„Tja, das dachte ich auch.“
„Dann stell sie doch ganz offen zu den anderen ins Regal. Er findet sie ja sowieso und ich weiß ja, wie sehr du deine Sammelboxen liebst.“
„Ja, könnte ich wohl machen. Geh duschen.“
„Ist ja schon gut“, murrte ich und trollte mich ins Bad. Die ganze Wohnung roch nach Fett, da sollte ich eigentlich nicht weiter auffallen.
Die Fritteuse stand noch immer auf dem Tisch. Ungereinigt, natürlich.
Ich schlich noch ins Schlafzimmer und holte mein Negligé. Unter der Dusche schlug mein Herz schneller und schneller. Ich wusch mich mit dem Duschgel, das zu dem Parfüm passte, das ich zum Geburtstag bekommen hatte (Marcel machte es sich leicht, so eine Geschenkpackung mit Duschgel und Parfüm war so ziemlich das Kreativste, das man erwarten konnte), rasierte mir die Beine und Achseln und rieb mich nach dem Abtrocknen mit Bodylotion ein, damit meine Haut auch so zart und schön wurde, dass man sie einfach streicheln musste. Die Haare föhnte ich über Kopf, damit sie mehr Volumen bekamen, legte Lippenstift und Puder auf und schminkte mir die Augen in diesem „Smokey Eyes“ Stil, der so dunkel und geheimnisvoll aussah und die Augen schön groß und verführerisch machte. Nicht schlecht.
Das Negligé war alles, was ich noch trug. Es saß um den Schmullebauch herum etwas eng, aber im Liegen war es sicher nicht so schlimm. Ich schlich über den Flur ins Schlafzimmer, aber leider erhaschte ich noch einen Blick auf das entsetzte Gesicht meines Sohnes, der den Kopf zur Tür rausgestreckt hatte, ihn aber so schnell wieder einzog wie eine Schildkröte, die das Hackebeil sah. Noch ein Kindheitstrauma, das er eines Tages seinem Psychiater enthüllen musste: der Abend, an dem ich meine dicke Mutter im Negligé sah.
Im Schlafzimmer holte ich die versteckten Kerzen hervor und verteilte sie sorgsam. Es waren Teelichter aus rotem Wachs in Herzform. Ich zündete sie an, legte die CD ein, startete sie, und schmiss mich hastig ins Bett, denn ich hörte Marks Schritte. Kein Wunder, der CD Player war nämlich sehr laut eingestellt gewesen, bevor ich mich verschreckt auf ihn werfen konnte.
Neugierig öffnete mein Mann die Tür. Leider hielt er auch eine Bierflasche in der Hand. Ich schluckte, als er überrascht blinzelte. Ich hatte zumindest auf ein Lächeln gehofft.
„Marly? Was ist denn hier los?“
„Ich wollte doch einen romantischen Abend.“
„Aha ...“
„Komm doch rein, Mark. Und mach die Tür zu.“
Zögernd kam er herein, und das tat mir weh. Sein Blick, mit dem er die Kerzen musterte, tat mir fast noch mehr weh. Es war offensichtlich, dass weder die Musik, die Kerzen, noch das Negligé und Make-up ihn auf irgendwelche Gedanken brachten. Er sah aus wie jemand, der sich panisch einen Fluchtweg aus einer Grube voller Schlangen überlegte.
Auch die Tür schloss er ungern. Denn nun war er allein mit der Sex-Bestie.
Er setzte sich aufs Bett und stellte die Bierflasche auf dem Nachttisch ab. Er ließ seinen Blick kurz über meinen Aufzug wandern, aber komischerweise sah sein Gesicht dabei gehetzt aus.
„Mark ... komm, ich massiere dir den Rücken.“ Ich dachte damals, ich müsste ihm die Nervosität nehmen oder diese merkwürdige Spannung, unter der er zu stehen schien. Ich hätte schon da mit ihm reden sollen, anstatt zu versuchen, ihn zu verführen. Es war ja deutlich sichtbar, dass er dafür nicht in Stimmung war.
„Du bist ja ganz verkrampft ...“ Ich küsste ihn zärtlich auf den Nacken.
„Marcel ist doch noch wach“, protestierte er. Er schien verlegen, als meine Hände unter sein Hemd fuhren.
Als mir schließlich aufging, dass er meine Zärtlichkeiten nicht erwiderte, zog ich mich verwirrt zurück. Verwirrt und entsetzt. War es tatsächlich schon so weit mit uns gekommen? Ich dachte, er wäre immer müde von der vielen Arbeit und seinen Hobbys, aber dass er im Grunde seines Herzen nicht mal mehr wollte, das war mir nicht klar gewesen.
Mark sah mich nicht an, als er aufstand und das Schlafzimmer verließ. Ich lag wie erstarrt in unserem keuschen Bett und hörte, wie er mit Marcel diskutierte, der nicht ins Bett gehen wollte. Erst nachdem unser Sohn schmollend verschwunden war, stand ich auf und ging ins Bad. Ich riss mir das lächerliche Negligé vom Leib und warf es in den kleinen Mülleimer. Dann wusch ich mir das lächerliche Make-up vom Gesicht. Es war lächerlich, ich war lächerlich. Da hatte ich doch tatsächlich gedacht, mein Mann würde mich begehren, so wie am Anfang. Er sah aber wohl keine begehrenswerte Frau mehr, wenn sein Blick auf mich fiel. Das tat weh.
Ich tat in dieser Nacht kein Auge zu und weinte. Ich hatte Zeit genug dafür, denn Mark kam erst gegen drei ins Bett. Wahrscheinlich war er da erst sicher, dass ich schlafen würde und er einer Debatte aus dem Weg gehen konnte.
Am nächsten Morgen war er vor mir aufgestanden und hatte Frühstück gemacht, Brötchen geholt, Kaffee gekocht und den Tisch liebevoll gedeckt. Er sah immer noch ganz verlegen aus, aber auch schuldbewusst. Er wusste, wie gedemütigt ich mich fühlte. Ich wusste hingegen nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Ich tat, als wäre nichts gewesen, schon wegen Marcel. Aber irgendwann ging der wieder in sein Zimmer, und ich hätte ihm am liebsten zurückgehalten. Ich wollte im Moment nicht mit Mark und seinen beinahe mitleidigen Augen alleine sein.
Mitleid hatte er also nur noch für mich übrig, war es das?
Ich wusste nicht, wie ich mit ihm darüber reden sollte, und setzte mich an unseren großen PC im Schlafzimmer. Bald hörte ich die Wohnungstür klappen. Mein Herz setzte einen Schlag aus – sagte Mark jetzt nicht mal Bescheid, wenn er ging? In der Küche klebte ein Zettel am Kühlschrank: Bin bei Justus. Na toll, sollte er sich doch da ausweinen! Sollte er doch mit Justus kuscheln! Diese Gesellschaft schien Mark ja ohnehin zu bevorzugen!
Ich nahm das Telefon, ging wieder ins Schlafzimmer, legte mich aufs Bett und rief Svenja an.
Svenja
Niemand gewinnt je im Lotto. Das war immer meine Überzeugung. Wenn ich dann doch mal gespielt habe, war es mehr aus Langeweile oder weil der Jackpot so hoch war. Immer wählte ich dann die billigste Variante ohne diesen Spiel Siebenundsiebzig-Schnickschnack.
Einmal jedoch kreuzte ich irrtümlich doch Spiel Siebenundsiebzig an. An der Kasse wunderte ich mich zwar, dass die Teilnahme auf einmal so teuer war, aber trotzdem sagte ich nichts. So spielte ich dann diesen unnützen und teuren Kram und gewann eine Sofortrente. Siebentausendfünfhundert Euro.
Zuerst konnte ich es nicht glauben. Andererseits, irgendwer muss ja gewinnen. Warum also nicht ich? Es war Glück, nichts weiter.
Aber Glück im Spiel, Pech in der Liebe, so heißt es. Rainer, mit dem ich damals zusammen war, wurde auf einmal unausstehlich. Erst wollte er unbedingt ein Haus bauen, dann einen Mercedes haben. Ich sollte das alles mit Krediten finanzieren. Er meinte, ich könnte doch locker zweitausend Euro im Monat dafür abdrücken, vom Rest sollten wir dann leben. Und zwar, wie ich schnell merkte, wie die Fürsten.
Okay, ich war zuerst auch etwas ausgeflippt. Wenn man plötzlich alles kaufen kann, statt wie sonst traurig vor dem Schaufenster zu stehen, dann verfällt man etwas dem Shopping-Wahn.
Schuhe, ein ganzes Dutzend neue Schuhe habe ich mir in den Monaten danach gekauft. Teure Schuhe von Designern, von denen ich vorher noch nie gehört hatte. Ziemlich doof, zugegebenermaßen. Aber mit der Zeit wurde ich vernünftig. Rainer jedoch wollte auf einmal eine Kreditkarte. Nachdem er sie dann zum dritten Mal in zwei Monaten an ihr Limit gebracht hatte, und ich auf einmal sechzehntausend Euro abstottern musste, war Ende.
Ich warf ihn raus, und er wurde zum Monster. Zuerst verschickte er in meinem Namen fiese E-Mails an Freunde und Bekannte, woraufhin ich mehrere von ihnen verlor. Dann bestellte er online Bücher, Filme und Geschirr, ließ aber alles an seine neue Adresse