Der lange Weg nach Däne-Mark. Sonja Reineke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sonja Reineke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847640936
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aber schnell die Vorteile eines moppeligen Mitfahrers: Das höhere Gewicht verbesserte unsere Straßenlage.

      Er beschwerte sich nie. Auch nahm er mich weiterhin mit auf die Touren mit seinen Kumpels. Manchmal fragte ich mich, wie grässlich mein Anblick von hinten wohl war.

      Mark sah man gar nicht mehr, weil mein breites Kreuz sowie der Rhinozeroshintern ihn völlig verdeckten.

      Mark war ein toller Mann und ich war sehr glücklich mit ihm. Ich kämpfte um unser Glück, weil es zurzeit sehr zerbrechlich schien. Ich machte Quarkbällchen, recherchierte online nach leckeren Rezepten und schminkte mich jeden Tag, wusch und stylte mir die Haare, zog mich nett an, brachte ihn zum Lachen. Ich wusste nicht, was nicht stimmte bei uns. Er schien zufrieden zu sein.

      Da kam er wieder, zwei Becher Quark in der Hand.

      „Habe doch lieber ein ganzes Pfund genommen“, verkündete er und ich gab ein leicht verzerrtes Lächeln zurück. Jetzt musste ich doch das ganze Rezept machen und Bällchen frittieren, bis der Arzt kam. Verdammt. Er stellte den Quark in den Kühlschrank und küsste mich flüchtig.

      Wir hatten seit fast einem Jahr keinen Sex mehr gehabt.

      Es schien einfach keine Zeit mehr dafür da zu sein. Mark machte Karate, hatte schon den zehnten Dan, oder wie das hieß, fuhr Motorrad, ging schwimmen und bastelte im Keller Modelle von Motorrädern zusammen.

      Er arbeitete lange und hart und hatte sich seine Hobbys sauer verdient. Alles kein Problem für mich. Aber es blieb keine Zeit mehr für mich, geschweige denn kuschelige Stunden im Bett.

      Ich versuchte, zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen wie er, aber meistens verpasste ich den Anschluss. Entweder musste ich Marcel noch bei etwas helfen, seine Hausaufgaben machte man ja auch nicht gleich nach dem Mittagessen, das wäre ja zu einfach, zu logisch und zu richtig.

      Nein, das musste um neun noch erledigt werden, und wenn Google keine Antwort wusste, dann musste eben Mama ran. Google konnte ja auch keine Strohsterne flechten für den Weihnachtsbasar oder noch „mal eben schnell“ zwei Stunden lang die Turnhose flicken, die eine Woche lang vor Schmutz und Löchern starrend in der Ecke gelegen hatte. Dann kam er zu Mama gerannt, und wenn Mama dann endlich ins Bett sinken durfte, lag Papa schon drin und schnarchte.

      An den Wochenenden hatte sich der DVD-Abend durchgesetzt, und der endete nie vor Mitternacht. Meistens war ich es dann, die todmüde ins Bett ging, während meine Männer sich noch einen Actionfilm ansahen, bei dem geballert und massakriert wurde. Sie merkten meistens nicht mal, dass ich das Zimmer verließ. Durch die Luft fliegende Gliedmaße waren ihnen wichtiger.

      Das alles wäre ja in Ordnung gewesen, wenn sich Mark an das gehalten hätte, was ich schon vor Jahren gesagt hatte: dass Paare sich mindestens einmal im Monat Zeit füreinander nehmen mussten. Schön essen gehen, ins Kino oder Tanzen.

      Oder einfach mal früher ins Bett gehen und kuscheln.

      Leider hatte er es vergessen, und wenn ich davon anfing, stimmte er mir zwar zu, aber an dem Wochenende hatte er dann Kegeln ... einen Karatewettkampf ... eine Motorradtour mit seinen Freunden ... oder mit Marcel ... einen Männerabend mit Saufgelage bei Justus ...

      ‚Heute Abend überrasche ich ihn einfach’, dachte ich. Ich hatte mir ein Negligé aus Netzstoff gekauft, Duftkerzen und eine schöne Rammel-CD mit romantischer Musik. Sobald er ins Bett ging, wollte ich ihn schon erwarten.

      Es schien ein guter Abend dafür zu sein. Justus hatte angerufen und das gemeinsame Schrauben an den geliebten Motorrädern abgesagt, weil er eine Magen-Darm-Grippe hatte. Mark hatte nichts anderes vor und musste wohl – Wunder über Wunder! – mal einen Abend daheim verbringen.

      „Mama, welchen Film sehen wir denn heute? Hast du ‚From Paris with Love’ geholt? Den mit Travolta?”

      Mist, da hatte ich doch glatt den DVD-Abend im Familienkreis vergessen.

      „Heute gibt es nur normales Fernsehen in deinem Zimmer“, knurrte ich.

      „Aber wieso? Normales Fernsehen ist doch scheiße!“, protestierte mein Sohn. Finster sah ich ihn an. „Dann chatte mit deinen Freunden oder spiel irgendetwas. Dein Vater und ich haben etwas vor!“

      „Vor? Was haben wir denn vor?“, fragte Mark, der in diesem Augenblick die Küche betrat und den Versuch seines Sohnes, sich ein Eis aus dem Gefrierschrank zu holen, mit einem freundlichen Tritt in den Hintern vereitelte.

      „Wir gehen ins Kino“, erklärte ich schlicht.

      „Ins Kino? Dann kann ich doch mitkommen!“ Marcel ahndete den Tritt mit einem Faustschlag in Marks Nieren.

      „Nein. Heute mal nicht“, erwiderte ich bestimmt. Mark hob die Brauen und verwuschelte seinem Sprössling das Haar. „Mach dir nichts draus, mein Alter, dann hast du sturmfreie Bude. Mindestens bis elf.“

      Marcels Augen wurden groß wie Fußbälle. Zweifelsohne war die Aussicht auf ungehinderten Zugang zum gut gefüllten Kühlschrank und das Familienpaket mit Eis im Gefrierfach noch verlockender als die auf den DVD-Player und die DVD-Sammlung seines Vaters, die meistens FSK sechzehn oder gar achtzehn waren und ihm wahrscheinlich ein Trauma einhandeln würden. Aber damit wollte ich mich an diesem Abend nicht belasten.

      Sollte der Bengel doch Horrorfilme gucken und danach monatelang nicht mehr schlafen, ich wollte Sex!

      Außerdem hatte Mark die schlimmsten Filme gut versteckt.

      „Na gut“, seufzte Marcel theatralisch, während ihm schon mental der Sabber auf die Schuhe tropfte. Uns machte er damit nichts vor. Mark und ich grinsten uns an, und ich strahlte. Er schien nichts dagegen zu haben, dass er tatsächlich mal mit mir ausgehen musste.

      „In welchen Film willst du denn?“, fragte er, während unser Sohn wieder an seinem PC verschwand.

      „Ähm ...“

      „Verstehe. Du hast noch gar nichts ausgesucht, was?“

      „Nein“, gab ich zu. „Aber wir können ja einfach hinfahren und gucken, bei dem riesigen Komplex muss doch ein Film laufen, den wir beide sehen wollen. Lass uns doch spontan sein“, murmelte ich und schmiegte mich an seine Brust. Er wuschelte mir durchs Haar wie zuvor Marcel und drehte mich sanft in Richtung Fritteuse. „Einverstanden. Aber pass auf deine Quarkbällchen auf.“ Er ging ins Wohnzimmer, und ich blieb etwas verwirrt zurück.

      Drei Stunden lang frittierte ich die verdammten Bällchen. Ich hatte viel zu viel Teig gemacht, eben das ganze Rezept, und man konnte nur Bällchen von der Größe eines Teelöffels ins Fett kullern lassen, weil der Teig im heißen Fett zu dreifacher Größe aufquoll, woraufhin größere Bällchen sich nicht mehr drehen ließen und nur untenherum braun wurden.

      Eine große Schüssel voll blöder Quarkbällchen stand nun auf dem Tisch, ich war müde und hatte nicht mal mehr Zeit zu duschen. Marcel war schon mindestens zehnmal hereingekommen und hatte sich mit den heißen fettigen Dingern vollgestopft, und trotzdem wurde die Schüssel nicht leerer.

      Ich hatte es längst aufgegeben, den Fresssack aus der Küche zu werfen. Wenn wir ins Kino gingen, hatte er ja ohnehin freie Bahn.

      Lust hatte ich keine mehr, als ich mir eine andere Hose und Turnschuhe anzog.

      „Wir fahren mit der Straßenbahn, oder?“ Mark stand mit einer Tasse Kaffee in der Tür und sah mir zu. Er brauchte sich nicht umzuziehen und war schon ganz fickerig, wie es schien.

      „Ja, okay.“ Mein Mut sank. Jetzt auch noch durch die Kälte zur Straßenbahnhaltestelle latschen, na schönen Dank auch.

      „Das Parkhaus da ist mir zu teuer“, erklärte er schlicht.

      „Aber man kriegt doch Rabatt, wenn man ins Kino geht“, wandte ich ohne große Hoffnung ein.

      „Nicht genug“, knurrte Mark dann auch und brachte seine Tasse weg, aber nicht, ohne mich noch einmal zur Eile anzuhalten.

      „Ja, ja“, murrte ich. Hätte mich jemand dabei abgelöst, wie blöd in die Fritteuse zu starren und ab und zu die Bällchen