Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 2. Vicky Lines. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vicky Lines
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746796208
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und total komische Haggerthon-Tochter. Egal was es ist, ich verkrafte das schon.“

      Er begann zu grinsen, nickte mit dem Kopf und hielt mir seine Hand hin. Dann holte er Luft und hörte auf, mit den Fingern auf der Sessellehne Kreise zu zeichnen. Gleich darauf drehte er sich frontal zu mir. Manchmal ängstigte mich dieser riesige Mann wirklich. Trotz seines Alters konnte er mich tragen, was ich mitunter urkomisch fand, mich aber auch beeindruckte.

      „Livi, meine Süße, morgen fliege ich nach Berlin, um Samantha zurückzuerobern. Leider weiß ich nicht, wie ich es anstellen soll“, teilte er mir seine Sorgen mit.

      Perplex dachte ich erst darüber nach, ob ich träumte oder ein Wunschdenken mir etwas vorgaukelte. Wusste er wirklich nicht, wie er sie zurückerobern sollte? Seine Augen blickten mich erwartungsvoll an. Kurz dachte ich nach, dann erinnerte ich mich an meine Geschichten, die ich gelesen hatte und an Samantha.

      „Einfach alles tun, was dich berührt. Samantha ist doch intelligent und sah nicht danach aus, auf Etikette pochen zu müssen. Oder liege ich etwa falsch?“, sprudelte es aus mir heraus.

      Dann fragte mein Dad unsicher: „Blumen, Konfekt oder Champagner? Am besten alles, oder?“

      Pikiert ranzte ich ihn an: „Hää? Bist du ein Klon oder wirklich mein Vater? Also was tat sie für uns?“

      Mein Vater zuckte mit den Schultern, was mich vollkommen schockierte. So blind konnte er doch nicht gewesen sein.

      Musste ich ihm das also wirklich in Erinnerung rufen: „Sie ist für uns da gewesen und wollte dir helfen. Also vergiss mal solche blöden Geschenke. Und woher willst du wissen, was sie mag?“

      „Du hast das auch so gesehen?“, tippte er sich mit seinem linken Zeigefinger bedächtig auf seine Lippen.

      Oh nein, Männer sind manchmal wirklich nicht zu beneiden. Solch eine Blindheit hab ich in unserer Familie noch nicht erlebt. Vielleicht bedeutet das ja Verliebtsein.

      Mist, dann will ich lieber nicht verliebt sein.

      Konnte aber auch auf Vitaminmangel hindeuten. Besser erst einmal langsam vortasten.

      „Geht es dir gut? Hast du gut gegessen?“, erntete ich auf meine Frage ein erstauntes Nicken.

      „Besoffen bist du auch nicht?“, war gar keine gute Frage, weil die Nase vom Lord George versuchte, abzuheben.

      Achseln und Arme hebend, versuchte ich, auf unschuldig zu machen und fragte ganz vorsichtig: „Verliebt?“

      Kurz zuckte ich zusammen, weil dieser Lulatsch aufsprang, sich wegdrehte und kurz auf und ab lief, aber letztlich mich breit grinsend ansah: „Oh je, ich glaube schon!“

      Erschrocken aber auch erleichtert fügte ich meiner Vermutung schnell hinzu: „Au Backe! Also zuerst tu das, was dein Herz dir sagt, sobald Samantha in deiner Nähe ist. Bitte, bitte, drehe nicht durch und behalte deinen Kopf da oben, okay?“

       Verliebter Dad in Berlin, wer weiß, wie das enden wird.

      Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass Samantha ihn dazu bringt, um sie zu kämpfen. Hoffentlich baute er keinen Blödsinn, wie die Jungs in unserer Schule. Mir kamen Bilder von Gefängnissen in den Sinn, weil diese Streiche und gegenseitigen Mutproben sehr unsinnig gewesen waren, die ich beobachten musste. Wenn so ein Junge schon solch ein grenzwertiges Verhalten zeigte, welches Schauspiel bot wohl so ein riesiger verliebter Mann dann? Fand ich das eigentlich gut, was ich ihm riet?

      „Das werde ich tun. Ein wenig kenne ich Samantha schon. Und ich werde es nutzen müssen. Meinst du, ihr drei Musketierchen steht zu ihr?“, wollte Dad mich aushorchen.

      Da drängelte sich wieder diese eine Frage auf, die ich gleich meinen Dad entgegenschleuderte: „Warum ich? Warum fragst du mich?“

      Genau in diesem Augenblick erstrahlte sein ganzes Gesicht und er sagte ganz ruhig: „Weil du deiner Mum am ähnlichsten bist. So einfach ist es. Und damit, ahne ich, was ich tun muss. Danke, Braunlöckchen.“

      Kurz umarmte er mich. Doch ich hatte genug von dieser Besorgnis uns drei betreffend, seiner Unwissenheit für seine Gefühle und schob ihn aus meinem Zimmer. Er lachte, steckte mich damit an und so endete einer der krassesten Dialoge zwischen meinem Vater und mir. Seine letzte Antwort hatte mich erstaunlicherweise glücklich gemacht. Doch kurz darauf bekam ich eine Nachricht. Diese Nachricht holte mich zurück in die Wirklichkeit.

      Jenny tat mir langsam ein wenig leid. Ihre Stille rührte bestimmt von ihren letzten Erlebnissen. Stellte ich mir schrecklich vor. Trotzdem grübelte ich immer noch über all die seltsamen Geheimnisse nach. Diese blöden Mobber samt der abgefahrenen Superheldin und dann noch Samantha. Erst stand die Welt still und nun rast sie irgendwohin. Normalerweise würde ich mich zurückziehen und mich verstecken. Jedoch packte mich Neugier und eine Art Ungeduld. Hoffentlich sind das nicht die ersten Anzeichen von Pubertät. Na gut, ich sollte Dad anrufen, sobald er uns eine Nachricht über seine Ankunft geschickt hatte. Klang nach einem von Dads abstrusen Plänen, die mitunter vollkommen abwegig schienen und doch funktionierten. Oft erzählte Jason aus den guten alten Zeiten, als mein Vater noch immer verliebt in meine Mum, ihr immer wieder mit heimlichen Plänen seine Zuneigung bewiesen hatte. Klar gab es die üblichen Vorhaben, aber einige müssen doch ganz schon schräg gewesen sein. Mein kleines Tagebuch nutzend notierte ich mir diese Frage für einen späteren Zeitpunkt.

      Gestern bemerkte ich unten im Eingangsbereich diverse Einkaufstüten aus der Stadt, also echt teure Klamotten. Zuerst dachte ich an Jenny, doch die zuckte vollkommen unschuldig mit ihren Schultern, was sehr selten in den letzten Monaten vorkam. Diesmal nahm ich diese richtig positive Unwissenheit meiner älteren Schwester anstandslos ab. Langsam fanden wir beide wieder zueinander. Doch ihre Neugier konnte auch darauf basieren, zu hoffen, dass der Inhalt vielleicht für sie erworben worden war. Als Trostgeschenk konnte ich ihre Hoffnung durchaus nachvollziehen. So komisch war meine Schwester eigentlich gar nicht, nur etwas vom Weg abgekommen. Bestimmt wegen dieser Pubertät. Noch solch seltsames biologische Zeugs, was ich versuchen sollte, zu umgehen. Weiträumig. Und wenn ich nur ein Licht für sie hochhalten musste, damit Jenny zurück zu uns käme, dann würde ich das gerne auch viel länger tun. Ohne Jenny stürbe ich öfter aus Langeweile.

      Doch jetzt hatte ich für diese Erinnerungen an gestern keinen Nerv mehr. Dad war längst nach Berlin abgereist, da brach bei Jenny die Enttäuschung aus, weil die Tüten nicht für sie bestimmt gewesen waren. Meine Ungeduld nervte mich selbst enorm. Kaum war ich im Wohnzimmer, betrachtete mich Jenny entspannt und mit einem gespielten Lächeln. Besser als die übliche Masche, bei der ich sie bemitleiden sollte. Und dann summte das Mobilteil. Jenny schaute aufs Display und runzelte ihre Stirn.

      Sie fragte mich verwirrt: „Geronimo?“

      „Ja, Dads Codewort. Darf ich mal? Muss ihn zurückrufen“, sagte ich gerade heraus und Jenny lächelte mir verunsichert zu.

      Überraschte sie mich erneut, weil sie nicht einmal nachfragte, sondern mir das Mobilteil wortlos aushändigte. Es geschehen manchmal wirklich seltsame Dinge in dieser Welt. Schnell rief ich Dad an. Es dauerte ein wenig länger, bis es klingelte. Nebenbei bemerkte ich, dass sich Jenny aufrecht und aufmerksam hinsetzte. Aha, jemand nahm ab. Meine Schwester verlor leider ihre grenzenlose Neugier nicht.

      „Hallo, hier ist Samantha. Wer ist denn da auf der anderen Seite?“, fragte mich eine vertraute Stimme auf Englisch.

      Woraufhin ich breit grinsend antwortete: „Hi, Samantha. Olivia ist dran. Bist du okay?“

      Jenny begann mit offenem Mund, dem Gespräch zu lauschen und wollte anscheinend, dass ich die Freisprechfunktion anschalte.

       „Ja, ich bin okay. Wie geht es dir, Olivia? Vermisst du deinen Dad?“


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