Vaughn lachte, Amdegh machte ein betroffenes Gesicht und der Marsch wurde ohne weitere Pause fortgesetzt. Erst gegen Abend machten sie Rast.
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Jotan lies die jungen Männer Feuerholz sammeln, nahm etwas Zunder aus dem Reisesack und entzündete das Feuer.
Amdegh holte mit einem kleinen Kessel, den er bei sich trug, etwas Wasser aus einem nahegelegenen Bach, setzte diesen in das Feuer und streute ein paar getrocknete Rübenstücke, Löwenzahn- und Brennnesselblätter hinein.
„Da merkt man, dass Du mit Deinem Magen denkst,“ bemerkte Jotan und die jungen Männer lachten – mit Ausnahme von Amdegh, der böse unter seinen roten Locken hervorblickte, die ihm ins Gesicht hingen, obwohl er sich bemühte, sie auf seinem Rücken zu bändigen.
„Warum lacht Ihr?“ fragte Jotan. „Das ist ein Mann fürs Praktische. Was kannst Du sonst noch? Außer kochen.“
„Man sagt ich wäre ein guter Zimmermann. Ich kann dazu nichts sagen, ich nehme halt mein Werkzeug und baue, was und wie ich es mir vorstelle. Meistens funktioniert es. Den Wanderstock habe ich mir selbst über dem Feuer zurechtgebogen.,“ antwortete Amdegh und wies auf einen mehrfach in sich gedrehten Wanderstock, der ihm bis zur Brust ging.
„Gut!“ meinte Jotan anerkennend, „Ein handwerklich begabter Mensch!“
„Und was könnt Ihr so alles?“ fragte er in die Runde.
Lugh antwortete an Stelle von Vaughn, der so etwas die der Wortführer geworden war: „Vaughn kämpft mit zwei Schwertern und trifft mit seinem Dolch sein Ziel auf zehn Schritt Entfernung. Finnian und Ryen sind gute Jäger und treffen mit ihren Pfeilen immer ihr Ziel. Beide kämpfen mit der Schleuder, Finnian mit dem Speer und dem Schwert, Ryen mit der Axt. Ich selbst bin ein guter Fährtenleser und wenn Ihr das Feuer nicht gemacht hättet, so hätte ich diese Arbeit übernommen. Auch beherrsche ich die Schleuder und wenn Ihr Euch meinen 'Wanderstab' anseht, dann werdet Ihr feststellen, dass er so lang, so glatt und so stark ist, wie Eurer.“
„Gut!“ wiederholte sich Jotan. „Dann verfügen wir über die gleichen Kampfkenntnisse. Ich denke, von mir habt Ihr schon das Eine oder Andere gehört, manches davon wird der Wahrheit entsprechen, vieles ist wahrscheinlich eher übertrieben. In meinem Leben habe ich schon so Einiges erlebt und getan. Ich war schon mal im Land der Etrusker, die sich selbst Rasenna nennen, der Latiner und der Sabiner, und auch die Städte Veji und Rom habe ich schon einmal besucht, aber so weit führt uns unser Weg nicht. Haltet Euch an das, was ich sage und wir kommen gut miteinander aus. Was ich weiß, will ich gern an Euch weitergeben.“
Dann stand er auf und bat Lugh: „Gib mir doch bitte mal Deinen Kampfstab.“
Dieser reichte Jotan das gewünschte und der Seher wirbelte den schweren Stab mit einer Leichtigkeit durch die Luft, als wäre er nur ein dünnes Stöckchen.
Zum Schluss gab er Lugh die Waffe zurück und setzte sich wieder: „Eine gute Waffe – liegt gut in der Hand,“ bemerkte er noch anerkennend. Lugh dankte mit einem Nicken, die kurz geschorenen braunen Haare waren ein Kontrast zu den sonst langhaarigen Mähnen, seiner Begleiter.
Die jungen Männer blickten den Alten ehrfurchtsvoll an und begannen zu essen.
Während des Essens sah Jotan in Vaughns Gesicht, dachte an seine letzten Visionen und lächelte.
Nach einer Weile begann Jotan weiter zu erklären:
„Man sagt, ich könnte die Zukunft voraussehen, aber das stimmt nicht. Hin und wieder träume ich und dann geschehen diese Dinge wirklich. Manche nennen das einen Segen, aber für mich ist es ein Fluch! Ich erkenne aus den Gegebenheiten meiner Umgebung, was vermutlich als nächstes passiert und meistens habe ich damit recht. Haltet Eure Augen und Ohren offen und zieht Eure Rückschlüsse daraus, dann lehrt Euch die Erfahrung, wann Ihr richtig liegt und wann falsch.“
Jotan erhob sich und die jungen Männer schauten ihn erstaunt an.
„Und jetzt, meine jungen Krieger, werde ich das tun, was jeder Mensch nach einem Essen tun muss. Danach lege ich mich schlafen und Ihr solltest dasselbe tun. Morgen liegt wieder ein langer Marsch vor uns und am Abend werden wir die ersten Berge erreichen.“
Damit drehte er sich um und verschwand hinter ein paar Büschen.
Lugh sah seine Gefährten an: „Und? Was habe ich Euch gesagt? Er ist eigentlich ein ganz normaler Mensch, der einfach etwas mehr kann, als die Meisten!“
Die anderen nickten, aßen zu Ende, machten ihr Geschirr sauber und legten sich ebenfalls zur Ruhe.
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Die Kundschafter waren zuerst drei Tage nach Süden gewandert und kamen den hohen, schneebedeckten Bergen immer näher.
Als sie dem höchsten unter ihnen bis auf einen halben Tagesmarsch erreicht hatten, schwenkten sie strickt nach Süden ein, so dass sie diesen Block aus Eis und Fels links liegen ließen. Den dort liegenden Pass konnten sie problemlos überschreiten.
„Dort unten im Tal marschiert es sich leichter,“ hatte Jotan erklärt und vor dem ersten Herbststurm hatten sie bereits ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht.
Damit sie den Weg auch wieder zurückfinden würden, hinterließen sie Wegmarken indem sie Äste und Steine stapelten oder Hinweise in Felsen ritzten. Bei der Wahl der Wege achteten sie darauf, dass diese notfalls auch mit einem Wagen zu passieren waren, in jedem Fall aber mit den Weidetieren, die noch im Lager des Brennos waren.
Am vierten Tag teilte sich das Tal einmal nach Osten und einmal nach Süden. Nach Südosten hin richtete sich ein schneebedeckter Berg auf, dessen Sockel mit dichten Nadelwäldern bedeckt war. Im Westen richteten sich steil die nächsten Felsformationen auf, deren Spitzen ebenfalls mit Eis und Schnee bedeckt waren.
Vaughn wollte von Jotan wissen, woher er den Weg kannte, da dieser direkt auf den dichten Wald zu hielt.
„Als ich vor einigen Jahren zuletzt hier war, kam ich von dort unten,“ und deutete nach Süden. „Dort gibt es einen kleinen Fluss, der in diesem Wald entspringt und etwas weiter einen kleinen See speist. Die dort lebenden Helvetier sollten mich noch kennen, denn ich half dem jüngsten Sohn des damaligen Häuptlings, das Licht der Welt zu erblicken.“
Vaughn schüttelte lachend den Kopf und bekam einen Stoß in die Rippen von Amdegh: „Immer eine kurze und konkrete Antwort parat! Warum seid Ihr eigentlich nicht zum Brennos gewählt worden?“
„Weil mir das notwendige Verhandlungsgeschick fehlt und ich zu ungeduldig bin, um Menschen zu führen. Rango ist da eine wesentlich bessere Wahl,“ erklärte Jotan lächelnd weiter, während er schon fast im Wald verschwand. Und so beeilten sich seine Gefährten, nicht den Anschluss zu verlieren.
Als sie den Wald bereits fast durchschritten hatten, spürte Jotan eine gewisse Unruhe, aber nur der Hund stellte plötzlich die Ohren und knurrte.
„Ruhig, Großer!“ beruhigte ihn Jotan, aber dann hörte auch er das Geräusch und schrie: „Schnell nach links den Berg hoch, sonst sitzen wir in der Falle.“
Und mit der Schnelligkeit eines Hasen rannte er los, so dass die jungen Krieger – mal wieder – Probleme hatten ihm zu folgen. Aber das Geräusch, das sie hinter und über sich hörten, verlieh ihnen Flügel. Es war ein Steinschlag, der sich seinen Weg die steilen Berge hinab suchte, die rechts neben dem Wald gelegen waren.
Als sie etwas Abstand zu dem fallenden Gestein und etwas an Höhe gewonnen hatten, atmeten sie tief durch.
„Das war Glück!“ meinte Finnian und kämmte seine langen blonden Haare aus dem Gesicht, damit er sie hinter dem Kopf verknoten konnte.
„Ja und nein!“ war Jotan nachdenklich zu hören. „Wenn wir Imbolc oder gar Beltane hinter uns hätten, würde ich Dir zustimmen, aber – bei Karnonos – das war kein natürlicher