Die Stadt des Kaisers. Alfred Stabel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Stabel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742781260
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Ding gewesen. Und dass er knapp bei Kasse war, fiel bei der Armee, wo es von mittellosen adligen Offizieren wimmelte, nicht auf. Bloß sein enger Freund Joachim Beck, der schlaue Kerl, wäre ihm beinahe auf die Schliche gekommen. Weil er wie ein Bär focht und derbe Lektüre wie den `Simplizius Simplizissimus` oder die `Landstörtzerin` bevorzugte.

      Konrad Breitenbrunner, so lautete sein richtiger Name, wickelte sich die Decke um den Leib und öffnete das mit Eisblumen verkrustete Fenster. Der Sonne nach musste es neun oder ein Viertel darüber sein. Mit der kalten Luft drang das verzweifelte Gackern von Hühnern, vermischt mit dem dumpfen Gebrumme der Milchkühe ins Zimmer. Die wackeren Kremser vernachlässigten nach der Silvestersauferei ihr Vieh und begingen damit ein Unrecht! Er selbst hatte sich nach drei Gläsern Wein auf den ganzen Abend verteilt, in heiterer, aber nicht angeheiterter Stimmung zum Schreiben und Zeichnen zurückgezogen. Eine seiner Lebensweisheiten besagte, dass Glück und Wohlbefinden eines Mannes unter anderem davon abhingen, wie er am Abend zu Bette ging. Er sollte weder Hunger noch Durst verspüren, Aufregungen meiden, nicht ins Grübeln verfallen und - wenn ihm das Einschlafen nicht leicht fiel - zuvor einer erbaulichen Tätigkeit nachgehen, die seine Sorgen verblies. In der Kindheit hatten sie mit dem Vater in der Schlafkammer Luthers Nachtgebet gesprochen. Auch jetzt noch hatte er den tönenden Bass des Vaters, den brechenden Sopran des halbwüchsigen Bruders und das Gezwitscher der kleinen Schwester im Ohr. An den Klang der eigenen Stimme erinnerte er sich nicht, wohl aber an das wonnige Gefühl im warmen Nest zu liegen und sich auf das frohe Erwachen am nächsten Morgen zu freuen.

      Breitenbrunner zog das knielange Leinenhemd durch die Unterhosen und schlüpfte in das wollene Unterkleid. Dann setzte er sich an das Tischlein und betrachtete seine letzte Zeichnung, einen Esel, der mit hängenden Ohren verlassen in einer verschneiten Landschaft stand. ´Asinus Breitenbrunnensis` - Esel Breitenbrunn` stand daneben. Esel deswegen, weil er seinen Bruder hatte ziehen lassen und jetzt wieder alleine dastand.

      „Ein glücklich Neujahr, wünsch ich dir Bruder Michael“ sagte er halblaut „und auch dir liebe Grete!“ Die Grete hatte sich Michael vor Wien am Sklavenmarkt gekauft, als er noch bei den Türken diente. Von Fleischeslust getrieben war er hingegangen, ohne zu ahnen, was daraus werden würde. Nach ein paar Tagen war er so verschossen in Grete gewesen, dass er sie für immer behalten wollte. Ihn hatte das nicht gewundert, weil Grete ebenso hübsch und aufgeweckt war wie seine Ursula, die ihm die Türken geraubt hatten. Gerne hätte er gewusst, wo Michael und Grete sich gerade aufhielten und was sie anstellten. Was die Ursula gerade tat, oder tun musste, wollte er lieber nicht wissen.

      Während er sich die knielangen Strümpfe anzog, fasste er den Entschluss, die Einladung des Savoyer Prinzen zum gemeinsamen Besuch der Neujahrsmesse um elf sausen zu lassen. Er hatte nicht gebetet, seit eine türkische Bande sein Dorf überfallen hatte. Wozu einen Gott anreden, der sich um die Seinen nicht kümmerte? „Gott hat sich wohl um dich gekümmert, Konrad“ hatte ihn der Verwandte in Würzburg, zu dem er sich geflüchtet hatte, belehrt, „sonst stündest du nicht neben mir.“ Er hatte ihn ausgebessert: "Wenn Gott seine Pflicht getan hätte, Onkel, wären sie alle noch am Leben und ich müsste nicht bei dir sein!" Dafür hatte er eine Tracht Prügel bezogen. Auch die geistlichen Herren im Gymnasium konnten seine Zweifel an der Liebe Gottes nicht ausräumen. Vom Katecheten mehrmals der Gottesleugnung überführt, hatte er viele Tage im Karzer verbracht mit keiner anderen Speise als der öfters aufgetischten Prügelsuppe. Sie nährte seine Liebe zur Kirche nicht. In einem verbotenen Buch - solche gab es gut versteckt im Kloster - fand er Abbildungen von kopulierenden Hexen und Zauberern. Gerne wäre er mit denen zum Sabbat geflogen, allein die Inquisition hatte die Hexerei in Würzburg ausgerottet und die selbst hergestellten Hexensalben drehten statt des Geists den Magen um. Mit siebzehn nahm er nach Spanien Reißaus, um Soldat zu werden. Auf Spaniens Thron saß Carlos II., von seinen Untertanen später ´der Verhexte` genannt. Sie gaben ihm die Schuld an Spaniens Unglück. Doch in Wahrheit hatte das unselige Wirken der übermächtigen Kirche den Niedergang des riesigen Reiches verschuldet. Diese Erkenntnis kam dem jungen Breitenbrunn, als er bei einem Autodafé auf der Plaza Mayor in Madrid Wache stand. Die Sonne glühte vom wolkenlosen Himmel, aber Fünfzigtausend waren zur Urteilsverkündung gekommen. In der Menge Denunzianten, damit die Gefängniszellen der Inquisition nicht leer wurden. Das Urteil lautete: Tod durch Verbrennen! Unter den Delinquenten zwei Kinder! Die verrohte Menge jubelte und der Inquisitor verneigte sich wie ein Schauspieler vor seinem Publikum, während eine kleine Schar Männer, die protestiert hatten, abgeführt wurden. Mit gleichgültigen Mienen hatten die in drei Reihen stehenden Soldaten das Geschehen verfolgt. Sie standen als reiner Aufputz dort. Vom Volk ging keine Gefahr für die Herrschaft aus, die Inquisition hielt Spanien im eisernen Griff. Nein, er würde nicht mit Eugenio den Gottesdienst besuchen!

      "Herein!" rief Breitenbrunn, weil es an der Tür klopfte.

      Ein junges Mädchen trat ein. Es erschrak wegen des halbbekleideten Mannes am Tisch. In der Mägdekammer war am Morgen über diesen Herrn getuschelt worden. Er wäre ein kaiserlicher Obrist und als einziger, der Katastrophe in Wien entkommen. Einen Obristen hatte sie sich als Alten mit Bart und Bauch vorgestellt. Der hier war jung und stattlich. Das Gesicht zwar ein bißl streng mit einer dunklen Narbe auf der Wange. Aber die dunkelblauen oder grauen Augen darunter schauten sie freundlich an. „Gesegnet Neujahr, Jungfer!“ rief er ihr zu. "Gesegnet Neujahr, der liebe Herr!" grüßte sie zurück und hantierte nervös am Ofen. Mutter hatte ihr strikt verboten, sich mit so einem einzulassen. Höflich grüßen sollte sie und nicht mehr! „Fein, dass mein erster Mensch am Neujahrstag eine hübsche Jungfer ist!“ sagte er und stand auf. "Willst mir einheizen? Das ist brav!" Sie tat, als ob sie nichts gehört hätte und schaufelte mit der Kelle Asche in den mitgebrachten Eimer. Im Wirtshaus wurde viel über die Offiziere geredet, die hier verkehrten. Wie gefährlich sie für Weiberleute waren und dass man es sich dreimal überlegen sollte, zu antworten, wenn sie einen anredeten. Allerdings hatte die alte Vroni von ihm geschwärmt. „Ein Bild von einem Mann, würd für ihn die Beine breit machen, wenn ich eine Junge wär.“ Und er hatte ihr ein Trinkgeld gegeben! Vielleicht würde sie auch eins kriegen, wenn sie freundlich war. Betatschen würde sie sich aber nicht lassen.

      "Ist auch bitterkalt draußen" sagte sie und drehte sich um. "Heute sind schon welche übers Eis gegangen.“

      Er nahm an, dass sie die zufrierende Donau meinte. „Aber nein, doch nicht über den Fluss!“ Sie kicherte nach Art der Halbwüchsigen, wenn sie einen großen Unsinn hören. „Über unseren Fischteich sind sie gegangen.“

      „Wie alt seid Ihr Jungfer?“

      ´Ihr` sagte er und ´Jungfer`! Sie musste wieder kichern.

      „Dreizehn der Herr!“

      „Oh!“ Er schien das Interesse an ihr verloren zu haben, denn er setzte sich wieder an den Tisch und fuhr mit einem Stift übers Papier, dass es knirschte. Ein wenig enttäuscht arbeitete sie am Ofen weiter.

      "Bittschön, der Herr, der Ofen zieht, fertig bin ich" sagte sie fünf Minuten später.

      "Weißt du, ob Durchlaucht schon aufgestanden ist?"

      "Durchlaucht?"

      "Der kleine Prinz mit der großen Perücke."

      "Nein."

      "Aber ob es bald Frühstück gibt, weißt du vielleicht?"

      "In knapp einer Viertelstund´, bitt´schön der Herr."

      Er stand auf und drückte ihr eine Münze in die Hand. Nachdem sie gegangen war, stellte er sich mit dem Rücken zum Ofen und dachte über seine Reise nach. Nach Linz würden er und der Prinz im Schlitten fahren, den der Savoyer requiriert hatte. Aber über Linz hinaus? Sein türkisches Halbblut würde in der Kälte draufgehen. Am liebsten hätte er es an Ort und Stelle verkauft, aber im Winter kaufte keiner Pferde. Es musste in einem Stall untergestellt werden. Als die Viertelstunde vorbei war, ging er in die Wirtsstube hinunter. Aus der Küche kamen das Klappern von Kellern und der Geruch von Schweinefleisch. Gegen das Essen im ´Pfennigfuchser` ließ sich nichts sagen. Es war beinahe so gut wie im ´Schwarzen Elephanten` in Scheibbs (Stadt in den niederösterreichischen Voralpen), wo er die letzten Wochen gespeist und das Bett mit der verwitweten Wirtsfrau geteilt hatte. Geliebt hatte er sie nicht, aber ihren Leib mit der gebotenen Zärtlichkeit genossen.