Ich möchte freundlich behandelt werden. Wilfried Kochhäuser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Kochhäuser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742713391
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setzte ich meine Körperselbstwahrnehmung ein, so wie dies in der Behandlung eingesetzt wird. Ich versuchte mich so immer wieder in den Kontakt zu meinem Gewicht auf dem Stuhl zu bringen und dabei intensiv meiner Atmung im Bauchraum nachzuspüren. Ich wiederholte diese Übung noch ein paar Mal im Laufe des Tages, jeweils mehrfach hintereinander und nach drei Durchläufen war dieser Aufreger dann vollständig verblasst. Hierzu kann die Meditation "Erforschung des Atemraumes" (siehe Anhang) genutzt werden.

      Ich dachte nun nicht mehr überfallsartig daran, die Erinnerung löste keine Unruhe und schon gar keine unwillkürlichen gedanklichen Abläufe mehr aus ("Warum habe ich nicht ordentlich in den Innenspiegel geschaut.... Weshalb war ich so in Eile? ....Warum habe ich mich nicht einweisen lassen?"). Ich habe also diesen Vorgang, der in sich nicht tatsächlich bedrohlich geendet hatte (denn natürlich kam auch der Gedanke: „Was wäre, wenn ein Mensch hinter mir gestanden hätte?“) abhaken können.

      Was mich dann im Anschluss besonders faszinierte, war das geradezu schmerzhaftes Empfinden im Bauchraum, immer wenn ich vor und während dieser Übung an das Ereignis gedacht hatte. Der Bedrohungscharakter einer öffentlich beschämenden Handlung ist für uns gleichzusetzen mit einer körperlichen Verletzung („pein“lich, also schmerzhaft). Und er beschäftigt uns in seiner Bedrohlichkeit mit "dysfunktionalen" (hier typischerweise zwanghaften gedanklichen) Lösungsversuchen. Erst das Zusammenführen dieser "bedrohlichen" Erinnerung mit einer intensiven Körperselbstwahrnehmung, dem Kontakt mit „meinem Garten“, hat für mich das Bedrohliche an dem Vorgang schrittweise vollständig verschwinden lassen. Wenn ich mich in einer wie auch immer ausgelösten bedrohlichen Situation wiederfinde, kann mir die Kontaktaufnahme mit meinem Körper, über entsprechende Rückmeldeschleifen unseres Wahrnehmungsapparates, einen Erfahrungswert liefern, nämlich dass ich und mein Körper, das heißt meine körperliche Unversehrtheit nach wie vor intakt sind. Diese kleine Erfahrung und die dazugehörige Übung lassen sich grundsätzlich auf überschießende und nutzlose Aktivierungen von schmerzhafter Bedrohungsangst übertragen. Und diese entstehen vorrangig im Kontakt mit anderen Menschen. Denn der entscheidende Auslöser für diese körperliche Bedrohungsreaktionen war der Umstand, dass mir viele Menschen bei dieser peinlichen Aktion zugeschaut hatten. Ich hatte mich so in eine für mein Gehirn verletzliche, angreifbare Position gebracht, die anderen potenziell die Möglichkeit zu Dominanz über mich hätte geben können (also die Gefahr, mich öffentlich noch mehr bloßzustellen, als ich es so schon getan hatte).

      Mit ziemlicher Sicherheit haben einige der Anwesenden dies sogar untereinander so gehalten, denn Schadenfreude ist immer noch die schönste Freude. Über Lästern und das Teilen von Schadenfreude erhebe ich mich kollektiv über andere, eine Spielart von Dominanz eben. Insofern folgen die Abläufe in meinem Körper einer außer Frage stehenden Logik. Eine kollektive Dominanz ist gefährlich. Aber nur mein Gehirn kann bei diesen hypothetischen Gedankenspielen auch noch Tage später und in weiter Entfernung von diesem Ort weiterhin zugegen sein, mein Körper hingegen ist in den Tagen darauf mit mir im Hier und Jetzt, also schon längst abseits der angstmachenden Situation. Und somit kann mir mein Körper, wenn ich mich ihm zuwende, auch die Rückmeldung vermitteln, dass mir hier und jetzt gerade überhaupt nichts geschieht.

      3.Kapitel

      Loslassen. Wie lerne ich, die Verteidigung funktionieren zu lassen?

      Ändert sich denn etwas in der Realität meines Lebens, wenn ich mich entscheide, nicht mehr sofort auf meine Gefühle und Handlungsaufforderungen zu reagieren? Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, ob ich hierüber lediglich etwas in mir selbst, das heißt in meiner Wahrnehmung verändere, oder ob ich auch Effekte in meiner Umgebung in Gang setze. Tatsächlich sind die Effekte in unserer Umgebung zunächst nachrangig und anfänglich nur ein Nebeneffekt. Die entscheidenden Veränderungen entstehen in mir selbst und häufig werde ich die Erfahrung machen, dass sich für mich, durch nicht sofortiges Handeln, zumindest nichts verschlimmert. Aber später geschieht durchaus Überraschendes in der Umgebung, jedoch nur dann, wenn ich den Weg über mich und über meine Ängste gewählt habe und keine direkten Erwartungen an mein Gegenüber habe. Das bleibt ein Paradox in der Arbeit mit "Freundlichem Druck". Erst, wenn es mir tatsächlich gelingt, dieses Paradox anzunehmen und zu akzeptieren, werde ich bemerken, wie die von mir akzeptierte Angst auf mein Gegenüber überspringt. Ich trete meiner Angst vor dem Alleine sein und dem Ausgestoßen werden entgegen und mache die Erfahrung, dass nichts passiert. Und genau in diesem Augenblick wird mein gegenüber diese Angst selbst spüren.

      Was ist nun mit dem Druck, wo bleibt der denn? Sehr entlastend bei " Freundlicher Druck" wird für mich, dass ich Druck nicht mehr „wegmachen“ muss, wie wir das mit Entspannungstechniken und Sport oft krampfhaft versuchen. Das zusätzlich Faszinierende ist, dass der Druck, den ich selbst gar nicht mehr zur Regulation „gegen“ mein Gegenüber aufbringe, nun „auf die andere Seite springt“. Dadurch, dass ich meiner eigenen Angst entgegentrete und den Mut zum Nichthandeln aufbringe, entsteht Druck „auf der anderen Seite des Gartenzauns“!

      Ich benötige hierfür Mut - statt Kraft.

      Um mich zu beschreiben und abzugrenzen

      Um meine Wünsche mitzuteilen

      Funktional erwächst beim Gegenüber die Angst, mich als Person möglicherweise zu verlieren. Es entsteht in diesem Lebewesen der Druck, etwas für die Beziehung zu tun, um einem sich andeutenden Beziehungsverlust entgegenzuwirken. Selbst in anscheinend oberflächlichen, geschäftsmäßigen Beziehungen springt dieser Druck - mehr oder weniger ausgeprägt - auf die andere Seite. Dies macht die Funktionalität von "Freundlichem Druck" aus.

      In den Medien und unserer alltäglichen Umwelt werden wir mit unterschiedlichen Phänomenen von Hilflosigkeit und Überforderung konfrontiert, aber offenbar lässt sich vieles davon nicht mit den gängigen psychischen Erkrankungen (z.B. Depressionen) abbilden. Und daher hat sich wohl die Begrifflichkeit "Burn-Out-Syndrom" Eingang in unsere Sprache verschafft. Viele Ratschläge laufen in diesem Zusammenhang darauf zu, sich mehr um sich selbst zu kümmern. Wobei an dieser Stelle rasch die Frage entstehen dürfte, wie wir das konkret angehen können. Die Empfehlungen klingen für uns in einer verfahrenen Situation möglicherweise ein bisschen nebelhaft (...mehr Sport treiben, mehr Zeit mit der Familie verbringen...mehr Ausgleich), aber sie bieten immerhin Möglichkeiten zum Handeln.

      Entsprechende Ratschläge, sich in körperlicher und geistiger Hinsicht mehr um sich selbst zu kümmern, gehen wohl in die richtige Richtung. Für Verwirrung sorgt in dieser unübersichtlichen Situation die Frage, welches "Selbst" in diesem Durcheinander dann die Richtung angeben soll.

      Wenn Burn-Out etwas mit einem Hamsterrad zu tun hat, dann muss da auch ein Selbst sein, welches das Rad in Gang hält. Das ist eben nicht nur die äußere Welt und nur der Druck der Anderen - und den meisten von uns ist das durchaus klar. Am Ende des Tages ist es auch der fehlende Blick auf unseren eigenen Zustand, der diesen Druck zum Handeln erzeugt und aufrechterhält. Wie können wir also an dieses Selbst, um das wir uns mehr kümmern sollen, gelangen? Und was macht uns diesen Gang eigentlich so schwer?

      Genau das lässt sich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen und ist Hauptbestandteil dieses Buches. Der scheinbar „äußere“ Druck, den wir erleben, hat augenscheinlich etwas mit anderen Menschen zu tun. Hinter jedem solchen zwischenmenschlichen Kraftträger, der Druck und darüber fast mechanisch Handlungsimpulse in uns entstehen lässt, verbirgt sich eine Person in unserem Leben. Das uns steuernde emotionale System steht in ständiger Verbindung mit tatsächlichen oder vermuteten Bewertungen in Bezug auf unsere Person durch andere Menschen. So findet ein schon aus Gewohnheit aufrechterhaltener Machtkampf statt, den wir meistens noch nicht einmal mehr bewusst wahrnehmen. Das können sogar die schlechten Bewertungen selbst durch lange nicht mehr lebende Elternteile oder Lehrer in uns aufrechterhalten oder die erlernten Überzeugungen, was wir alles „müssen". Hierüber wird in uns ein andauernder Machtkampf befeuert, der für hohen inneren Druck sorgt und unsere angestrengte und oft nicht mehr zielorientierte Aktivität im