Desiderius sprang kopfüber mit den Armen voran in das Wasser. Er tauchte tief ein, da der Grund einen gewaltigen Knicks machte und tief im Erdboden versank. Desiderius folgte dem Bodenverlauf, tauchte immer tiefer und spürte an seinen strammen Muskeln, wie das Wasser immer kälter wurde, je tiefer er gelangte.
Es war dunkel dort unten, und er konnte kaum etwas erkennen. Als ihm langsam die Luft ausblieb, sah er sich gezwungen, zurück an die Wasseroberfläche zu schwimmen. Erst da bemerkte er, wie lange er getaucht war, denn es dauerte eine Weile, bis er durch die Oberfläche brach und Luft holen konnte.
Glücklich atmete er aus und schwamm einige Züge rückwärts. Er mochte das Gefühl der Schwerelosigkeit. So stellte er sich fliegen vor. Leicht und befreiend. Er genoss auch die Erfrischung am Morgen. Liebte das Gefühl kühler Nässe, die seinen Körper umschloss und sich anschmiegte wie ein anhänglicher Liebhaber nach gemeinsamen Stunden der geteilten Leidenschaft.
Bei dem Stichwort ›anhänglicher Liebhaber‹ wanderten seine Gedanken während des Schwimmens unmittelbar zu Prinz Wexmell.
Schmunzelnd erinnerte sich Desiderius daran, wie schüchtern und zurückhaltend dessen Berührungen waren. Wie ungeschickt, aber liebenswert er sich bei ihrem Liebesspiel verhalten hatte. Er erinnerte sich gern daran, wie der junge Prinz ein vorzeitiges Ende gefunden hatte, noch bevor Desiderius richtig begonnen hatte. Und er erinnerte sich, wie sie daraufhin beide erheitert aufgelacht haben, bevor er einfach weiter die Männlichkeit des anderen mit streichelnden Händen verwöhnt hatte, bis er wieder an Härte gewann.
Es war eine Nacht voller Erfüllung gewesen. Auf vielen Ebenen, wie er zugeben musste.
Er hatte sich bis dorthin lange nicht so belebt gefühlt. Befreit. Glücklich.
Desiderius erinnerte sich mit einem liebevollen Lächeln daran, wie sich der Körper unter ihm anspannte, versteifte und vor Anstrengung zitterte, als er das erste Mal in ihn eindrang.
Wexmell hatte auf dem Bauch gelegen und seine zarten Hände hatten sich in die Leinenlaken gekrallt. Erstickt hatte er hervorgepresst: »Es tut weh.«
»Nur am Anfang.« Desiderius hatte sich zu ihm hinunter gebeugt und die Lippen auf die Stelle zwischen seinen Schultern gedrückt. »Vertraut mir, ich werde Euch nicht verletzen.«
Und der Prinz hatte ihm vertraut. Kurz darauf waren wundervolle Wimmerlaute zu hören gewesen, aus Lust und unerwarteter Freude, nicht mehr aus Schmerz.
Der junge Prinz hatte es genossen und sein Keuchen war Musik in Desiderius’ Ohren. Jede Nacht hörte er noch das Stöhnen des Blonden, als lägen sie noch immer beisammen und wären nicht über viele Ländereien voneinander getrennt.
Er schloss die Augen, während er im Wasser trieb, und erinnerte sich an diese Nacht, die ihm in allen darauffolgenden Nächten die Einsamkeit und Kälte genommen hatte. Er erinnerte sich an heißen Atem, der seine Haut streifte. Finger, die ihn erkundeten. Lippen, die von ihm kosteten. Eine feuchte Zunge, die ihm Lust bereitete. Und er erinnerte sich daran, wie er in jener Nacht eingeschlafen war. Nackt zwischen zerwühltem Leinenstoff, den erhitzten Körper des jungen Prinzen im Arm, während er träge dessen Rücken mit den Fingerspitzen liebkoste und der Atem des Prinzen seine Brust streichelte.
Desiderius war nie mit einem anderen Mann im Arm eingeschlafen. Wenn er nicht ging, schlief er mit etwas Abstand zu dem Körper, der ihn zuvor beglückt hatte. Aber bei Wexmell war es anders gewesen. Er hatte nicht anders gekonnt, als ihn an sich zu ziehen. Der junge Prinz hatte dieses Antlitz, das Desiderius’ Herz höherschlagen und seine Augen leuchten ließ. Er war nicht in der Lage gewesen, dem kleinen Blonden das Herz zu brechen und das träge Lächeln auf dessen Gesicht verschwinden zu sehen, nur, weil er sich vor Nähe fürchtete. Also hatte er getan, was er auch hatte tun wollen, trotz seiner Angst. Nun war er vermutlich selbst daran schuld, dass der junge Prinz sich mehr erhoffte. Er hatte dem Blonden falsche Hoffnungen gemacht.
Es war nicht so, dass er ihn nicht haben wollte, es war mehr so, dass er einfach gelernt hatte, diesbezüglich nichts mehr zu erwarten.
Desiderius schüttelte die trüben Gedanken ab und tauchte wieder unter Wasser. Er schwamm durch das kühle Nass zurück in Richtung Ufer.
Als er auftauchte, brannte die Sonne auf ihn herab und verriet ihm, dass es bereits Mittag sein musste. Und wenn die Sonne ihm nicht sagte, dass es Zeit zur Abreise war, dann Bellzazar, der in voller Montur in der Nähe des Ufers stand und die Zügel der gesattelten Pferde in den Händen hielt. Er nickte Desiderius aus dem Wasser.
Ohne sich seiner Nacktheit zu schämen, watete Desiderius aus dem See und schüttelte sein Haar aus.
»Wir müssen weiter«, sagte Bellzazar mit einem Lächeln auf den Lippen.
Desiderius ging zu seinen Sachen und zog sich an, während er scherzte: »Wie, kein Frühstück?«
Für gewöhnlich ritt der Halbgott ungern mit leerem Magen weiter.
»Es ist zu spät für Frühstück«, erklärte Bellzazar. »Wir essen etwas, wenn wir an einem Gasthaus vorbeikommen.«
Desiderius nickte einverstanden. »Dann los.«
***
Dargard war die größte Stadt in ganz Nohva, die sich direkt am nördlichen Ufer des gleichnamigen Sees emporhob. Von weitem schon ein eindrucksvolles Gebilde aus einer Vielzahl verschiedensten Baukünsten. Sandsteinhäuser, die unter der warmen Sonne rotbräunlich schimmerten, reihten sich an Backsteinhäuser. Mal runde Dächer, mal flache, mal spitze Dächer. Stadtviertel mit kleinen Häusern, Stadtviertel mit runden Häusern, Stadtviertel mit Villen. Es schien, als würden hier nicht nur in fleischlicher Form alle Völker zusammentreffen, auch an den Häuser erkannte man die kulturelle Vielfalt, die schon seit Jahrtausenden in Dargard herrschte.
Das größte Gebäude befand sich in der Mitte der Stadt, direkt im Marktviertel. Eindrucksvoll streckte sich der dünne, spitze Turm der Kirche dem Himmel entgegen. Bunte Fenster glitzerten im Sonnenschein, und die Dachziegel des Satteldachs, der lächerlich großen Kirchenhalle, leuchteten orangebraun.
Und, soweit Desiderius wusste, befand sich der königliche Palast im südlichsten Teil, am Ende der Stadt, umringt von dem angeblich schönstem angelegten Garten Nohvas. Schwer bewacht und von hohen Mauern geschützt.
Desiderius selbst war noch nie im Königspalast gewesen, deshalb wusste er nicht, ob die Gerüchte wahr waren.
In Dargard war er schon Gast gewesen, deshalb beeindruckten ihn die roten Tore der Stadt nicht mehr sonderlich. Was ihn jedoch beeindruckte, war die Menge vieler verschiedener Völker, die sich die Straße entlang versammelten und ihn und seinen Reisegefährten neugierig betrachteten. Es war, als wären sie zwei Soldaten, die nach einem langen Krieg in die Heimat zurückkehrten und nun heldenhaft begrüßt wurden.
Seite an Seite ritten Bellzazar und Desiderius die breite Straße entlang, unter den neugierigen und teils auch erfreuten Blicken der Stadtbewohner. Die Hufe ihrer Rösser klackerten laut auf dem gepflasterten Stein der sauberen Straße, und warmer Wind durchwehte sein dunkles Haar.
Unsicher blickte Desiderius sich um, ihm behagte es nicht, dass man sie beide so genau beobachtete.
»Ihr müsst es Ihnen nachsehen«, flüsterte Bellzazar ihm schmunzelnd zu. »Das gemeine Volk sieht meinesgleichen nur recht selten. Sie sehen nicht allzu oft einen Halbgott. Und dann auch noch einen so gutaussehenden.«
Desiderius schnaubte belustigt. »Ihr seid wirklich keineswegs bescheiden.«
»Sollte ich?«
Desiderius schüttelte gleichgültig seinen Kopf. »Macht, was immer Ihr wollt.«
»Wenn ich könnte, würde ich«, gab Bellzazar zurück. »Ich habe Jahrtausende nur nach meinem eigenen Willen gelebt, aber was hat es mir gebracht?«
»Ein sehr langes Leben?«, scherzte Desiderius.
»Ich