Ich möchte freundlich behandelt werden. Wilfried Kochhäuser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Kochhäuser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742713391
Скачать книгу
findet sich eine abschließende Ich-Botschaft, die das Ziel hat, die Situation für mich sicher zu beenden:

      „Ich habe hierzu alles gesagt, für mich ist das Gespräch beendet!"

      Es liegt einzig und alleine an mir, diesen aggressiven Dialog genau an dieser Stelle zu beenden. Versuchen Sie sich diese Szene vorzustellen und sprechen Sie sie am besten laut nach. Dazu müssen Sie nicht die aggressiven Botschaften des Kollegen vortragen. Wenn sich jemand für ein solches Rollenspiel zur Verfügung stellt, umso besser. Sehr wirksam ist es, sich die Szene vorstellen und, bevor ich auf die Aggression antworte, ein kleines Zeitfenster zu öffnen.

      Ich erlaube mir einen kleinen Moment zur Distanzierung, indem ich aufstehe. So gelingt es mir, auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers umzuschalten (Siehe hierzu die Schilderung meines Parkplatzunfalls), etwa durch die bewusste Wahrnehmung von Körpergewicht und Atmung. Dies ist die einfachste Form der Distanzierung in einem Machtkampf. Ich entziehe hierüber bereits der Attacke Wirkung und Macht, weil ich nicht mehr sofort auf die Attacke des Gegenübers reagiere, sondern Kontakt mit mir selbst herstelle.

      Ich trete aus den drei biologisch vorgegebenen Verhaltensmustern:

      1. Flucht

      2. Unterwerfung und

      3. Attacke

      heraus.

      Jemand, der mich nicht zu einer dieser drei Reaktionen veranlassen kann, hat auch keine Macht über mich. Das Wirksame ist hierbei, dass ich mir durch das Aufstehen die Besinnung auf mein Körpergewicht, meine Atmung und den daraus folgenden Zugriff auf eine Ich-Botschaft die Vergewisserung gestatte. Dass ich gar nicht in diesen Machtkampf einzutreten brauche. Ich erlebe, dass nichts passiert, wenn ich nicht sofort handle. Und ein in den meisten Situationen funktionierender Standardsatz ist:

      „Ich möchte freundlich behandelt werden!"

      Ich wähle hierbei nicht die drei oben beschriebenen Optionen, sondern nutze eine vierte:

      Ich bleibe

      Ich stehe (am Gartenzaun) und stelle Kontakt zu mir selbst her

      Ich beschreibe mich selbst und

      Ich hake nicht in die aufgezwungene Handlung meines Gegenübers ein

      Ich befreie meinen Garten von Unerwünschtem

      Bei chronisch verstrickten Konflikten wird dies nie sofort gelingen und auch die Effekte auf mein Gegenüber werden nicht unmittelbar sichtbar werden. Das Ziel der Übung ist, den Zugang zu der notwendigen eigenen Haltung zu trainieren und zu kultivieren. Die Auswirkungen auf mein Gegenüber werden unterschiedlich lange auf sich warten lassen. Diese sind technisch gesehen sogar Nebeneffekte der Arbeit an mir selbst, auch wenn mir diese Nebeneffekte zukünftig immer nützlicher werden. Das Entscheidende spielt sich jedoch in mir ab. Ich bringe das Gehirn meines Gegenübers unter Druck, weil ich die Trennung, auch von einer aggressiven Verstrickung wie im vorliegenden Fall, annehmen. Die meisten Rudeltiere mögen keine Trennung, sie macht ihnen Angst. Zumal, wenn sich das trennende Gegenüber nicht in die Flucht schlagen lässt, sondern nur eine emotionale Trennung herstellt und trotzdem eine deutlich abgekühlte Präsenz zeigt. Das kann ich auch nicht schauspielern, sondern muss diesen auch für mich selbst unangenehmen Moment emotional akzeptieren. In dem Film „Der Pferdeflüsterer“ wird dieses Heraustreten Robert Redfords aus einem Machtkampf mit einem Pferd nachvollziehbar. In dem Machtkampf zwischen zwei Säugetieren steigt der Pferdeflüsterer aus, er verfolgt das flüchtige Pferd nicht weiter, sondern zieht sich zurück und lässt es allein. Hierüber kommt es später zur Rückkehr und Wiederannäherung des Pferdes, weil es sich als Herdentier alleingelassen fühlt. Genau das Phänomen kann ich in jeder beliebigen sozialen Umgebung wiedererleben, wenn ich mich, aktiv und selbst gewählt, für die dazu gehörige Portion Trennungsangst entscheide. Die nächste Szene ist die bereits geschilderte Teambesprechung in einem großen Versicherungsunternehmen. Die bereits eingeführte Frau Schneider erlebt dort kontinuierlich entwertende Kommentare eines Vorgesetzten. Als für sie typisches Beispiel beschreibt Frau Schneider die Sequenz, in der ihr Vorgesetzter eine Konferenz mit den Worten einleitet:

      "Wir haben heute noch keinen Protokollführer für die Sitzung. Sie Schneider, Sie könnten doch gut Protokoll führen, Sie waren ja die letzten Male gar nicht hier, weil Sie sowieso ständig krank sind."

      Die Rollenspielsequenz wurde mit dem bewussten Erleben der im Augenblick aktivierten Gefühle geübt. Wütende Gefühle wären schnell und eindeutig mit Machtkampfargumenten zu füttern, da Frau Schneider gar nicht krank gewesen war und die letzten Male auch an den Sitzungen teilgenommen hatte. Somit spürte sie schlagartig massive Verärgerung, aber auch gleichzeitig die Verwirrung und Ohnmacht, wie sie sich in dieser Situation wohl wirksam schützen könnte. Und sie bemerkte als ihren langjährig gewohnten Handlungsimpuls, dass sie sich wohl unweigerlich schmollend in diese Aufgabe gefügt hätte. Das Rollenspieldrehbuch wurde nun gemeinsam entwickelt:

      Abteilungsleiter: "Wir haben heute noch keinen Protokollführer für die Sitzung. Sie Schneider, Sie könnten doch gut Protokoll führen, Sie waren ja die letzten Male gar nicht hier, weil Sie sowieso ständig krank sind."

      Jetzt besteht der erste Schritt darin, eine Pause einzulegen, indem ich mich auf die Atmung und mein Gewicht auf dem Untergrund konzentriere. Die Idee, innerlich "21,22" zu zählen, mag zunächst zu Beginn als Hilfe erscheinen, lenkt aber von unserem besten Anker ab, der Wahrnehmung unseres Körpers. Über unseren Körper nehmen wir den Kontakt zu unserem emotionalen System auf. Für das Zählen muss ich meinen Verstand aktivieren, der Verstand stört jetzt allerdings die notwendige emotionale Verankerung (oder das „Erden“). Jetzt mitten in diesem Machtkampf unseren analytischen Verstand loszulassen, stellt eine große Herausforderung dar. Aber ich arbeite so aktiv mit meinen im Körper abgebildeten Emotionen und löse damit tatsächlich auch schon sofort Wirkungen auf die Emotionen meines Gegenübers aus. Alleien dadurch, indem ich ich die in mir vom Gegenüber ausgelösten Gefühle zunächst nur wahrnehme und akzeptiere.

      Das deutlichste Gefühl in diesem Augenblick ist: Wut.

      Und genau die beschreibe ich jetzt (d.h. ich bin in der Lage meine Gefühle wahrzunehmen und zu beschreiben anstatt instinktiv auf sie zu reagieren).

      "Ich bin verärgert über diese Bemerkung! Ich war in den letzten Monaten keinen einzigen Tag krank. Und ich habe an allen Sitzungen teilgenommen!"

      Eine mögliche Reaktion des Chefs wäre beispielsweise:

      "Jetzt seien Sie bitte nicht gleich beleidigt, Sie legen aber auch jede Bemerkung gleich auf die Goldwaage!"

      Der Kampf geht also weiter und die Herausforderung ist, aus diesem Kampf mutig auszusteigen. Meine Wut, befeuert von meinem Verstand, würde natürlich sehr, sehr gerne weiterkämpfen, weil sich ja gute Kamapfargumente auf meiner Seite befinden. Aber ich widerstehe der Versuchung meines Kampfgehirns und beschreibe beharrlich meine Empfindungen und Wünsche:

      "Ich fühle mich jetzt lächerlich gemacht. Ich möchte nicht so behandelt werden!“

      Die Rollenspiel-Sequenz wird an dieser Stelle beendet. Auch in einer unerwarteten Realität benötige ich normalerweise nicht viele Worte, um mich zu schützen. Aber ich benötige die Fähigkeit, mich von meinem Verstand als Kampfmaschine weg, und zu meinem Körper hinzuwagen. Etwas pathetisch formuliert: Zu meinem Körper als Repräsentanz meiner Daseinsberechtigung. Wir haben tatsächlich die allergrößten Ängste, uns von unserer gedanklichen und sprachlichen Kampfmaschinerie zu lösen. Je mehr ich den Zugriff auf meinen Körper übe, umso besser werden meine Worte auch genau das beschreiben, was mein Körper als aktuelle Emotion vermittelt. Es geht hierbei nicht um "schlagfertige" Rhetorik und sogar nur in zweiter Linie um Inhalte. Wenn ich übe, dann bin ich aufgefordert, mir Zeit zu nehmen (siehe "FREUNDLICHER DRUCK" -Erinnerungs Karte, A+B unter „Arbeitsmaterialien“) und aktiv meine Atemwahrnehmung einzusetzen, um über die aktivierte Körperwahrnehmung die Rückmeldung zu erarbeiten, dass ich in dieser Situation und an diesem Ort sein darf. Dem ausgeprägt hilflosen Angstgefühl, über das mir mein Gegenüber die Daseinsberechtigung absprechen möchte, stelle ich mich so entgegen. Ein Verstärker zu Kultivierung von Körperselbstwahrnehmung ist die regelmäßige Praxis