Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Kurtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187104
Скачать книгу

      Und dann, eines Morgens, sah ich die Natter.

      Sie floh wie von Sinnen, aber nicht vor mir, sondern kam im Gegenteil auf mich zu. Sie kreuzte meinen Weg genau vor meinen Füßen, wand sich der aufgehenden Sonne entgegen, und sah mich entweder nicht, oder, was wahrscheinlicher ist, die Furcht vor dem was sie trieb war größer. Ich folgte ihr und stellte fest, daß ihr Weg pfeilgerade von einem nordwestlich gelegenen Punkt wegführte. Für mich endete er am Flußufer. Für die Viper hingegen nicht, sie stürzte sich geradewegs ins Wasser und schwamm auf das andere Ufer zu.

      Unverzüglich kehrte ich dem Bhréandyr den Rücken, denn von jetzt an wußte ich genau, in welcher Richtung ich dich zu suchen hatte. Unterwegs vergewisserte ich mich noch mehrmals, und bei den Säulen der Unterwelt! wenn ich es der Natter gleichtat und mich flach auf den Boden legte, warst du nicht zu überhören. Dabei war ich noch viele Meilen von den Bergen entfernt, von dem Ort, wo ich deine Wohnstätte vermutete, ganz zu schweigen.“

      „Jetzt bist du es nicht mehr.“

      „In der Tat nicht. Ich hoffe nur, der Weg hat sich gelohnt.“

      „Beschwerlicher als der nach Osten war er jedenfalls sicher nicht. Und außerdem nicht so weit. Aber sprich: was schürte in dir die Erwartung, von mir gerufen zu werden? So sagtest du doch, zu Beginn deiner Erzählung.“

      „Ich habe genug geredet, Faowgh!“ rief Faghnar zornig. „Was kann nach all dem noch von Belang sein: unsichtbare Wesen aus dem Wald, die menschliches Besitztum, Straßen und urbar gemachte Erde scheuen, aber umgekehrt jeden massakrieren, der sich bei Mond in die Wildnis wagt.... sprach ich nicht schon deutlich genug? Unzählige Geschlechter kamen und gingen seit der Zeit der Eroberung. Die Vandrimar von heute sind nicht ihre Urahnen, denen allein sie zu verdanken haben, daß sie hier geboren sind. Sie sind unschuldig an ihren Taten. Warum sollen sie dafür büßen? Was ist das für eine Rache, die den Nachkommen trifft statt den Täter?“

      Faowgh verzögerte die Antwort um wenige Augenblicke und hob so die Bedeutsamkeit seiner Worte hervor:

      „Du sprichst also von Tätern, Rakhmyr, von Buße sprichst du und Rache. Nichts bleibt unvergolten, du weißt es selbst, das Schlechte sowenig wie das Gute. Notfalls zahlt einer an des anderen statt. Und wieviel Zeit auch vergehen mag, alles wird früher oder später beglichen. Auf die Unschuld der Urenkel pochst du. So vernimm: nicht weniger schuldlos waren die, die einst unter den Schwertern der Vandrimar fielen!“

      Faghnar schloß die Augen und ließ das Kinn auf die Brust sinken, die Finger um den knorrigen, zwischen die Knie gestellten Stab herum geschlungen. Eine Weile verharrte er regungslos, scheinbar ohne zu atmen.

      Dann hob ein ungeheurer Seufzer seine Brust. Aber die Heftigkeit, mit der er die eingesogene Luft wieder von sich stieß, verkündete eine aus Ingrimm und endgültiger Gewißheit geschweißte Haltung: Entschlossenheit. Nüchtern, kalt und unbezwingbar wie ein Fels, entsprang sie seiner Einsicht in den unabänderlichen Lauf der Dinge. Als er die Augen wieder öffnete, ließ er den Blick scheinbar ins Leere gleiten. In Wirklichkeit hielt er ihn über Faowhgs Rücken hinweg auf einen Schatten gerichtet, der ihm eine Vertiefung in der gegenüberliegenden Felswand anzeigte.

      „So sei es denn!“ verkündete er schließlich mit verhärteter Miene. „Aber ich warne dich, Faowgh: in diesem Fall wäre es von deiner Seite aus klüger gewesen, mich über die Ursache der Morde wie auch deinen genauen Aufenthaltsort im Ungewissen zu lassen.“

      „Vergeltung“, entgegnete Faowgh, „wahre Vergeltung gibt es nur dann, wenn sie als solche erkannt wird. Wenn die Vandrimar selbst auch niemals erfahren, wofür sie büßen: du weißt es an ihrer Stelle. Du, der du dich rühmst, ihre Geschicke zu lenken und ihr Beschützer zu sein.“

      „Ich darf annehmen daß, was ich bisher gesehen habe, erst der Anfang war?“

      Unverändert starrte die schwarze Pupille aus der Glut des Augenballs zurück. Die spitz zulaufenden Zähne des Drachen ragten wie eine Reihe aufgerichteter Speere aus dem gewaltigen Kiefer. Das Sprechen war von keinerlei Bewegung oder Mienenspiel begleitet, denn Faowghs Stimme kam tief aus seinem Inneren:

      „Ich hüte das Tor nach Ardhirunai, wie du weißt. Nicht von dort nach hier, wohl aber von hier nach dort. In diese Richtung war das Tor nur einmal geöffnet, lange genug, um jeden Laeghmar einzulassen, der dies begehrte. Wer sich innerhalb jener Frist nicht zum Gehen entschloß, mußte für immer diesseits bleiben. Aber unter den letzten die gingen waren viele, für die es bereits zu spät war. Sie finden keine Ruhe mehr in Ardhirunai. Ihretwegen bleibt die Pforte geöffnet, aber nur für den Weg herüber. Nach und nach kommen sie zurück. Bald werden die letzten hindurch sein; dann wird das Tor geschlossen, und für immer.“

      „Was ist es, das diese Unglücklichen umtreibt?“

      „Einzig der Wunsch nach Vergeltung, Rakhmyr. Nenn es Rachedurst, wenn du willst. All das vergossene Blut, es schreit noch immer zu ihnen. Selbst dort drüben können sie seinem Ruf nicht mehr entkommen. Unglückliche nennst du sie, und zu Recht, denn kaum daß sie wieder hier sind, quält sie die Sehnsucht nach ihrer eigentlichen Welt, deren Zutritt ihnen nun auf immer verwehrt bleibt. Für sie, die bereits in ihrem Licht gewandelt sind, gibt es nur eines womit sie den Schmerz ihrer Zerrissenheit betäuben können: unerbittliche und grausame Vollstreckung der Rache ihres Volkes. Und wie du schon sagtest, Rakhmyr: ihr Blutgericht hat gerade erst seinen Anfang genommen!“

      „Und nur ihretwegen hütest du das Tor“, mutmaßte Faghnar.

      „Ja, denn für sie ist in Ardhirunai kein Platz. Sie trafen ihre Wahl zu spät.“

      „Werden sie jemals zur Ruhe kommen?“

      „Vielleicht, daß der Tod sie erlösen kann, wenn auch der letzte Blutstropfen vergolten ist. In Ardhirunai aber finden sie nie mehr Einlaß, denn Ardhirunai gehört den Lebenden. Ein Laeghmar, der von dort wieder herübergekommen ist, führt über die ihm zubemessene Lebensspanne hinaus sein Dasein weiter – als Untoter! Sein Sinn wird allein vom Wunsch nach Vergeltung beherrscht. So sehr, daß der Körper die eigene Vergänglichkeit überwindet.“

      „Der Leib bleibt immer eine sterbliche Hülle“, widersprach Faghnar; „Was, wenn jemand....“

      „....ihn trotz allem tötet? Dann irrt die Seele so lange umher, bis sie einen anderen gefunden hat. Und glaub mir, sie wird einen finden; das Unheil wird also eher noch vergrößert. Aber dazu kann es schwerlich kommen, denn die Untoten sind, wenngleich aller Vernunft und Einsicht beraubt, im Gebrauch ihrer Sinne und an Kampfgeist jedem anderen Wesen weit überlegen.“

      „Sogar den Göttern?“

      „Was fragst du mich, statt dich selbst an ihnen zu erproben!?“

      „Oh, ich hätte es längst getan, wenn die Bastarde mich nur ließen. Den ganzen Weg von den Fischern bis zur Hütte des Köhlers, und von dort nach Kadhlynaegh, hätten sie mir Gelegenheit geben können. Oft genug wandelte ich in meiner menschlichen Gestalt unter dem Mond durch tiefste Wildnis, unwissend zunächst, nur von einer leisen Ahnung begleitet, spätestens nach dem Besuch beim Köhler aber absichtlich. Seine Warnung befolgte ich nur zu Beginn, um zu sehen, ob die mörderischen Wesen vielleicht wirklich versuchen würden, mich in Gestalt einer Nymphe vom Weg abzubringen; nachdem nichts dergleichen geschah, und sie mir auch in sonst keiner Weise aufzulauern schienen, schlug ich mich bei Mond meistens quer durch den Wald. Aber wie ich es auch anstellen mochte: keine blutrünstige Bestie stellte sich mir in den Weg, oder kam mir auch nur entfernt unter die Augen.“

      „Natürlich meiden sie dich. Sie besitzen ebenso wie du die Gabe, Ghléan für sich spähen zu lassen. An Schärfe steht ihr Blick dem deinen in nichts nach, so wenig wie deine wahre Natur ihnen verborgen bleibt. Was sollten sie dir auflauern, da sie dich schon nicht töten können?“

      „Es stimmt, was du sagtest: ich habe es mit einem gewitzten Gegner zu tun, so umsichtig wie trügerisch und hinterhältig.“

      „Der Dieb und der Meuchler, wie gut sie einander doch kennen!“

      „Das ist für den Dieb nun wirklich nicht schwer: er weiß, nach