»Das ist doch bloß ein Kraut, Wonu. Bloß ein harmloses, gesundes Kraut, das du für den Rotweinsud verwenden sollst. Ich verlange ja nichts Unmögliches. Dieses Kraut soll nur in den verdammten Sud. Man kann es nicht schmecken oder riechen. Deiner Soße passiert also nichts. Aber damit kann ich Lena zeigen, wie man manche Dinge nutzt, ohne dass andere es bemerken. Das ist wichtig, verstehst du?« Loana fuchtelte wild mit einem Bündel, das nach Vitus‘ Eindruck wie getrocknetes Gras aussah, vor Wonus Nase herum. »Ach, weißt du was, du Kochlöffelschwinger? Ich kann dich nicht immer mit Wollhandschuhen anfassen, hörst du? Ich bin deine Königin und du handelst gefälligst nach meinen Boten!«
Wütend hielt sie dem gleichsam wütenden Koch das Büschel unscheinbaren Krauts hin. Der nahm es ihr mit spitzen Fingern und einem demonstrativ lauten, dazu eindeutig protestierenden Schnauben ab.
»Wir werden ja sehen, ob es meinem Gericht schadet oder nicht«, meckerte er. »Du trägst die Verantwortung dafür. Bisher sind mir meine Speisen immer sehr gut gelungen, meine Königin.« Er blitzte Loana mit seinen kleinen schwarzen Käferaugen böse an. »Das soll auch so bleiben!«
In ihrem Zorn hatten sie beide nicht bemerkt, dass Vitus im Türrahmen stand. Deshalb stapfte Wonu nun mit dem Büschel in der Hand in Richtung Spüle. Dabei brummelte er laut vor sich hin, fragte sich noch dazu, was das mit den »Wollhandschuhen« und »Boten« wohl wieder mal zu bedeuten hätte. Derb fluchend warf das Kraut zum Waschen ins Becken.
Die Hände zu Fäusten in die Hüften gestemmt drehte sich Loana derweil mit sichtlich zufriedener Miene um und stieß geradewegs mit ihrem Mann zusammen. Sofort verdunkelte sich ihr Blick. Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, während sie ein paar edelsteingrüne Funken auf ihn abfeuerte. »Mit Wollhandschuhen kommt man bei dem nun mal nicht weiter, genau wie beim Gärtner. Dabei bin ich eigentlich überhaupt nicht der Typ für Boten. Das weißt du genau, mein König.«
Vitus musterte seine wunderschöne Frau von oben bis unten. Immer aufs Neue erstaunten, ja, erregten ihn ihr Anblick und ihr Geist. Dann setzte er zu einem schiefen Grinsen an und sagte nur drei Worte: »Samt-handschuhe und Ge-bote.«
»Oh«, war ihre schlichte Antwort.
Loanas Miene wurde sanft, ihr Mund wieder voll und sinnlich. Sie sah Vitus mit einem süßen Lächeln an, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen kleinen Kuss. Er hielt sie fest, hob sie hoch, als sie sich von ihm lösen wollte, und vertiefte den Kuss, bis sie nach Atem rang. Danach stellte er sie auf die Füße zurück.
»Du willst uns also zum Abendessen ein Kraut unterjubeln?«, erkundigte er sich.
»Das ist ein sehr gutes Kraut. Ich hab es gesammelt, als wir an der bretonischen Küste an Land gegangen sind. Es wächst bislang nur dort. Und falls dieser starrköpfige Gärtner es endlich zulässt, werde ich versuchen, es hier zu kultivieren.«
Leise fluchend stellte Vitus fest, dass Loana ihre Gedanken sorgfältig abschirmte, als er darin herumstöberte. »Oh nein, mein König, die Wirkung dieses Gewächses verrate ich dir nicht. Noch nicht. Es ist zwar sehr stark, dennoch absolut harmlos, glaub mir. Sonst würde ich das nicht tun. Aber Lena kann am meisten von mir lernen, wenn ich ihr praktische Grundlagen verschaffe.«
Vitus dachte nach, was Loana ihm offenbar sofort ansah. Schnell fügte sie hinzu: »Vitus, es ist ein gutes Kraut. Auch für unsere Babys.« Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. »Unsere Babys«, wiederholte sie flüsternd.
***
Da Vitus königlich steife Zwänge zutiefst verabscheute, fanden sich seine Familie, seine sechs Wachleute, Freunde und die meisten seiner Gäste fast ausschließlich in der Küche am riesigen Tisch zum Essen ein. Der große Speisesaal – mit den funkelnden Lüstern, hoheitsvollen Stuckverzierungen an den Decken und beeindruckendem Kamin – war grundsätzlich besonders festlichen Anlässen vorbehalten oder diente als Treffpunkt, falls der Platz in der Schlossküche doch einmal nicht ausreichte.
Es hatte Vitus einiges an Geduld abverlangt, seine sechs Wachleute davon zu überzeugen, dass sie zu seiner Familie gehörten, und sie dazu zu bewegen, regelmäßig mit ihm am Küchentisch zu speisen. Nach anfänglichem Zögern fanden sie allmählich Gefallen daran.
So gestaltete sich auch das heutige Abendessen zu einem gemütlichen Beisammensein. Und zwar ohne Bedienstete, ohne Benimmregeln, ohne Protokolle – ohne Vorbehalte. Jeder konnte sich nach seiner Fasson am Buffet bedienen. Eine praktische Sache, falls einmal jemand nicht pünktlich da sein könnte.
Trotzdem achtete Vitus bei seiner Gattin und den beiden Nell-Frauen stets darauf, dass ihre Teller gut gefüllt und dann auch geleert wurden.
Als er Anna am Tresen stehen sah, fiel ihm auf, dass sie die Aufregung rund um die Gerichtsverhandlung einige Kilo gekostet hatte. Diese neue Hose schien ihr förmlich von den Hüften zu rutschen. Das ging wirklich nicht so weiter. Manchmal wirkte Anna so zart und ätherisch, wie die Menschen sich die Elfen in ihren Fantasien oft vorstellten. Seine Veronika hatte damals genauso ausgesehen, kam es ihm in den Sinn. Sofort verwarf er den Gedanken an sie, versetzte er ihm doch nach wie vor einen bitteren Stich.
Auch Loana war eher klein und zierlich. Vitus schmunzelte bei ihrem Anblick sowie dem von Anna und seinem Sohn.
Daraufhin ließ er seinen Blick zu Sentran und Lena gleiten. Noch so ein ungleiches Paar, dachte er.
Lena sah ihrer Schwester ausgesprochen ähnlich, mit dem langen goldblonden Haar. Nur trug sie keine Brille und war ein paar Zentimeter größer als Anna. Da Sentran allerdings zwei Meter maß und als Wachmann eine besonders ausgeprägte Muskulatur aufwies, sprang jedem der drastische Gegensatz zwischen den beiden ins Auge.
Unverkennbar hatten sie alle drei – er, Viktor und Sentran – eine Schwäche für solch zarte Geschöpfe.
Dieser Eindruck von Zerbrechlichkeit war rein äußerlich zu betrachten, meinte Vitus. Denn es handelte sich bei allen drei Frauen um ausgesprochen starke Persönlichkeiten. Auch bei den Nell-Schwestern, die sich trotz ihrer Jugend, genau wie Viktoria, von ihren Männern nichts sagen ließen oder diese aber in dem Glauben ließen, sie würden es ihnen recht machen. Anna hatte zwar etwas länger gebraucht, um ihr Selbstbewusstsein aufzubauen, und war sich dessen noch nicht immer bewusst, aber