Ich möchte freundlich behandelt werden. Wilfried Kochhäuser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Kochhäuser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742713391
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und ohne Not spüren möchte. Man kann Rollenspiele innerhalb von Psychotherapie oder mit einem Coach üben. Aber das geht prinzipiell auch mit Freunden oder Familienmitgliedern. Die gleiche Angst, die mich von Rollenspielen abhält, muss ich im direkten Kontakt mit einem schwierigen Gegenüber sowieso bewältigen. Noch effektiver ist tägliches Üben in nicht so stark aufgeladenen Alltagssituationen. Wenn an dieser Stelle bei Frau Schneider durch das Gegenüber tatsächlich noch ein weiterer Übergriff folgen sollte:

      "Was wollen Sie denn jetzt damit schon wieder sagen, was habe ich Ihnen denn jetzt angetan?"

      - dann habe ich tatsächlich die Möglichkeit mich auch hier auf den Aspekt der reinen Selbstbeschreibung zurückzuziehen:

      "Ich habe gerade ausschließlich von mir gesprochen und ich möchte das Gespräch jetzt beenden!“

      Es ist interessant in der Nachbesprechung einen Blick darauf zu werfen, wie hilflos und verwirrt das gegenüberliegende Rollenspielgehirn durch diese Art von Selbstoffenbarung zurückgelassen wird. Es erlebt sich auch im übertragenen Sinne dann alleine zurückgelassen, wie das Pferd vom Pferdeflüsterer. Wir haben die Bindung zwischen zwei Säugetieren für diesen Augenblick gekappt, in eleganter Weise, ohne zu attackieren und auch ohne uns zu unterwerfen.

      Es hilft, ein Tagebuch über solche Situationen zu führen und sich Klarheit über die Gefühle in zwischenmenschlichen Situationen zu verschaffen. Die Beschreibung eigener Hilflosigkeit, Wut und Angst in einem Tagebuch ist uns Menschen unangenehm, weil wir hierüber mit diesen bedrohlichen Gefühlen in Kontakt treten. Wenn ich allerdings beginne, diese Gefühle zu beschreiben, verlieren sie Macht über mich.

      Frau Schneider:

      „Über Jahre lang hatten die mich gequält. Mit Ignoranz und Nichtbeachtung. Mir wurden Termine und Informationen vorenthalten, schrittweise die Arbeit entzogen und man ging mir auf dem Flur immer mehr aus dem Weg. Ich verbrachte zunehmend Zeit ohne konkrete Arbeitsaufträge in meinem Einzelbüro. Zu allem Überfluss hatte man mir hier auch noch eine übergroße Zimmerpflanze an meinem Arbeitsplatz gestellt. Ich fühlte mich durch das Ding regelrecht bedroht. Über die Beschäftigung mit "Freundlichem Druck" veränderte sich mein Blick auf die Situation. Unterstützt durch regelmäßige Meditation versuche ich, die Wirkung der Vorgänge um mich herum und in mir bewusst wahrzunehmen. So kann ich in meinem eigenen Resonanzraum bewusst spüren, wie er durch die Angriffe auf meine Person ins Schwingen gerät, was auch schmerzhaft ist. Es war für mich neu und unangenehm, den Blick von den Anderen wegzunehmen, ihn immer wieder auf mich zu richten . Am Ende hatte ich jedoch das Gefühl, nach so vielen Jahren an diesem verkorksten Arbeitsplatz keine andere Wahl mehr zu haben. Ich begann meine Beobachtungen regelmäßig aufzuschreiben. Es war bitter, einen Arbeitstag, eine ganze Woche, mit meinem emotionalen Erleben in den verschiedenen Situationen zu beschreiben. Ich führte mein Protokoll und begann mehr und mehr zu entdecken, was in mir geschah und konnte dies erstmals akzeptieren, ohne sofort in Aktivitäten zu verfallen oder das Wahrgenommene zu bewerten. Im Grunde genommen hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht nur innerlich bereits gekündigt, sondern mich konkret um alternative Stellenangebote bemüht. Ich war hin- und hergerissen zwischen Angst und Sicherheitsbedürfniss, sowie dem Wunsch, wieder freier atmen zu können. Durch die Vorgabe, in dieser kritischen Phase nicht sofort etwas ändern zu müssen, sehr erleichtert. Es war eine Entlastung, mir die Zeit zu nehmen, mich intensiver mitzubekommen und meine Gefühle nur zu beschreiben. Es befreite mich, auf der anderen Seite macht es mir aber auch noch extremere Angst. Die Brocken einfach hinzuwerfen, erschien mir immer wieder doch verlockend. Ich fasste trotzdem langsam Vertrauen in die ganze Sache und begann, mir Szenarien zu überlegen, wo ich ganz konkret etwas ändern würde. Ich wollte zum Beispiel wieder regelmäßig Arbeit zugewiesen bekommen und diese übergroße Zimmerpflanze aus meinem Büro entfernt haben. Bsonders schwierig erschien es mir, der Ignoranz der Kollegen entgegen zu treten, die mich zum Teil auf dem Flur gar nicht mehr grüßten.“

      Frau Schneider schilderte zunächst Szenen, in denen sie sich hilflos fühlte. Das Gute an solchen Abläufen ist, dass sie sich wiederholen und wir so in kleinen Schritten lernen können. Oft bestehen Befürchtungen, dass Vorgesetzte diese Technik kennen und durchschauen könnten. Ich selbst nutze diese "Technik" seit Jahren und meine private Umwelt hat dies mittlerweile übernommen (siehe das Kapitel "Freundlicher Druck" ist infektiös). Und immer noch spüre ich in mir die aus der Distanzierung erwachsene Kühle und den Respekt, der durch mutige Selbstoffenbarung und Abgrenzung bei meinem Gegenüber entsteht. Es handelt sich nicht einfach um eine Technik, die man natürlich kennen und durchschauen kann, sondern es ist eine Haltung, die ich mit Mut einnehme und die Respekt erzeugt, ob mein Gegenüber das nun erkennt oder nicht. Es finden sich auch häufig Zweifel, gegenüber Vorgesetzten nicht derartig bestimmt auftreten zu dürfen. Ob mir Gesetze das „Recht“ einräumen, meine persönliche Integrität zu schützen oder ob ich dies nur als mein subjektives Bedürfnis erlebe, ist nicht entscheidend. Am Ende zählt nur, was funktioniert. Und das Ganze funktioniert besonders gut, indem ich auf die Beschreibung meines eigenen Resonanzraums zurückgreife und damit in Übereinstimmung mit mir handle. Über Selbstbeschreibungen ergibt sich keine Attacke oder ein direktes Handeln, sondern die stets subjektive Beschreibung meines emotionalen Zustandes.

      Die Patientin berichtet nun in der Folge, wie sie immer häufiger auf Ich-Beschreibungen zurückzugreift:

      "Ich habe intensiver wahrgenommen, was mich stört. Und ich habe mitgeteilt, dass ich diese ungefragt hineingestellten Zimmerpflanzen in meinem Zimmer nicht wünsche. Auf Nachfragen der Kollegen („Was stört Dich denn daran?") habe ich gesagt, dass ich dies nicht wünsche, weil ich sie nicht haben möchte. Ich erlebe immer mehr die befreiende Wirkung subjektiver Ich-Beschreibungen, ohne mich zu rechtfertigen. Ich gelange so aus quälenden Machtkämpfen, die häufig mit sinnlosen Argumenten auf beiden Seiten geführt werden, heraus. Ich brauche mich nicht mehr zu erklären und ich brauche keine Begründungen oder Gesetzmäßigkeiten mehr zu nennen.“

      Tatsächlich ist das "Magische" an dieser Vorgehensweise, dass ich Subjektivität auch theoretisch gesehen niemals begründen muss. Nur vermeintlich Objektives muss ich im Machtkampf mit Beweisen untermauern. Wenn ich von mir aus meiner subjektiven Haltung heraus argumentiere ("ich möchte, ich möchte nicht, mir gefällt, mir gefällt nicht") entfällt diese Logik des intellektuellen Machtkampfes um „Richtig oder Falsch“.

      Frau Schneider weiter:

      "Ich habe mich in Besprechungen zu Wort gemeldet und begonnen, Ansprüche zu verdeutlichen. Ich habe mich „offenbart“, wenn ich Wünsche in Bezug auf den Dienstplan hatte oder hinsichtlich der Arbeitsverteilung. Das waren immer wieder kleine Bewältigungserlebnisse, Szenen, die mir Mut abverlangten, die aber in der Summe immer mehr Wirkung zeigten. Ich wurde nun in der Folge von Kollegen offensichtlich klarer wahrgenommen. Ich erhielt sogar Informationen zu Terminen, denen ich sonst mühsam hätte hinterher fragen müssen. Und ich wurde sogar zu privaten Treffen eingeladen, was mir in dieser Abteilung noch nie passiert war. Im Verlauf eines Jahres fiel mir auf, dass auch andere Kolleginnen und Kollegen häufiger in kleinen Schritten für ihre Bedürfnisse eintraten, ohne sich in Machtkämpfe hineinziehen zu lassen. Das Ganze war anscheinend sogar ansteckend. Ich empfinde diese Veränderungen immer noch als verwunderlich, weil ich mir genau das ja seit Jahren gewünscht hatte. Und dabei hatte ich gar nichts "Machtvolles" unternommen. Früher habe ich sozusagen abwechselnd auf den Tisch gehauen oder mich schmollend in mein Zimmer zurückgezogen und erwartet, dass die anderen sich entschuldigen. Ich habe darüber nachgedacht, dass sie meine Isolation als etwas Unanständiges begreifen und ihr Verhalten ändern müssten. Außerdem war ich neidisch auf alle Menschen um mich herum, die mir besser, glücklicher oder dünner erschienen. Gleichzeitig habe ich sie innerlich beschimpft, weil sie alle ja wohl nach oben schleimen und nach unten treten. Ich habe zudem festgestellt, dass ich mich selbst ebenso in Selbstgesprächen beschimpfe, mich beispielsweise als zu dick und unfähig abqualifiziere. Aus diesem jetzt eingetretenen Rückzug in eine gewisse Kühle - aber im Kontakt mit den Kollegen - entwickeln sich langsam verbesserte Beziehungen und eine engere Einbindung in die Arbeit des Teams. Die Kollegen wurden freundlicher zu mir, sogar verbunden mit der Bemerkung: "Du hast dich aber verändert, du bist irgendwie freundlicher geworden!?“ Und das geschah, obwohl ich genau das Gegenteil von meinen neuen Strategien erwartet hatte. Mit Freundlichkeit hatte ich es doch über all die Jahre immer