„Bei Allah, kein einziger Pfeil vorbei!“ jubelte Mehmed, der selbst geschickt mit dem Reflexbogen umging. Auf die leichte Reiterei folgten gepanzerte Sipahis (Lehensritter) und besoldete Gardereiter auf großen Streitrössern, anatolische und rumelische Artilleristen mit aufgepfropften Feldgeschützen und der Train der Kanoniere und Büchsenmeister in grünen Gewändern und Mützen. Den Schluss bildeten Pioniere und Versorgungstruppen.
„Ein unbezwingbares Heer, siegreicher Sultan“ fasste Hofmeister Yusuf Efendi, der eine Stufe unter den Wesiren saß und vom Militärischen so viel verstand, wie ein Schafhirte vom Fischen, schmeichlerisch zusammen. "Will der siegreiche Herr nun die Hinrichtungen befehlen?"
Mehmed, der am Ende einer Truppenschau stets die Henker in Aktion treten ließ, nickte huldvoll. Der Geruch von Blut sollte die Rekruten aufstacheln und ihm verschaffte es Vergnügen, christlichen Soldaten beim Sterben zuzusehen. Da in den letzten Wochen keine eingebracht worden waren, hatte man welche von den Galeeren geholt. Sie waren gewaschen, von Bart- und Kopfhaaren befreit und in frische Kleider gesteckt worden. Auch warme Mahlzeiten hatte man ihnen gegeben. Aber all diese Bemühungen hatten die ausgemergelten Gestalten nicht in die grimmigen Streiter zurückverwandelt, die sie vielleicht einmal gewesen waren. Apathisch schlurften sie in Ketten auf den mit Sand bestreuten Richtplatz und stellten sich stumm im Kreis auf. Keiner wehrte sich oder flehte um sein Leben. Mehmed fühlte sich um sein Vergnügen geprellt.
„Die Ungläubigen sollen zu ihrem Gott singen!“ befahl er. Das wenigstens mussten sie für ihn tun, bevor sie ihr miserables Leben aushauchten!
Viele, die dem Sultan dienten, hatten christliche Mütter. Des Sultans Befehl wurde sofort in mehreren Sprachen mit der Anmerkung weitergegeben, dass den Gefangenen mit dem Absingen eines Psalms oder Te Deums eine Gnade erwiesen werden sollte. Nur zaghaft öffneten sich die Münder, Mehmed hörte fast nichts.
"Sagt ihnen, sie werden ausgepeitscht, wenn sie nicht laut singen!“
Wieder wurde übersetzt. Der nun laute Gesang aus deutschen, ungarischen und polnischen Kehlen löste bei den Zuhörern Gelächter aus, weil die Töne nicht zusammenpassen wollten.
"Aufhören mit der Katzenmusik!" rief Mehmed erbost und zeigte auf einen Beliebigen. "Beginnt mit ihm!"
Das erste Opfer malte mit dem Fuß ein Kreuz in den Sand, bevor es niederkniete. Ein Scherge entblößte seinen Nacken, zwei hielten seine Arme gepackt, der Pfortenmarschall, der sich stets den ersten vorknöpfte, trat mit dem schweren Säbel hinter ihn, nahm kurz Maß und trennte mit einem sauberen Hieb den Kopf vom Rumpf. Den nächsten Delinquenten übernahm der Hauptmann der Garde und den dritten wieder der Marschall, weil es nicht viele gab, die sich vor den gestrengen Augen des Sultans an die Kunst des vollendeten Köpfens wagten. Drei weitere Exekutionen folgten, ohne dass ein Gefangener sich gesträubt oder um sein Leben gebettelt hätte. Mehmed wartete, bis der Marschall mit einem prächtigen Hieb sein viertes Opfer niedergestreckt hatte, dann befahl er abzubrechen. Genug Zeit mit diesen Memmen verplempert! Seine Stimmung war am Boden. Gereizt verscheuchte er den Leibprediger Vani Effendi, der zum Nachmittagsgebet rufen wollte. Mächtig legten sich die Hofleute ins Zeug, um die Laune ihres Herren gerade zu biegen. Hofmeister Yusuf Efendi fand die richtigen Worte: „Herr, diese Ungläubigen waren gelähmt von deiner Kraft und Herrlichkeit! Gelobt sei Allah, dass er dich mit solchen Gaben versehen hat!“
„Ja, bei Allah, so ist es!“ stimmte der Sultan zu. „Hast du alles bestens für den Kriegsrat vorbereitet, mein lieber Yusuf Efendi?“
„Jawohl, siegreicher Herr.“
„Dann steh nicht müßig herum! Lass meine Pauke schlagen und sieh zu, dass keiner trödelt!"
Rasch hatte Yusuf die Ratsmitglieder zum Defilee geordnet. Unter dem Gedröhn der großen Sultanspauke durchschritten sie paarweise die mannshohe Öffnung im Palisadenzaun der Zeltburg. Als sie bei den Rossschweifen vorbeigingen, entdeckte der Großwesir zwei Männer, die im Kriegsrat nichts verloren hatten. Er zog den vor ihm gehenden Hofmeister am Gürtel.
„Was haben der Tatar und der Ungar hier verloren?“
„Sie sind Gesandte am Hofe unseres Padischah“ erklärte der Hofmeister salbungsvoll.
„Dummkopf, das weiß ich auch!“ zischte Kara Mustafa. „Weshalb sie hier sind, will ich wissen!“
„Ihre Namen standen auf der Liste, die mir unser Herr zu überreichen geruhte, weiser Wesir.“
„Und du bist nicht zu mir gekommen und hast es gemeldet!“
Kara Mustafas Hand zog so fest an Yusufs Gürtel, dass er stehen bleiben musste.
„Unser erhabener Herr wollte es als Überraschung aufsparen."
"Nichtsnutziger!" zischte Kara Mustafa. „Du weißt, dass ich keine Überraschungen mag! Da auf dich kein Verlass ist, rechne ich dich ab heute zu meinen Feinden und du weißt, was das bedeutet!“
Yusuf erschauerte. Feinde Kara Mustafas verschwanden spurlos. Wie Wesir Ibrahim Pascha, Kaimakam (Stellvertreter des Großwesirs) Kemal Mustafa und Oberstallmeister Sary Süleyman. Zuletzt vor Wien gesehen und danach nie wieder. Yusuf konnte nur hoffen, dass die Sache mit der Drohung und ein paar festen Ohrfeigen abgetan sein würde.
„Nimm meine zerknirschte Entschuldigung entgegen, weiser Wesir. Ich bitte dich!“
„Winsele du nur fleißig!“ höhnte Kara Mustafa, „aber trage dein Gewinsel nicht zu unserem Herrn, weil ansonsten“ - die furchtbaren Augen stachen Yusuf wie Messerspitzen ins Gesicht - „Blut vergossen wird!“
Im Diwanzelt erwartete Yusuf weiteres Ungemach. Witzbolde unter den scherzhaft als Steigbügelagas bezeichneten minderen Mitgliedern des Kriegsrates hatten sich in die vorderen Reihen gesetzt, die den höchsten Offizieren, Beamten und Geistlichen zustanden. Unwirsch scheuchte Yusuf die Narren auf ihre angestammten Stehplätze zwischen den acht Säulen zurück, die das als Baldachin zugeschnittene Zeltdach trugen. Die Ordnung war hergestellt, als der Sultan würdevoll die Stufen zum Thron aus Ebenholz und Elfenbein erklomm. Sobald er sich gesetzt hatte, rief er den Vani Efendi nach vorne. „Beginne du!“
„Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“ begann der Imam seine Ansprache, die Zeilen aus dem Koran mit eigenen Worten verwebte.
„Lob sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Barmherzigen und Gnädigen, der am Tag des Gerichts regiert! Allmächtiger Gott, Dich preisen wir und Dich bitten wir: Segne die Waffen des siegreichen Padischah, der unser geliebter Herr ist und als Dein Schatten auf Erden wandelt. Schütze ihn, der die heiligen Stätten des Islam beschützt und schenke ihm ein langes glückliches Leben!“
An dieser Stelle brachen die Anwesenden in blumige Lobpreisungen für den Sultan aus, die erst endeten, als Mehmed gebietend seinen Finger auf die Lippen legte.
„Allah, wir loben und wir preisen Dich!“ fuhr der Imam fort. „Stärke die Arme der Gläubigen, auf dass sie im Kampf gegen die Feinde unseres Glaubens nicht ermüden. Und ihr, die ihr hier versammelt seid: Tut, was der Koran befiehlt. Vernichtet die Ungläubigen! Tötet sie, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, umzingelt sie! Wenn sie sich aber bekehren und das Gebet verrichten, dann lasst sie ihrer Wege ziehen!“
„Allahu akbar!“ riefen alle wie aus einem Munde. Zum Ärger des Predigers erachtete Mehmed das Nachmittagsgebet nach der ´herrlichen Predigt` für überflüssig und verlangte nach Erfrischungen. Bei Gebäck, Kaffee und Rauchwerk kam eine gedämpfte Unterhaltung in Gang. Kara Mustafa schwatzte mit den Statthaltern der asiatischen Provinzen, als ihn Mehmed zu sich winkte.
„Allah, der Allmächtige, hat meinen Verstand erleuchtet, schwarzer Mustafa. Nicht du wirst den Kriegsrat leiten, sondern ich! Hörst du? Ich!“
„Ich höre, oh Herr und ich frohlocke“ antwortete der Wesir. „Aber ist es klug, dass ein Tatar und ein Ungar mithören?“