Ich möchte freundlich behandelt werden. Wilfried Kochhäuser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Kochhäuser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742713391
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Alternativen vermitteln. Und ich möchte zeigen, dass andere Menschen immerzu etwas mit uns machen. Die Alternative hierzu heißt: Einen „funktionalen“ Blick auf uns selbst zu üben und als zweckgerichtete Alternative nutzbar zu machen.

      Drucken Sie sich das auf der Homepage hinterlegte "Erinnerungskärtchen" aus und legen Sie es vor sich. Sie können jetzt die Anweisungen in Ruhe für sich durchgehen.

      Auf dem Weg über die Sinneswahrnehmung meines Körpers gelange ich in den Besitz eines schutzbedürftigen und verletzlichen, aber eben auch machtvollen Schlüssels, um mein "Selbst“ über den Einsatz und die Ausgestaltung meiner Sprache mitentscheiden zu lassen. Das Mittel zur konkreten Umsetzung der Bilder vom Garten ist unsere gesprochene Sprache. Sprache repräsentiert auch das entwicklungsgeschichtlich Neue in unserem Gehirn und macht es so auch möglich, uns von alten automatisierten, instinktgesteuerten Vorgaben der Evolution zu lösen. Grundsätzlich spiegelt allerdings auch Sprache in Konflikten die Umsetzung der beschriebenen drei Grundmuster wider: Kampf, Flucht und Unterwerfung.

      Das sprachliche Prinzip der Botschaften über „unseren“ Garten, also unser schützenswertes und manchmal sehr verletzlich empfundenes "Selbst" ist die sogenannte Ich-Botschaft. Uns hierüber "Selbst" zu zeigen, wie wir sind, was wir uns wünschen und was wir nötig haben, auch wenn dies ein mehr oder weniger ausgeprägtes Unbehagen oder Angst mit sich führt. Aber muss das unbedingt sein? Ich stelle mich ja hierbei ganz dicht und ungeschützt an den Zaun zum Nachbarn, durch den ich mich in diesem Augenblick möglicherweise bedroht fühle.

      In solchen Situationen wird uns dementsprechend oft folgender Impuls vom Körper in den Kopf zurückspringen: "Das funktioniert doch sicher auch ohne das Ganze?!"

      Wir haben diesen Zugang zu uns selbst – zu unserem Garten als Wahrnehmung unserer momentanen Befindlichkeit und unsere Wünsche so wenig spontan abrufbereit, weil es gegen die biologische Logik unseres Säugetiergehirns läuft. Es wird eben rasch bedrohlich, wenn eine konkrete Person vor mir steht, und ich negative Konsequenzen meines Verhaltens befürchte.

      Ohne die Fähigkeit zur Sprache sind Lebewesen tatsächlich ausschließlich darauf angewiesen, mit Signalen von der anderen Seite ("aus dem anderen Terrain") zu ko-operieren - oder zu kämpfen. Diese nichtsprachlichen Interaktionsmuster sind im Laufe unserer Evolution jedoch keineswegs verloren gegangen. Wären wir als Spezies anders konstruiert - immer nur so schön bei uns, wie ich es jetzt so vertrauenserweckend wie möglich bewerben würde - dann wären wir wohl relativ schnell aus der Gruppe ausgestoßen und als Konsequenz dann schutzlos von Raubtieren aufgefressen worden - und mithin längst ausgestorben.

      So treibt uns diese Säugetierbiologie mit dem Blick auf die belebte oder unbelebte Außenwelt auch heute noch den ganzen Tag durch die Gegend. Die bloße Anwesenheit anderer Menschen setzt unser Bedrohungssystem in Gang und erzeugt Angststress und setzt Strategien in Gang, die über unsere Erwartungen gesteuert werden. Bei der Agoraphobie, der Angst vor stark belebten Orten, sind es beispielsweise Urängste gegenüber fremden Menschen, die uns auf Flucht schalten lassen. Diese Form der Angststörung findet sich dann tatsächlich häufig im Zusammenhang mit aktuell ungelösten zwischenmenschlichen Regulationsaufgaben bzw. Konflikten, ohne dass den Betroffenen dieser Umstand zunächst bewusst ist. Sie leiden nur plötzlich unter heftigen Ängsten, obwohl sie mir stets versichern, derartiges früher nie gehabt zu haben.

      Wir werden uns einen ersten schnellen Blick auf die Umwelt wohl nie ganz abgewöhnen können. Jedoch können wir lernen, dies immer ein bisschen früher mitzubekommen, um dann mit einem ausreichenden Maß an Distanz, bewußt ausgewählt und nicht sofort reagieren zu müssen. Es ist ein großer Unterschied, ob ich Intuitiv wahrnehme oder intuitiv handle!

      1994 schildert Tor Noerretranders in seinem Buch: „Spüre die Welt. Die Wissenschaft des Bewusstseins“ vielfältige experimentelle Belege dafür, dass Intuition und unbewusste Impulse unserem Verstand meist vorauseilen. Und auch in interpersonellen Konstellationen ist es häufig so, dass wir unter Stress und in Konfliktsituationen instinktiv handeln und dann erst in einem zweiten Schritt analytisch denken. Unser analytischer Verstand arbeitet dann fast regelhaft erst dem Handeln nachgeschaltet. Die Alltagspsychologie ist voll von diesen Phänomenen - man nennt das auch "Rationalisierung", wenn ich mein Handeln im Nachgang rational erkläre.

      "Rationalisierung" heißt im Klartext, sich aus einer instinktiven, bereits vollzogenen Handlung mit Verstandesargumenten herauszureden oder auch für sich selbst „schönzureden“ ("das zweite Paar Stiefel gab es ja dann für die Hälfte" oder: „Wenn man die Rückbank (in dem neuen Sportwagen) umklappt, kann ich auch noch prima einen Kinderwagen unterbringen, etc...".

      Unser jeweiliges menschliches Gegenüber spürt dabei oft genug genau den "nachgeschalteten“ Charakter unserer vordergründig analytischen Argumentation - und denkt sich bestenfalls seinen Teil, um uns zu schonen („Ich gönns ihm/ihr ja!“).

      Wenn ich jedoch von der Pflege intuitiver Wahrnehmung spreche, meine ich damit die erlernbare Kulturfertigkeit, den körperlich spürbaren Sinneseindruck eigener Handlungsimpulse zunächst auf eine bewussten Ebene zu heben ("dem könnte ich jetzt gut eins auf die Nase hauen") ohne sofort - und eben intuitiv - zu handeln. Dafür werde ich unterschiedlich viel Zeit benötigen und der Volksmund kennt das Phänomen natürlich auch: "Erst mal tief Luft holen und bis 10 zählen".

      Das kreist folgende Herausforderung dieses Buches ein: Unser Gehirn immer wieder mitzunehmen und den sich anbahnenden Ringkampf loszulassen, in dem ich meine aktuelle Emotion zunächst loslasse und dann betrachte.

      Handfeste körperliche Auseinandersetzungen kommen heute im Vergleich mit der Steinzeit seltener vor und falls es doch soweit gekommen ist, wird dieses Buch nicht weiterhelfen. Es hilft aber, alle anderen Ringkämpfe nicht mehr mitzumachen, aber durchaus auch körperliche Auseinandersetzungen von vornherein zu vermeiden. Deshalb setze ich die gleichen Techniken auch im Antiaggressionstraining mit gewalttätigen Menschen ein.

      Für alles, was sich in zwischenmenschlichen Konfliktszenarien - abseits krimineller Situationen - abspielt, gibt es im Vertrauen auf unseren Körper eine Unterstützung, die funktioniert. Aber immer nur dann, wenn ich selbst mutig genug bin, auch unter Stress zunächst über Körperwahrnehmung meine Emotionen zu beobachten und nicht sofort zu handeln.

      Wenn ich mich im Detail mit Sprache im Angesicht des Anderen beschäftige, wird mir klarer werden, dass sich die meisten Machtkämpfe bereits in meinem eigenen Kopf abspielen. Dafür benutze ich die "Sprache im Gehirn", meine Kampfdialoge im Kopf, das heißt mein Denken.

      Mit Mut! Ich habe in der Einleitung davon gesprochen, dass für unser emotionales Selbstregulationssystem die Bewältigung schwieriger zwischenmenschlicher Herausforderungen „Ausflüge in die Angst“ bedeutet. Wenn ich soetwas bewusst betreiben möchte, dann folgen jetzt Anleitungen für genau diese Herausforderungen. Denn nicht jeder kann oder will Trapez-Übungen wie die zitierte amerikanische Managerin als Angstbewältigungstraining in den Alltag einbauen.

      Wenn ich in diesem Sinn Selbstoffenbarung und Ich-Botschaften übe, dann geht es hierbei um mehr, als in Management-Seminaren vermittelt wird. Dort wird die Ich-Botschaft als Ausdruck der Klarheit und als Instrument von Führung beschrieben. Und damit wäre es auch funktional. Oft zeigen diese Trainings aber wenig Wirkung, weil der Aspekt von Angstbewältigung hierbei meist nicht erwähnt wird; in solchen Seminaren darf ich bislang das Wort Angst kaum in den Mund nehmen.

      Wenn sich aber ein Konflikt zuspitzt, dann geht es immer auch um meine Angst. Und unter diesem Angst-Stress kommt es dann nicht mehr zur Umsetzung von gelernten Ich-Botschaften, da werden wir lieber scharf schießen oder uns unterwerfen. Dafür sorgt schon mein Altgehirn aus der Steinzeit, wenn der Bedrohungspegel nur entsprechend hoch wahrgenommen wird. Mancher fragt sich vielleicht, weshalb die Steinzeit immer so schlecht bekommt. Dies hat aus meiner Sicht vor allem damit zu tun, dass wir aktuell nicht in ihr leben. Wir können aber diesen Spieß mit Beharrlichkeit umdrehen. Benutze ich nämlich Ich-Botschaften als eine Art von täglichem kleinen Ausflug in meine Ängste und damit als tägliche Impfung