Ich hatte sie gefragt: „Verzeihst du mir jemals diesen Abend?“
Sie neigte ihren Kopf zu mir und sah mit ihren graublauen Edelsteinen in meine Augen: „Sag mir bitte ehrlich, warum du all das heute getan hast.“
Dafür musste ich nicht lange nachdenken: „Ich liebe dich.“
Dann fluteten ihre Augen Tränen und ihr Kopf wollte dies ungläubig verneinen. Mit meiner rechten Hand hielt ich streichelnd ihre Wange fest. Die Bescheidenheit dieser unglaublichen Frau entwaffnete mich und nun hoffte ich nur, dass sie mir über den Weg traute.
„Mehr konnte ich nicht für dich tun. Wenn du mich nicht mehr magst, muss ich damit leben. Aber ich habe alles riskiert, dich ganz zu bekommen. Blumen, Champagner oder Pralinen werten mein Versagen bei weitem nicht auf“, flüsterte ich ihr zu.
Warum bewegt sie sich nur so anmutig? Himmel noch eins, diese Frau macht mich fertig.
„Danke, George. Einfach und ehrlich gemeint“, flüsterte sie mir zu, ohne die Stirn zu runzeln.
Dann drückte sie sich aus meinem Arm. Ich sollte Samantha nicht aufhalten. Sie drehte sich um. Mir hatten derweil alle Nerven den Streik angekündigt, wenn das hier schiefgehen sollte. Dann schwang sie beide Arme um meinen Hals, zwei Lippen berührten mich stürmisch und ein Wohlsein beruhigte dieses flaue Gefühl. Schließlich öffnete ich meine Lippen und leckte zärtlich die ihren, was Samantha ebenso sanft erwiderte. Wir küssten uns. Wahnsinnig laut summten meine Knie, dann mein Rücken und letztlich kribbelte mein Kopf.
„Mein Nasenbär!“, hörte ich sie flöten, nachdem sie aufgehört hatte, mich zu küssen.
Bedauernswert fand ich die Kürze schon. Stattdessen sahen wir uns in die Augen. Lächelnd umschlang sie meine Hüften und betrachtete intensiv mein Gesicht. Es kam mir vor, als zählte diese Berlinerin jede Pore und jedes Haar. Sie presste sich an mich und sah zu mir auf.
Mein fragender Blick nervte sie anscheinend: „Ach George, ob ich dir restlos verzeihe, kann ich dir noch nicht sagen. Zumindest bist du ehrlich, witzig und verdammt lieb. Wann kam dir der Gedanke?“
„Am Dienstag plante ich das alles final. Ich brauche dich doch, um neu anzufangen. Und mein Leben ist verdammt anstrengend. Ich wollte es für uns und dich besser machen“, hatte ich gesagt.
Seltsamerweise entglitt ihr der niedliche Ausdruck im Gesicht. Irgendwas hatte ich mal wieder falsch gemeint. Also setzte ich mein strahlendes Lächeln auf und nickte. Kurz verspannte Samantha sich, doch nach ein oder zwei stillen Momenten fand sie zurück.
„Ich liebe dich auch, mein Nasenbär. Lass uns den Abend beenden, denn ich bin total fertig.“
Letztlich hatte ich mir eingestanden, dass sie mir Respekt gezollt und mich nicht weggestoßen hatte. Beide Daumen auf meinen Wangenknochen schubsten meine Gefühlswelt in die heiße Sonne. Magnetisch angezogen schwebten unsere Münder noch einmal aufeinander zu. Gierig öffnete ich meinen Mund. Manchmal sind Fortsetzungen viel besser, hoffte ich. Unsere Zungen berührten sich und entzündeten die Leidenschaft erneut in mir. Eine kleine ewige Glückseligkeit brummte ich genüsslich.
Nun war ich gezwungen, unsere Zweisamkeit zu beenden: „Ich finde es schade, dass wir aufhören müssen. Ich würde noch … “
Tief atmete ich noch einmal ein. Die Sehnsucht nach ihr fraß mich fast auf. Doch das ginge in unserer Situation einfach zu weit.
Ich: „Vielleicht morgen fortfahren?“
Kaum einen Schritt von ihr entfernt, übertünchte ich meinen Wunsch nach mehr mit einem kleinen Freudentanz.
„Versprechen eingelöst!“, übertönte mein Gedanke den Verkehr hinter mir.
Dem nächsten Morgen schritt erst eine angeregte Nacht voran, gefüllt mit Analyse und der Hoffnung auf mehr Sammy. Ja diesen Kosenamen mochte ich nun. Er klang gar nicht mehr so männlich. Ein wundervolles Klingeln meines Smartphones färbte meine Gedanken bunter, machte mich fröhlicher und generell übertünchte es diese Einsamkeit des Hotelzimmers. Samantha anzurufen schärfte alle Sinne. Endlich nahm sie ab.
„Sammy, meine Sonne. Guten Morgen“, sagte ich sanft.
„George? George“, klang erst nach Abwehr, dann nach gerade erwacht.
„Ja, der Nasenbär weckt dich“, zog ich sie etwas auf.
Ein zustimmendes „Hmm“ beruhigte mich, dass sie mir andächtig lauschte. Aber es hörte sich nach einer unbewussten Unstimmigkeit an. Hoffentlich hatte ich meine Kleine gestern Abend nicht verärgert. Vergeblich versuchte ich, gestern diesen Ausbruch meinerseits zu unterdrücken, jedoch ohne Erfolg. Ich war kurz davor, wie ein Junge, mich lächerlich zu benehmen. Mit beinahe fünfzig Jahren.
Also ließ ich ihr eine kleine Verschnaufpause, indem ich einen offenen Punkt ansprach: „Deine Operation war einem Gewaltverbrechen geschuldet?“
Samantha dachte anscheinend nach. Ihre Pause deutete auf meine korrekte Deduktion hin. Versunken in ihre Gedankenwelt, vernahm ich ihr Atmen. Ruhig bleiben half hier hoffentlich mehr.
„George, wie kommst du denn früh am Morgen auf so etwas? Gnarf! Ich brauche kein Mitleid, hörst du? Denn es lässt sich nichts ändern. Und bemitleidet habe ich mich selbst schon viel zu oft“, raunte mir Samantha ein wenig unwirsch entgegen.
Nein, ich erwiderte nichts, sondern hörte nur zu. Endlich verstand ich ihre Art, mit dem dunklen Geheimnis umzugehen. Ihre seltsamen Verhaltensweisen erklärten mir, dass Samantha Willer kämpfte, ihren Schmerz zu verbergen. Das war wesentlich englischer, als die meisten Vaterländler sich gaben. Ich dachte mir schon, dass wir in einigen Punkten Gemeinsamkeiten hatten. Aber das? Halleluja.
„Ach George, ob ich jemals frei darüber reden werden kann, steht in den Sternen. Vielleicht kam eben der Zeitpunkt gestern genau richtig, einen nächsten Schritt zu machen. Oder ich habe mich dir vor die Füße geworfen. Keine Ahnung“, philosophierte sie immer noch nur halb wach.
Oh, vorsichtig fragte ich eher, als es zu sagen: „Aber alles, was ich wollte, war, dich zu befreien. Es trieb mich dazu, dich zu beschützen. Deine Qual ertrug ich nicht. Du hast bei mir etwas gut. Etwas Großes, ja?“
„Ach du. Wie hast du das eigentlich gedreht?“, stotterte Samantha auf der anderen Seite und wartete gespannt.
Wenn sie mich jetzt grinsen sehen könnte, würde sie dahinschmelzen.
Nach einer gewollten Pause: „Du hattest einen Verhandlungsklassiker der Zuspitzung und Entspannung erlebt. Hoffentlich verzeiht mir deine Familie jemals meinen Auftritt.“
„Meine Mama liebt dich mit Haut und Haaren. So stolz, wie sie war. Gemeinsam lachen und weinen verbindet, also hast du meine Schwester und ihren Mann auch auf deiner Seite. Keine Ahnung wie es um meinen Vater bestellt ist“, klang doch schon sehr viel aufgeweckter.
Ohne weiter nachgedacht zuhaben, sagte ich: „Schritt für Schritt. Gut fühlen, ist etwas anderes. Immerhin bist du nun von diesem Geheimnis befreit. Wie hätte ich das meinen Kindern beibringen sollen? Sogar der Anruf passte perfekt ins Timing.“
Die Stille am anderen Ende beendete Samantha dann: „Du hast das veranlasst? George, du bist echt ein böser Junge. Wie schaffe ich es jemals, dich zu verstehen?“
Auf