geschmeidiger wurde. Ein ums andere Mal ließ er seine Hand darüber gleiten; das Ertasten etwa noch vorhandener Unebenheiten war ein willkommener Vorwand, die künstliche Glätte des jungen Holzes zu fühlen, sich daran zu freuen und mit seiner Arbeit zufrieden zu sein. So sehr war er in seine Tätigkeit vertieft, und so fasziniert von dem Ergebnis, daß er gar nicht merkte wie es im Laufe des Tages aufhörte zu nieseln und auch der Wind immer mehr nachließ. Verwundert blickte er auf, als ihn irgendwann nachmittags ein zaghaft durchs Gewölk dringender Sonnenstrahl traf.

      Den Rest des Tages verbrachte er mit einem Streifzug durch den Wald, um nach geeignetem Pfeilholz Ausschau zu halten. Er hatte einmal gehört, Pfeile würden meist aus Eschenholz gemacht. Unten am Bachufer stand ein Baum, der dem in Pendaris Opferhain ähnlich war, an Wuchs wie auch von der Beschaffenheit seiner Rinde her. Er ging um ihn herum, betrachtete ihn von allen Seiten, und war sich unschlüssig. Auch aus dem abgeworfenen Laub des Vorjahrs, das mit dem der umstehenden Bäume durcheinandergeweht war, wußte er keine verläßlichen Schlüsse zu ziehen. Schließlich brach er aber doch einige vom Boden aus erreichbare Zweige ab und nahm sie mit, um sich daran zu versuchen.

      So wie dieser Tag ausklang, begann auch der folgende, trocken und beinahe windstill. Die Wolkendecke, die am Morgen zuvor noch dunkel und regenschwer auf den Höhen ringsum gelegen hatte, wehte federleicht aufwärts, befreit von ihrer nassen Last. Der Wald hallte wider von Vogelstimmen. Es war wie eine Ahnung von Frühling, und Hadhuins Vorfreude wurde von der Gewißheit getrübt, daß dies unmöglich das Ende des Winters bedeuten konnte. Grimmig erstickte er die trügerische Hoffnung noch ehe sie aufkeimte, wälzte sich von seinem Lager und blies das Feuer an.

      Die Stute war nicht bei ihm, aber er wußte schon wo er sie finden würde. Er nahm ein Zinngefäß, das zu den Ausrüstungsgegenständen des Lasttiertreibers gehört hatte, sowie den Schafsbalg und lief hangabwärts an den Bach. Die Stute graste auf der anderen Seite. Ehe er hinüberwatete, warf er sich prustend ein paar Hände voll eiskalten Wassers ins Gesicht. Das Maultier kam freudig auf ihn zugetrabt, schnaubend legte es ihm zur Begrüßung den Kopf über die Schulter, um sich den Hals tätscheln und hinter den Ohren kraulen zu lassen. Hadhuin spürte kurz seinen Lidschlag an der linken Wange. Mit einem Gefühl der Dankbarkeit furchte er mit den Fingern die blonde, strohige Mähne; er war froh, das Tier nicht geopfert zu haben. Schließlich molk er mit mittlerweile gut eingeübten Handgriffen seinen morgendlichen Milchtrunk ab und füllte ihn in den Balg um, den er sorgfältig verschloß und über die linke Schulter hängte. Das Zinngefäß wusch er in der Strömung des Bachs und trug es bis zum Rand voll Wasser den Hang hinauf.

      Von der Milch trank er den größten Teil gleich, noch körperwarm. Den Rest vermischte er mit Wasser und gemahlenem Hafer in dem irdenen Topf und setzte den Brei zum Quellen an den Rand des neu entfachten Feuers. Dann machte er sich daran, die am Vortag gebrochenen Zweige zu schälen, begradigen und anzuspitzen. Wie zuvor schon den Bogen, glättete er sie mit Sandstein, sorgfältig und ohne Hast. Immer wieder ließ er die Schäfte zwischen den Fingern durchgleiten und versuchte sich vorzustellen, wie es sich wohl beim Abschuß anfühlen würde. Diese Prüfung führte er weitaus sachlicher durch als die des Bogens, bei der er sich regelrecht verspielt hatte.

      Die Sonne, die sich ab und an hinter gelblich schwelenden Wolkenschleiern erahnen ließ, stand bereits weit im Westen als er endlich damit begann, die Pfeile von der Spitze her über niedriger Flamme auszuhärten. Niemand hatte ihm je gesagt, daß dies zu tun wäre. Da er über keine geeigneten Metallgegenstände verfügte, geschweige denn über das Werkzeug, um sie zu Pfeilspitzen umzuarbeiten, mußte er sich irgendwie anders behelfen. Daß das frische, weiße Holz zu weich war um irgendetwas zu durchdringen, war ihm klar ehe er auch nur zum ersten Schnitt angesetzt hatte. Ohne recht zu wissen auf welches Ziel hin, ließ er die Hände weiterarbeiten, und die Art wie sich die Späne lösten sagte ihm, daß es der noch frische Baumsaft war, der sie so biegsam machte. Nun hatte er während der langen Tage und Nächte, in denen er sich dicht am Feuer hielt, oft genug Gelegenheit gehabt zu beobachten, wie die Flammen das Harz aus den Fasern dickerer Aststücke trieben und an der Oberfläche regelrecht versteinern ließen. Es galt also, es in den Pfeilschäften zurückzuhalten und dort verhärten zu lassen. Daß dies langsam geschehen mußte, war offensichtlich, und deswegen hielt er die Flammen niedrig.

      Schließlich stellte sich noch die Frage nach dem geeigneten Material für die Sehne, aber Hadhuin hatte sich bereits für den Lederriemen entschieden, mit dem die Wanderausrüstung des unglücklichen Lasttiertreibers verschnürt war. Leder war dehnbar, wie für eine Bogensehne erforderlich, und zum Verschnüren der Ausrüstung würde sich schon etwas anderes finden, wenn es darauf ankäme. Und hätte er seine ersten Beutetiere erlegt, würde sich sicher so manches daran zur nachträglichen Verbesserung seiner Jagdausrüstung verwerten lassen. Während er in Gedanken verschiedene Möglichkeiten erwog, drehte Hadhuin die Pfeilschäfte über dem Feuer und kämpfte gegen die aufkommende Müdigkeit.

      Als sie ihm aus den erschlafften Händen fielen, wurde er schlagartig wieder hellwach. Er mußte tatsächlich kurz weggedämmert sein, denn über die heruntergebrannte Glut hinweg sah er, daß die Luft bereits in das stumpfe Blau hinüberglitt, mit dem sich der Abend ankündigte. Hastig las er die Pfeile aus der Glut und legte sie beiseite, um nach dem Brennholzhaufen zu langen und einige Aststücke heranzuziehen.

      Und da hörte er von draußen ein Geräusch. Gleichzeitig mit dem Schleifen des Astes auf dem Felsboden, aber deutlich davon zu unterscheiden, und aus der entgegengesetzten Richtung. Hadhuin griff nach seinem Dolch und richtete sich auf. Angespannt lauschte er nach draußen und ließ seinen Blick durch die Dämmerung schweifen. Kälte kroch ihm wie ein fremdes Wesen unter die Haut, seine Haare sträubten sich wie die einer Wildkatze. Zum ersten Mal sah er die Wildnis als das, was sie tatsächlich war: eine Bedrohung. Hatte ihm die Abgeschiedenheit seiner Felsenwohnung bisher vor allem Schutz vor Verfolgung bedeutet, sah er die Waldnacht auf einmal von Kreaturen bevölkert, die er aus halbvergessenen Erzählungen und Legenden kannte. Sie traten plötzlich und unangekündigt aus der Erinnerung in sein Bewußtsein, und schienen ihm doch so vertraut, als wären sie seine lebenslangen Begleiter gewesen. Das Blut gefror ihm in den Adern, als er ein weiteres Rascheln hörte und einen schwankenden Schatten zwischen den Bäumen sah.

      Dann vernahm er den ersten Huftritt auf felsigem Boden, und erst jetzt merkte er, daß er sogar das Atmen vergessen hatte. Er holte tief Luft, verfluchte in seiner grenzenlosen Erleichterung zuerst das Maultier und schimpfte gleich darauf sich selbst einen Narren. Verlegen kratzte er sich im Nacken, wußte aber nicht, vor wem er sich eigentlich schämte. Er täuschte vor, die Stute nicht zu beachten, die ihren gewohnten Platz an der Felswand aufsuchte, und indem er mit einer Astgabel das Feuer neu aufschürte, spielte er vor sich selbst den Unbekümmerten.

      Er saß schon eine ganze Zeitlang und drehte wie zuvor die Pfeilspitzen über den Flammen, bis er nicht mehr an sich halten konnte und in schallendes Gelächter über seine eigene, kindische Furchtsamkeit ausbrach.

      Drei Tage später verfolgte Hadhuin den Bachlauf aufwärts, in der Hand den mit dem Lederriemen als Sehne bespannten Bogen; die ausgehärteten Pfeile steckten an seiner linken Hüfte unter dem Gürtel, der seinen Überwurf umwand, und den Dolch trug er wie immer an der rechten Seite, wo er der stets griffbereiten Hand am nächsten war.

      Mehr als auf der Pirsch, befand er sich auf Erkundung. Die Hinden hatte er schon seit längerem nicht mehr gesehen. Gestern hatte er den ganzen Tag damit verbracht, ihnen am Talrand aufzulauern, indem er sich dort so gut er konnte im Unterholz versteckt hielt. Aber sie kamen nicht mehr zum Trinken an den gleichen Platz. Wie es schien, ahnten sie die feindliche Präsenz des Jägers, oder vielleicht war es auch die fremde Witterung des handzahmen Lasttiers, die sie aus ihrem angestammten Revier vertrieb, oder womöglich beides zusammen. Er würde sehen. Wenn er die Talweide einige Tage lang mied, und sie kämen zurück, dann wüßte er daß nicht das Maultier ihr Grund war, sich fernzuhalten.

      Hadhuin hatte nicht die geringste Ahnung vom Jagen, er würde es sich mühsam selbst beibringen, alles dazu notwendige Wissen durch blinden Versuch erwerben müssen. Auch im Bogenschießen hatte er keinerlei Erfahrung. Er wollte seine wenigen Pfeile