… Jens war glücklich über das Entgegenkommen seines Chefs, hatte der ihm doch erlaubt, an diesem Wochentag regelmäßig früher in den Feierabend zu gehen und die verlorene Arbeitszeit an anderen Tagen wettzumachen. Zwar war Jens trotz dieses Umstandes und seiner Neugierde auf den Unterricht noch ein wenig skeptisch, denn er wollte seine Silvi schließlich auch an diesem Tage noch zu Gesicht bekommen. Aber Vitus hatte ihm versprochen, ihn stets pünktlich heimbringen zu lassen.
Anna hatte die Mitglieder ihrer Bio-Lerngruppe dazu überredet, den wöchentlichen Termin von montags auf mittwochs zu verlegen. Miri, Annas ein wenig verrückte, schrille neue Schulfreundin, hatte sie zwar gelöchert, um den Grund hierfür zu erfahren. Doch bei der Erwähnung des Namens Viktor hatte Miri wissend die Augen verdreht und gemeint, dass sie für so eine Sahneschnitte notfalls die Nacht zum Tage machen würde. Anna fing an, die unkomplizierte Miri gernzuhaben, und bedauerte es zunehmend, sie nicht in das Elfengeheimnis einweihen zu dürfen.
Johannes und Theresa hatten sich zunächst nicht vorstellen können, fast einen ganzen Tag in der Woche ohne eines ihrer drei Kinder zu verbringen, sich dann aber rasch mit dem Gedanken angefreundet. Nach über zwanzig Jahren ließe sich mit so einem »kinderfreien« Tag sicherlich etwas anfangen.
Sentran, Ketu und Viktor waren sich zudem einig darüber, dass dieser Unterrichtstag einen praktischen und noch dazu äußerst erfreulichen Nebeneffekt mit sich brächte. Denn an diesem Tag blieben ihre Freundinnen stets über Nacht im Schloss, somit letztendlich bei ihnen – und in ihren Betten. Ein wirklich verlockender Gedanke. …
So gehörte der Montagnachmittag ab sechzehn Uhr nunmehr Vitus und Loana.
***
»Elfenmänner sind letztlich eben auch nur Männer«, spöttelte Viktoria, als Ketu sie an seinen gedanklichen Fantasien teilhaben ließ. »Gibt es eigentlich Augenblicke am Tag, an denen ihr nicht an Sex denkt?«
Er verzichtete auf eine Antwort. Stattdessen runzelte er die Stirn, bis die Brauen fast gänzlich unter seinem dichten braunen Haar verschwanden, sodass er den Eindruck erweckte, angestrengt nachzudenken. Das brachte ihm einen Knuff in die Rippen ein.
»Also wirklich«, frotzelte sie weiter.
Während sie gemütlich durch den Schlossgarten schlenderten, lehnte Viktoria sich an Ketus Schulter. Sie nutzten die Zeit, um ein paar Sonnenstrahlen einzufangen und bei dieser Gelegenheit die beginnenden Bauarbeiten in einem abgelegenen Teil des Schlossparks zu inspizieren. Der Unterricht würde erst in einer Stunde beginnen und Ketu hatte gerade Feierabend.
Ein richtiger Feierabend ergab sich für ihn als königlichen Elitewachmann allerdings eher selten. Eigentlich war er immer im Dienst, außer Vitus gab ausdrücklich frei oder genehmigte ein paar Tage Urlaub.
Trotz alledem gab es einen Dienstplan. Außerhalb dieses Plans befand sich Ketu, wie auch seine Kollegen, quasi in Bereitschaft. In dieser Zeit konnte er seinen privaten Interessen nachgehen, hatte sich jedoch auf Befehl des Königs oder natürlich bei drohender Gefahr sofort zu melden.
Diesen Dienstplan hatte Vitus, seitdem Lena und Sentran ein Paar waren, neu abgestimmt und dabei insbesondere Ketus und Sentrans Schichten weitestgehend zusammengelegt. Das machte es Ketu leichter, die freie Zeit gemeinsam mit Viktoria zu gestalten. Seine persönlichen Verhältnisse waren derart eng mit ihr, den Nell-Geschwistern und dadurch zusätzlich mit Viktor und Sentran verwoben, dass es Vitus zudem wichtig erschien, auch Viktor in diese Planung mit einzubeziehen. Einmal mehr war Ketu erstaunt über die Umsicht seines Königs, Dienstherrn und Freundes.
***
Vitus schaute zum Fenster seines Arbeitszimmers hinaus auf das im parkähnlichen Schlossgarten spazierende Paar. Er sah die Liebe in den Augen der beiden. Unterdessen schweiften seine Gedanken ab.
Wie schnell die Kinder erwachsen geworden waren.
Er war sich sicher, dass Ketu und Viktoria das nächste königliche Brautpaar werden würden, schließlich hatten sie sich ja auf seiner Hochzeit verlobt. Seit dieser Zeit hatten die beiden allerdings keinen Ton mehr darüber verlauten lassen. Freilich, Sistras Tod war noch nicht lang her und seine Asche begann gerade erst auf dem Grund des elterlichen Gartens zu erblühen. Trotzdem wäre es zweifellos nicht im Sinne von Ketus Bruder gewesen, die Heirat seinetwegen auf die lange Bank zu schieben. Vitus würde sich unbedingt mit ihnen darüber unterhalten müssen.
Nach einem letzten Blick hinunter setzte er sich an seinem Schreibtisch, bevor seine Grübeleien ihn wiederum von der Arbeit ablenkten:
Viktor war unterwegs, um Anna zu holen. Bei der Vorstellung musste Vitus unwillkürlich lächeln.
Nach wie vor war es seinem Sohn nicht gelungen, Anna an Gertus zu gewöhnen. Dabei hatte das Pferd sie sofort akzeptiert und in sein großes Elfenpferdherz geschlossen. Heute, nach dem Abendessen, würde er Anna einfach auf den Rücken des Tieres setzen.
»Wollen doch mal sehen, ob wir sie nicht endlich dazu kriegen, ihr eigenes Pferd anzuerkennen. Das Tier hat seine Besitzerin jedenfalls vom ersten Augenblick an geliebt. Nun müssen wir ihr nur noch beibringen, das Gleiche für ihn zu empfinden.«
Zufrieden mit seinem Vorhaben machte er sich nun an seine Arbeit und begann damit, sämtliche Anträge und Beschwerden nach dem ihm eigenen System zu sortieren und zu ordnen, um sie danach genauer in Augenschein zu nehmen. Dabei erregte besonders eine Beschwerde aus der Region seines Bruders Estra seine Aufmerksamkeit.
»Eine gute Gelegenheit, Estra, Isinis und die Kinder mal wieder zu besuchen«, überlegte er. »Viktor und Viktoria haben ihre Zieheltern seit meiner Heirat nicht mehr gesehen. Gut, ich werde auch Anna fragen, ob sie nächstes Wochenende Zeit hat, um uns dorthin zu begleiten.«
Er machte sich ein paar gedankliche Notizen, unterschrieb mehrere Schriftstücke und reichte sie einem seiner Berater, der gerade zur Tür hereinkam.
»Das wäre alles für heute, Ansa. Geh zu deiner Frau und grüße sie von mir. Bis morgen.«
»Mein König«,